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Unternehmenskultur
Ulrich Bröckling

Beitrag zur Tagung „Theorie der Massenkultur", Sektion Kultursoziologie der Deutschen Gesellschaft für Soziologie, Paderborn, 21.-23.3.2002


Zeitgenössische Massenkultur ist Unternehmenskultur. - Diese These, die zwar keine erschöpfende Bestimmung zu geben, aber doch einen zentralen Aspekt zu erfassen beansprucht, soll im Folgenden ausgeführt werden.
Der Begriff der Unternehmenskultur geht dabei weit über das hinaus, was der Alltagsverstand darunter versteht: Gemeint ist weder jenes durch Symbole (z.B. Logos), Rituale (z.B. Betriebsfeiern), Narrative (z.B. Gründungsmythen) oder Verhaltenscodes (z.B. Duz-Zwang) evozierte und fortwährend stimulierte Wir-Gefühl, das die Identifikation von Mitarbeitern mit „ihrer" Firma fördern und dieser zugleich ein einheitliches Erscheinungsbild nach außen verleihen soll. Ebenso wenig bezieht sich der Begriff auf jene betrieblichen Innen- und Unterwelten, wie sie Ethnografien des Arbeitsalltags sichtbar machen. Unternehmenskultur bezeichnet vielmehr einen übergreifenden Modus der Selbst- und Fremdführung, mit Foucault gesprochen: eine spezifische Form der Gouvernementalität, in der die Maxime „Handle unternehmerisch!" gleichermaßen in institutionelle Arrangements und administrative Regelungen, in Trainingsprogramme und Therapiekonzepte, in mediale Inszenierungen und technische Apparaturen, in intime Beziehungen und öffentliche Performanzen eingelassen ist. Keine Kultur von Unternehmen oder Unternehmern also, sondern eine Kultur unternehmerischen Handelns, in der das Verhaltensmodell der Entrepreneurship den gemeinsamen Fluchtpunkt der „Selbst-, Welt- und Sozialverhältnisse"1 bildet.
Die folgenden Überlegungen gehen diesem Typus massenkultureller Vergesellschaftung von zwei Seiten her nach: Der erste Teil beschreibt die grundlegenden Kennzeichen unternehmerischen Handelns, wie sie die Nationalökonomie in der Lehre von den Unternehmerfunktionen herauspräpariert hat; der zweite Teil untersucht populäre Erfolgsratgber und Management-Manuale und zeichnet die Konturen des enterprising self nach, jener Leitfigur, auf welche die Subjektivierungsprogramme der Unternehmenskultur geeicht sind.


I.
Eine Genealogie der Unternehmenskultur im genannten Sinne hat zurückzugehen zu jenen wirtschaftswissenschaftlichen Theorien, die meisten datieren aus der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts, welche den damals vorherrschenden neoklassischen Modellen eines vollkommenen Wettbewerbs ein dynamisches Verständnis des Marktprozesses entgegenstellen und dabei den Unternehmer als das dynamisierende Moment identifizieren. Zu nennen sind hier insbesondere die Arbeiten von Ludwig von Mises, dessen Schüler Israel M. Kirzner, von Joseph Schumpeter sowie von Frank H. Knight.2 Den gemeinsamen Ausgangspunkt dieser im übrigen heterogenen Studien bildet die Frage nach einer ökonomischen Erklärung des Unternehmensgewinns.
Wenn die Nationalökonomie sich mit dem Unternehmer befaßt, geht es ihr also nicht um die Rekonstruktion eines historischen Idealtypus oder um ein spezifisches Set persönlicher Eigenschaften, sondern um eine volkswirtschaftliche Kategorie. „Die Unternehmer, von denen sie spricht, sind nicht Menschen, wie man ihnen im Leben und in der Geschichte begegnet, sondern die Verkörperung von Funktionen im Ablauf der Marktvorgänge".3 Das impliziert eine Abgrenzung in drei Richtungen: Zum einen ist die Funktion des Unternehmers abzuheben von anderen ökonomischen Funktionen, etwa der des Kapitalisten, Grundeigentümers, Arbeitgebers, Erfinders oder Managers, mit denen sie zwar häufig in ein- und derselben Person vereint auftritt, deren Bedeutung im und für das Wirtschaftsgeschehen jedoch eine grundlegend andere ist. Zum anderen bezieht sich die nationalökonomische Rede von der Unternehmerfunktion nicht nur auf die Aktivitäten eines selbständigen Geschäftsmanns. Nach Schumpeters Auffassung ist sie nicht einmal gebunden an die Existenz des kapitalistischen Wirtschaftssystems, unternehmerisch handeln können vielmehr auch „Organe einer sozialistischen Gemeinschaft, Herren eines Fronhofs oder Häuptlinge eines primitiven Stammes".4 Die „Durchsetzung neuer Kombinationen", so seine Definition der Funktion des Unternehmers, bezeichnet einen Handlungstyp, der grundsätzlich jedem zugänglich, zugleich aber „kein Beruf ist und in der Regel kein Dauerzustand"5. Drittens schließlich ist der Unternehmer der Wirtschaftswissenschaften keinesfalls identisch mit dem kühl kalkulierenden Kosten-Nutzen-Maximierer, der in all seinen Entscheidungen die Allokation knapper Mittel in Bezug auf konkurrierende Zwecke zu optimieren sucht. Dieses rationalistische Konstrukt unterschlägt die unhintergehbare Kontingenz menschlichen Handelns, das stets unter den Bedingungen unvollkommenen Wissens steht, und vermag weder die Dynamik der Marktvorgänge noch den Unternehmergewinn zu erklären. Unternehmerisches Handeln setzt demgegenüber gerade dort ein, wo der Rahmen bloßer Kosten-Nutzen-Kalküle überschritten und neue Gewinngelegenheiten entdeckt und ausgenutzt werden.
Folgt man Ludwig von Mises, so ist dieser spekulative Zug konstitutiv für den homo agens. Indem er die Nationalökonomie zu einer allgemeinen Praxeologie auszieht, bestimmt er zugleich das menschliche Handeln durchgängig nach Maßgabe ökonomischer Kategorien. Handeln ist danach per definitionem vernünftig: „Der Handelnde sucht einen Zustand, der ohne sein Dazutun gegeben ist, durch einen anderen Zustand zu verdrängen. In seinem Denken sieht er einen Zustand, der ihm mehr zusagt als der gegebene, und sein Handeln ist darauf gerichtet, diesen gewünschten Zustand zu verwirklichen. [...] Allgemeinste Bedingung des Handelns sind mithin: Unzufriedenheit mit dem gegebenen Zustand und die Annahme der Möglichkeit der Behebung oder Milderung dieser Unzufriedenheit durch das eigene Verhalten."6 Welche Präferenzen der Einzelne verfolgt, fällt außerhalb des Zuständigkeitsbereichs praxeologischer Aussagen: „Die Lehre vom menschlichen Handeln hat den Menschen nicht zu sagen, welche Ziele sie sich setzen und wie sie werten sollen. Sie ist eine Lehre von den Mitteln zur Erreichung von Zielen, nicht eine Lehre von der richtigen Zielwahl."7 Entscheidend ist die axiomatische Setzung, daß alles Handeln eine Wahl zwischen als attraktiver oder weniger attraktiv empfundenen Alternativen darstellt und deshalb in einem umfassenden Sinn eigennützig ist, wobei der Eigennutz auch in der Genugtuung des Altruisten bestehen kann, anderen geholfen zu haben. Weil aber keine Wahlhandlung mit Gewißheit den gewünschten Erfolg zeitigt, bleibt jede ein Wagnis: „Da alles Handeln auf die Zukunft gerichtet ist, mag es mitunter auch nur die allernächste Zukunft sein, wird es durch alle Veränderungen der Daten, die in der Zeitspanne zwischen seinem Einsatz und seiner Auswirkung eintreten, berührt. Jedes Handeln ist in diesem Sinne Spekulation"8 - und insoweit auch jeder Mensch ein Unternehmer.
Der Generalisierung der Unternehmerfunktion zu einem Anthropologicum entspricht die Verallgemeinerung des Marktes als Medium sozialer Integration: In einer Marktwirtschaft, gekennzeichnet durch Sondereigentum an Produktionsmitteln und Arbeitsteilung, handelt, so von Mises, jeder für sich, „doch jedermanns Handeln ist mittelbar auch auf die Erfüllung der Zwecke der anderen Handelnden gerichtet. Jedes Handeln wird dadurch zu einem Mithandeln, jedermann dient handelnd seinen mithandelnden Genossen. Jeder gibt, um zu empfangen; jeder dient, um bedient und bedankt zu werden. Jeder ist Zweck und Mittel zugleich: Zweck sich selbst und Mittel allen anderen zur Erreichung ihrer Zwecke. Die Steuerung dieses Körpers erfolgt durch den Markt. Der Markt weist dem Handeln der Einzelnen die Wege und lenkt es dorthin, wo es den Zwecken seiner Mitbürger am nützlichsten werden kann. [...] Jeder ist frei, niemand hat einen Herrn über sich. Doch wenn auch frei, dient jeder allen. Auch ohne dass man ihn zwingt, muss jeder seine Aufgabe erfüllen. Der Markt lenkt, der Markt bringt in das Getriebe Sinn und Ordnung."9 Fügen sich solche Elogen noch ganz in die Tradition der Smith´schen invisible hand, so gibt von Mises dem urliberalen Credo eine aktivistische Wendung. Die soziale Synthesis durch den Markt stellt sich keineswegs naturwüchsig ein, wenn man nur störende Einflüsse aus dem Weg räumt, sondern bedarf der fortwährenden Initiative und Risikobereitschaft jener Protagonisten, die von Mises als Steigerungsform des homo agens einführt: der „unternehmendsten" oder „unternehmungslustigsten Wirte" 10: „Das Getriebe des Marktes wird nicht durch die Verbraucher und nicht durch die, die über die Produktionsmittel verfügen, in Gang gesetzt und gehalten, sondern durch eine Anzahl von Wirten, die durch die Ausnützung der Preisunterschiede gewinnen wollen, die Unternehmer. Das sind Wirte, die mit mehr Eifer und Geschick als die übrigen Wirte nach Verdienstmöglichkeiten Ausschau halten".11 Sie sind gewissermaßen die menschlicheren Menschen, weil sie das spekulative Moment des Handelns in besonders ausgeprägter Weise verkörpern, und sind damit zugleich das Vorbild menschlicher (Selbst-)Vervollkommnung.
Obwohl „die natürliche und erworbene Ungleichheit der Menschen auch die Anpassung der einzelnen Wirte an die Verhältnisse der Umwelt ungleich gestaltet"12, steht die Humanisierung aus dem Geist der Marktwirtschaft grundsätzlich jedem offen - wenn er nur entsprechend handelt. Entrepreneur ist, wer Chancen ergreift: „Jeder Einzelne kann Unternehmer werden, wenn er sich die Gabe zutraut, die künftige Gestaltung der Marktlage besser vorauszusehen als seine Mitbürger, und wenn seine Versuche, sich auf eigene Gefahr und Verantwortung zu bestätigen, Erfolg haben. Man wird Unternehmer, indem man sich - im vollen Sinne des Wortes - vordrängt und damit der Prüfung stellt, der der Markt ohne Ansehen der Person jeden unterwirft, der Unternehmer werden oder bleiben will. Jedermann hat die Wahl, ob er sich diesem strengen Prüfungsverfahren aussetzen will oder nicht. Er hat nicht darauf zu warten, daß man ihn dazu auffordert; er muss selbst aus eigenem Antrieb vortreten und muss sich selbst darum kümmern, wie und wo er die Mittel für die Betätigung als Unternehmer finden kann."13 Weil es vor dem Tribunal des Marktes zwar eine definitive Verurteilung, den Konkurs, niemals aber einen endgültigen Freispruch geben kann, ist unternehmerisches Handeln eine unabschließbare Anstrengung, die kein Ausruhen auf dem einmal Erreichten erlaubt. Beim Vordrängen ist Innehalten schon ein Rückschritt.
Israel M. Kirzner, ein Schüler von Mises´, greift dessen anthropologisches Basistheorem auf, „daß Menschen nicht nur rechnende Verwalter sind, sondern aufmerksam nach neuen Möglichkeiten Ausschau halten"14 und hebt wie sein Lehrer die spekulative Seite unternehmerischen Handelns hervor. Im Zentrum steht das Ausnützen von Arbitragemöglichkeiten. Der reine Unternehmergewinn ergibt sich, so seine These, „durch Entdeckung und Ausnutzung von Situationen, in denen er [der Unternehmer, UB] das, was er zu einem niedrigen Preis kaufen, zu einem hohen Preis verkaufen kann. [...] Er entsteht dadurch, daß er Verkäufer und Käufer einer Sache findet, für die die letzteren mehr zu zahlen bereit sind, als erstere verlangen. Die Entdeckung einer Gewinngelegenheit bedeutet, etwas zu entdecken, was ohne jede Gegenleistung erhältlich ist."15 Die entscheidende Eigenschaft eines Entrepreneurs ist deshalb seine „Findigkeit" (alertness): „Unternehmertum besteht nicht darin, nach einem freien Zehndollarschein zu greifen, den man bereits irgendwo entdeckt hat. es besteht vielmehr darin, zu entdecken, daß es ihn gibt und daß er greifbar ist."16
Findigkeit läßt sich verstehen als die Fähigkeit, schneller als andere und vor allem „ohne gezieltes Vorgehen zu lernen". Ausschlaggebend für den Informationsvorsprung, dessen Ausnutzen den Arbitragegewinn ergibt, sind nicht zielgerichtete „überlegte Suchbemühungen", sondern „spontane Entdeckungen".17 Weil Findigkeit eine „Gabe" darstellt, „derer sich Menschen in ganz unterschiedlichem Maße erfreuen", 18 läßt sie sich auch nicht in Lehrpläne pressen und antrainieren. Ob jemand findig ist, erweist sich immer erst ex post, wenn der Erfolg sich eingestellt hat - oder eben nicht. Gleichwohl hält Kirzner die paradoxe Aufgabe, Spontaneität zu fördern, keineswegs für unlösbar und bringt dazu ins Spiel, was die Systemtheorie Kontextsteuerung und die Pädagogik seit Maria Montessori vorbereitete Lernumgebung nennt. Als Entdeckungsraum kann nur der Markt selbst fungieren, der dazu - und spätestens hier erweist sich Kirzner als erzliberaler politischer Ökonom - so gestaltet werden muß, daß Findigkeit sich auch lohnt.19 Gewinnchancen lassen sich nur erkennen, wenn es sie gibt und sie nicht etwa durch hohe Steuern aufgefressen oder durch gesetzliche Auflagen blockiert werden: „Da sich Individuen offensichtlich in ihrer unternehmerischen Aufmerksamkeit unterscheiden, ist es klar, daß Gelegenheiten für gesellschaftlichen Fortschritt immer dann höchst erfolgreich wahrgenommen werden, wenn die institutionellen Gegebenheiten dies begünstigen; das heißt, die institutionellen Gegebenheiten müssen so ausgerichtet sein, daß sie derartige Gelegenheiten in einer Weise umgestalten, daß sie gerade von denen, deren unternehmerische Aufmerksamkeit und Findigkeit am feinsten, empfindlichsten und genauesten ausgeprägt ist, auch wahrgenommen werden."20 Die Selektion der unternehmerischen Individuen auf dem Markt soll nicht quasi naturwüchsig erfolgen, sondern fortwährender Wettbewerbsanreize bedürfen. Mit einer Politik des laissez faire ist es nicht getan; Findigkeit braucht aktive Stimulation. Auch das ist ein unabschließbares Projekt.
Wie von Mises und Kirzner zeichnet auch Joseph Schumpeter den Entrepreneur als eine Gestalt, die aus vertrauten Routinen ausbricht und neue Wege beschreitet, doch sieht er in ihm weniger den findigen Spekulanten als den schöpferischen Zerstörer und Innovator. Die Funktion des Unternehmers, heißt es in seiner mittlerweile klassischen Definition, besteht darin, „die Produktionsstruktur zu reformieren oder zu revolutionieren, entweder durch die Ausnützung einer Erfindung oder, allgemeiner, einer noch unerprobten technischen Möglichkeit zur Produktion einer neuen Ware bzw. zur Produktion einer alten auf eine neue Weise, oder durch die Erschließung einer neuen Rohstoffquelle oder eines neuen Absatzgebietes oder durch die Reorganisation einer Industrie usw."21 Nutzt der Unternehmer Kirzners und von Mises´ bestehende Ungleichgewichte, um Arbitragegewinne zu erzielen, und bewirkt dadurch Veränderungen, die zu einem (hypothetischen) Gleichgewichtszustand tendieren, so zerstört Schumpeters Unternehmer das bestehende (ebenfalls hypothetische) Gleichgewicht einer „Kreislaufwirtschaft" und bringt durch seine Innovationen Ungleichgewicht hervor.22
Weil ökonomisch gesehen das Durchsetzen, nicht das Finden oder Erfinden neuer Kombinationen ausschlaggebend ist, rückt Schumpeter den Machtaspekt unternehmerischen Handelns ins Zentrum. Unternehmertum ist demnach ein „Sonderfall des sozialen Phänomens der Führerschaft".23 Was den Entrepreneur von den übrigen unterscheidet, sind erst in zweiter Linie sein Wissen und Auffassungsgabe, in erster Linie ist es jedoch seine Willensstärke. „[D]er Typus des Führers ist charakterisiert einmal durch eine besondre Art, die Dinge zu sehen - dabei wiederum nicht so sehr durch Intellekt (und soweit durch diesen, nicht einfach durch Weite oder Höhe, sondern gerade durch eine Enge bestimmter Art) als durch Willen, durch die Kraft, ganz bestimmte Dinge anzufassen und sie real zu sehen -, durch die Fähigkeit, allein und voraus zu gehen, Unsicherheit und Widerstand nicht als Gegengründe zu empfinden, und sodann durch seine Wirkung auf andere, die wir mit &Mac226;Autorität', &Mac226;Gewicht', &Mac226;Gehorsamfinden' bezeichnen können".24 Schumpeter stilisiert den Unternehmer zum Heros der Moderne schlechthin: „ganz besonders traditions- und beziehungslos, der wahre Hebel der Durchbrechung aller Bindungen, und dem System der überindividuellen Werte sowohl der Schicht, aus der er kommt, als auch der Schicht, in die er steigt, ganz besonders fremd; ganz besonders auch Bahnbrecher des modernen Menschen und kapitalistischer, auf das Individuum gestellter Lebensform, nüchterner Denkweise, utilitaristischer Philosophie - das Gehirn, das zuerst in der Lage war und Anlaß hatte, Beefsteak und Ideal auf gemeinsame Nenner zu bringen".25
Heroische Kräfte braucht der Unternehmer vor allem um die Schwierigkeiten zu überwinden, die sich dem entgegenstellen, der sich außerhalb der gewohnten Bahnen bewegt: Sichere „Daten für seine Entschlüsse und Regeln für sein Handeln" fehlen, er kann sich nicht auf einen vorliegenden Plan stützen, sondern muß einen neuen erarbeiten, der, weil noch nicht erprobt, sondern „eine Vorstellung von Vorgestelltem" weit anfälliger für Fehler ist. „Nach ihm handeln und nach dem gewohnten handeln sind so verschiedene Dinge wie einen Weg bauen und einen Weg gehen: Und das Bauen eines Weges ist so wenig ein bloßes gesteigertes Gehen, als das Durchsetzen neuer Kombinationen ein bloß graduell vom Wiederholen der gewohnten verschiedener Prozeß ist."26
Angetrieben wird diese Gestalt nicht von hedonistischem Genußstreben, der unternehmerische Drang zu handeln speist sich aus anderen Quellen: „Da ist zunächst der Traum und der Wille, ein privates Reich zu gründen, meist, wenngleich nicht notwendig, auch eine Dynastie. [...] Da ist sodann der Siegerwille, Kämpfenwollen einerseits, Erfolghabenwollen, des Erfolgs als solchen wegen andrerseits. [...] Freude am Gestalten endlich ist eine dritte solche Motivfamilie, die zwar auch sonst vorkommt, aber nur hier das Prinzip des Verhaltens beschließt. Das kann sowohl bloße Freude am Tun sein [...] als auch speziell Freude am Werk, an der Neuschöpfung als solcher".27
Schumpeter stellt den Unternehmer in den Rahmen einer politischen Anthropologie, in der sich Führer und Geführte gegenüberstehen und die einen das dynamische, die anderen das statische Prinzip verkörpern. In den konkreten Personen mögen sich beide Momente in unterschiedlichen Kombinationen verbinden, bezogen auf die Funktion im ökonomischen Prozeß gibt es nur Neuerer oder Nachahmer. Schöpferische Gestaltung oder Routine, einen Weg bauen oder einen Weg gehen - tertium non datur. Die wirtschaftliche Entwicklung wird allein von den Entrepreneuren vorangebracht, die anderen verwalten die Bestände. Es herrscht die Semantik totaler Mobilmachung: Plus ultra lautet, so Schumpeter, das Motto des Unternehmers.28 - Immer noch weiter.
Den Ausgangspunkt von Frank H. Knights Bestimmung der Unternehmerfunktion bildet das Problem der Ungewißheit menschlichen Wissens und Handelns. Knight unterscheidet zwei Formen der Kontingenz: Auf der einen Seite stehen die Risiken, jene Ungewißheiten also, die sich mit Hilfe von Wahrscheinlichkeitskalkülen objektivieren und folglich durch Technologien der Versicherung oder Prävention auffangen, d.h. ökonomisch gesehen in ein Kostenelement überführen lassen. Auf der anderen Seite steht die „reine Ungewißheit", gegen die man sich nicht versichern und auch keine anderen Vorsorgemaßnahmen treffen kann, weil weder die Häufigkeitsverteilung noch ihre Parameter bekannt sind.29 Diese letzte Form der Ungewißheit treibt, so Knight, die Ausdifferenzierung der gesellschaftlichen Funktionen voran und bringt auch die Gestalt des Unternehmers hervor. Stärker als Schumpeter und erst recht als von Mises und Kirzner betont er dabei die institutionenbegründende und -erhaltende Rolle unternehmerischen Handelns.
Knights Entrepreneur „is simply a specialist in risk-taking or uncertainty bearing"30, und zwar in zweifacher Hinsicht: Weil er für den Markt produziert, muß er seine Entscheidungen an der künftigen Nachfragesituation ausrichten, die wiederum von den künftigen Bedürfnissen der Konsumenten abhängt und daher nicht exakt prognostizierbar ist. Zugleich hat er den Produktionsprozeß selbst zu steuern und die Arbeitskraft derjenigen zu disponieren, deren Einkommensunsicherheit er durch zeitweilige Garantie eines festen Lohns übernimmt. Da er auf ihr Handeln zwar einwirken, dieses aber nicht vollständig kontrollieren kann, bleibt auch hier der Erfolg seiner Anstrengungen ungewiß. Die Unternehmerfunktion der obersten Verantwortung im Sinne des Tragens von Unsicherheit ist nicht zu trennen von jener der obersten Leitung: „With human nature as we know it it would be impracticable or very unusual for one man to guarantee to another a definite result of the latter´s actions without being given power to direct his work. And on the other hand the second party would not place himself under the direction of the first without such a guaranty. [...] The essence of enterprise is the specialization of the function of responsible direction of economic life, the neglected feature of which is the inseparability of these two elements: responsibility and control."31 In dieser Kopplung von Entscheidung und Verantwortung liegt für Knight der Kern des Unternehmertums, weshalb er dem bezahlten Manager, der lenkt, aber nicht die wirtschaftlichen Konsequenzen zu tragen hat, den Unternehmerstatus abspricht, sofern er nicht auch zumindest partieller Kapitaleigner ist.
Aus der reinen Ungewißheit resultiert schließlich auch der Unternehmergewinn. Der Betrag, der dem Unternehmer nach Auszahlung aller vertraglich vereinbarten Faktorenkosten bleibt, erscheint in Knights Konzept jedoch nicht als Kompensation für die Übernahme von Ungewißheit, sondern als die Differenz, die durch die Ungewißheit zwischen dem erwarteten und dem tatsächlichen Wert der Faktorleistungen hervorgerufen wird. Unternehmensgewinn existiert nur, weil ökonomische Aktivitäten in einer sich beständig wandelnden Umwelt stattfinden und das Ergebnis alternativer Handlungsverläufe unbekannt ist. „Profit arises out of the inherent, absolute inpredictability of things, out of the sheer brute fact that the results of human activity cannot be anticipated and then only in so far as even a probability calculation in regard to them is impossible and meaningless. The receipt of profit in a particular case may be argued to be the result of superior judgment. But it is judgment of judgment, especially one´s own judgment, and in an individual case there is no way of telling good judgment from good luck, and a succession of cases sufficient to evaluate the judgment or determine its probable value transforms the profit into a wage."32 Zugespitzt formuliert: Profit ist eine Konsequenz des Irrtums. Nur weil viele den Ausgang ungewisser Handlungen oder Ereignisse falsch einschätzen, können jene, die dabei eine glücklichere Hand haben, Gewinne realisieren. Indem Knight die reine Ungewißheit ins Zentrum rückt, macht er das intuitive und dezisionistische Moment unternehmerischen Handelns stark. Entrepreneure zeichnen sich aus durch „confidence in their judgment and disposition to &Mac226;back it up' in action".33 Sie verzichten nicht darauf, reine Ungewißheit in kalkulierbare Risiken zu transformieren, wo dies möglich ist, aber sie wissen auch, daß der Erfolg sich nicht herbeirechnen läßt. Ohne rationale Planung und Kontrolle kommt keine Unternehmung aus, aber zum Unternehmer im Sinne Knights wird nur, wer immer wieder den Schritt hinaus ins Ungewisse wagt.
Die Unternehmerfunktionen, wie sie in den vorgestellten nationalökonomischen Entwürfen herausgearbeitet werden, sind keineswegs trennscharf voneinander abzugrenzen. Kirzners Findigkeit und Schumpeters Innovation, Knights verantwortliche Leitung und Schumpeters Führertum, Knights Tragen von Ungewißheit und von Mises´ Spekulation lassen sich zumindest partiell ineinander übersetzen. Die disparaten Bestimmungen beleuchten unterschiedliche (und keineswegs alle34) Facetten ein und desselben Verhaltenstypus, den die genannten Autoren anthropologisch aufladen, über den jedoch ihrer Auffassung nach nicht alle Menschen in gleichem Maße verfügen. Jeder könnte, aber nicht alle können. Es ist diese Kombination von allgemeiner Möglichkeit und ihrer selektiven Realisierung, welche die ökonomische Funktionsbestimmung zugleich zum Telos individueller wie kollektiver Optimierungsanstrengungen macht. Niemand ist ein „reiner" Entrepreneur, aber jeder kann und soll seine unternehmerischen Tugenden ausbauen. Ob das gelingt, erweist sich allein auf dem Markt und am Vorsprung gegenüber den Konkurrenten. Daß die Unternehmer-Qualitäten immer nur relational zu jenen der Mitbewerber zu bestimmen sind, verleiht ihrer Förderung den Charakter eines sportlichen Wettkampfs. Die Entwicklung von Entrepreneurship steht unter dem Diktat des Komparativs: Unternehmerisch handelt man nur, sofern und solange man findiger, innovativer, selbstverantwortlicher, führungsbewußter usw. ist als die anderen.
Alle vorgestellten Theorien grenzen Entrepreneurship von business administration, die Funktion des Unternehmers von der des rechenhaften und zweckrationalen Managers ab. In den Worten des Wirtschaftshistorikers Peter Temin: „Entrepreneurs are the agents of change, managers of stability. More precisely, as Frank Knight said, entrepreneurs deal with &Mac226;uncertainty' (that is, unmeasurable risk), while managers handle &Mac226;risk' (that is, measurable risk) [...]. Entrepreneurs are needed to introduce new machines and engines; managers are needed to operate them. Entrepreneurs strike out into the unknown; managers implement the known."35 Diesen Antagonismus von Erneuerung versus Erhaltung, Wagnis versus Kalkül hatte bereits Max Weber im Blick, als er den kapitalistischen Unternehmer als „die einzige wirklich gegen die Unentrinnbarkeit der bureaukratischen rationalen Wissens-Herrschaft (mindestens: relativ) immune Instanz" identifizierte.36 Der vielbeschworene Unternehmergeist ist gerade nicht die Rational-choice-Vernunft des Buchhalters, der bei jeder Entscheidung Kosten und Nutzen abwägt und den one best way sucht. Entrepreneurship findet ihr Vorbild weit eher im Genius des Künstlers, im strategischen Geschick wie der Entscheidungskraft des Feldherrn oder im Rekordstreben des Sportlers.
Schumpeter glaubte noch, darin Webers Rationalisierungstheorie folgend, die wirtschaftliche Entwicklung werde immer weniger Platz für unternehmerische Initiative und Innovation lassen und diese kapitalistische Variante des revolutionären Subjekts zum Verschwinden bringen. In der verwalteten Welt braucht es keine Heroen der „schöpferischen Zerstörung". „Rationalisierte und spezialisierte Bureauarbeit", mutmaßte er, „wird am Ende die Persönlichkeit, das berechenbare Ergebnis die &Mac226;Vision' verdrängen. Der Führende hat heutzutage keine Gelegenheit mehr, sich in den Kampf zu stürzen. Er wird zu einem Bureauarbeiter, zu einem, den zu ersetzen nur selten noch schwer halten wird."37 Vieles deutet darauf hin, daß exakt das Gegenteil eingetreten und die ökonomischen Bestimmungen der Unternehmerfunktion inzwischen zur allgemeinen Richtschnur individueller Lebensführung und mikro- wie makropolitischer Steuerungsmodelle avanciert sind. Gerade weil Ersetzbarkeit und Überflüssigkeit des Einzelnen offenkundig sind, erscheint die konsequente Umstellung des Handelns auf „schöpferische Durchsetzung neuer Kombinationen" als einzige Chance, der eigenen Ausmusterung zu entgehen. Wer sich nicht in diesen Kampf zu stürzen bereit ist, so die Maxime des enterprising self unserer Tage, der hat ihn schon verloren.


II.
In den vierziger Jahren, als Schumpeter seinen Abgesang auf den Unternehmer-Führer formulierte, wie in den Jahrzehnten danach gehörte die Diagnose einer verwalteten Welt nicht zuletzt zum festen Repertoire kritischer Gesellschaftstheorie. Heute ist dieser Topos keineswegs unzeitgemäß, er ist vielmehr allzu zeitgemäß geworden. Theodor W. Adornos Warnung vor der „anwachsenden organischen Zusammensetzung der Menschen" etwa, „davor, daß in ihnen selbst der Anteil der Apparatur gegenüber dem Spontanen ähnlich sich ausbreitet wie in der materiellen Produktion", seine Befürchtung, die „Negation des Begriffs des Kulturellen" bereite sich vor, weil „[s]eine Konstituentien: Begriffe wie Autonomie, Spontaneität, Kritik" kassiert werden,38 hallt längst wider in den Phrasen von Unternehmensberatern, Marketingexperten und Persönlichkeitstrainern, welche die Erneuerung der Gesellschaft wie des Individuums aus dem Geist der Entrepreneurship propagieren. Was ehedem als point de résistance in Anschlag gebracht wurde, nutzen die Propheten des Marktes inzwischen als sozialtechnologisch zu erschließende Ressource.39 Sie postulieren Selbstorganisation statt Reglementierung, Kreativität statt Kontrolle und übersetzen die Utopie von der „Verwirklichung des Allgemeinen in der Versöhnung der Differenzen"40 in das Versprechen allfälliger Win-win-Situationen und das Distinktionsgebot des „Brand yourself!"41.
Kritisch sind die zeitgenössischen Künder unternehmerischer Tugenden allemal, freilich in einem ganz anderen Sinne als dem Adornos. In endlosen Variationen erheben sie den immer gleichen Vorwurf: Es wird zuviel regiert. Bürokratische Strukturen blockieren Flexibilisierungsprozesse und Innovationen, staatliche Eingriffe verzerren die Selbstregulation durch Angebot und Nachfrage, „Vollkaskomentalität" verhindert Leistungsorientierung und Risikobereitschaft. Kurzum, was auch schiefläuft, schuld ist stets ein Mangel an Marktförmigkeit. Dem Einspruch gegen Bürokratie und politische Reglementierung korrespondiert die Anrufung eines sich selbst steuernden Subjekts sowie die Vorstellung einer prästabilierten Harmonie von individueller Interessenverfolgung und allgemeinem Wohlstand, die durch staatliche Interventionen nur gestört werden kann. Jede Institution, so die suggestive Botschaft, soll sich als Unternehmen, jeder Einzelne als Unternehmer seiner selbst begreifen, diese autonomen Wirtschaftseinheiten sollen in voller Selbstverantwortung, aber auch bei vollem Geschäftsrisiko ihr Glück machen, und sie sollen es umso eher machen können, je konsequenter sie auch ihre Binnenbeziehungen marktförmig gestalten. In Anlehnung an Foucaults etwas unentschiedene Definition der „Kulturform" der Kritik, die er als „die Kunst nicht regiert zu werden bzw. die Kunst nicht auf diese Weise und um diesen Preis regiert zu werden" bestimmte,42 ließe sich sagen, das unternehmerische Selbst will nicht bzw. nicht auf diese Weise und um diesen Preis regiert werden, sondern sich in allen Belangen selbst regieren.
Für dieses Programm der Selbstregierung liefern die Theorien der Entrepreneurship gewissermaßen die Blaupause. Was dort als ökonomische Funktionsbestimmung formuliert wurde, übersetzen zeitgenössische Coaching-Bücher und Management-Manuale in praktische Handlungsanweisungen. Die Anrufung des unternehmerischen Selbst erschöpft sich allerdings nicht in normativen Rezepten, sie bündelt nicht nur einen Kanon von „Du sollst dieses"- „Du darfst nicht jenes"-Regeln, sondern definiert auch die Wissensformen, in denen Individuen die Wahrheit über sich erkennen, die Kontroll- und Regulationsmechanismen, denen sie ausgesetzt sind, sowie die Praktiken, mit denen sie auf sich selbst einwirken. Anders ausgedrückt: das unternehmerische Selbst bildet den Fluchtpunkt jener Kraftlinien, die - unter anderem - in veränderten Formen der Betriebsorganisation (Stichwort: Intrapreneurship), in „neuen Steuerungsmodellen" der öffentlichen Verwaltung (Stichwort: Kunde als Bürger), in den Curricula von Schulen und Universitäten (Stichwort: Wissensmanagement), in Versicherungspolicen (Stichwort: private Vorsorge), in Förderprogrammen für Arbeitslose (Stichwort: lebenslanges Lernen), in „humanistischen" Psychotechniken (Stichwort: personal growth) oder den allgegenwärtigen Evaluationen (Stichwort: Qualitätsverbesserung) wirksam sind. Wenn im Folgenden vor allem die Subjektivierungsprogramme populärer Managementkonzepte und Erfolgsratgeber herauspräpariert werden, so gerät damit also nur ein kleiner Ausschnitt in den Blick, ein Ausschnitt freilich, in dem sich die zeitgenössische Unternehmenskultur in besonders „reiner" Form niederschlägt.
Das unternehmerische Selbst, wie es diese How-to-Literatur entwirft, hat weder Namen noch Adresse. Ein Exemplar dieser Spezies wird man weder in den Büros von Startup-Firmen noch sonst irgendwo finden. Ebenso wenig handelt es sich bei ihm um das, was in der empirischen Sozialforschung Modalpersönlichkeit genannt wird, das statistische Konstrukt eines Otto-Normal-Subjekts, das die in einer Gesellschaft am häufigsten vorkommenden Persönlichkeitsmerkmale in sich vereint. Es ist auch kein allerneuester Sozialisationstyp, wie er sich etwa aus Interviewstudien oder psychoanalytischen Fallgeschichten destillieren ließe, weder eine Charaktermaske im Sinne marxistischer Ideologiekritik, noch ein Rollenskript im Sinne der interaktionistischen Soziologie. Das unternehmerische Selbst bezeichnet überhaupt keine empirisch vorfindbare Entität, sondern die Richtung, in der Individuen verändert werden und sich verändern sollen. Es existiert nur im Gerundivum, als zu produzierendes und zu optimierendes. Ein unternehmerisches Selbst ist man nicht, man soll es werden. Dieser appellative, wenn nicht präskriptive und in Appell und Präskription das Subjekt erst konstituierende Grundzug unterscheidet es auch von einem Idealtypus im Sinne Max Webers. Um diesen zu bilden, sind nach Webers Wissenschaftslehre im Hinblick auf eine bestimmte Frageintention besonders charakteristische Elemente aus dem Material einer historisch-sozialen Konstellation zu entnehmen und zu einem „in sich einheitlichen Gedankengebilde" zu steigern.43 Einen aktuellen Idealtypus verkörpert etwa die Figur des „Arbeitskraftunternehmers", in dem die Industriesoziologen G. Günter Voß und Hans J. Pongratz „eine neue Grundform der Ware Arbeitskraft" ausmachen, die den „verberuflichten Massenarbeitnehmer des Fordismus" ablöst.44 Das unternehmerische Selbst stellt im Unterschied dazu keine heuristische Kategorie dar, die einer Sozialstrukturanalyse den Weg weisen könnte, sondern benennt die Ratio, auf welche die zeitgenössischen Technologien der Selbst- und Fremdführung zulaufen.
Wie wird man nun zum Unternehmer bzw. zur Unternehmerin seines Lebens? - Folgt man der Management- und Ratgeberliteratur, so steht am Anfang eine hermeneutische Anstrengung, bei der das angehende enterprising self einen imaginären Beobachter zweiter Ordnung installiert und sich mit den Augen potentieller Kunden betrachten zu lernt: Es wird „Zeit, endlich zu fragen: &Mac226;Wer bin ich?' Denn das ist es, was ihre Kunden sehen werden. Wen oder was sieht man, wenn man Sie in Augenschein nimmt? [...] Finden Sie heraus, welches Versprechen Sie der Welt geben wollen."45 Von Mises´ homo agens, der sich vordrängt und der Prüfung des Marktes unterwirft, kehrt wieder in der Empfehlung, sich selbst als Firma zu begreifen, eine Geschäftsidee zu entwickeln und sich dem Wettbewerb zu stellen: „Werden Sie sich bewußt über ihr D.A.T.A. (Desires, Abilities, Temperament, Assets = Wünsche, Fähigkeiten, Temperament, persönliche Aktiva), und entwickeln Sie daraus ein &Mac226;Produkt', mit dem Sie ihre Existenz sichern können. Jeder Markt wimmelt von Leuten, die Ausschau nach Produkten oder Dienstleistungen halten, selbst wenn sie keine Jobs anbieten. Sie müssen nur wissen, wie Sie ihre Ressourcen einsetzen können, daß Sie genau dem entsprechen, was die anderen suchen, wofür ein Markt da ist."46 Der „findige" Unternehmer in eigener Sache erkennt, um Kirzners Vergleich zu variieren, daß er selbst der Zehn-Dollar-Schein ist, den es zu entdecken und zu aufzuheben gilt.
Kundenorientierung allein macht jedoch noch nicht den Entrepreneur. Wie bei den Nationalökonomen nachzulesen, muß man die Kundenwünsche auch besser, schneller, zuverlässiger oder kostengünstiger befriedigen als die Konkurrenz. Mit durchschnittlichen Leistungen und Konformismus kommt man dabei nicht weit. Die Alternative lautet: „Seien Sie besonders ... oder sie werden ausgesondert!"47, eine Mahnung, die dem legendären „Sei spontan" an Paradoxie in nichts nachsteht und gerade wegen ihrer Uneinlösbarkeit als Individualisierungsgenerator funktioniert. Unangepaßtheit ist zu kultivieren, weil sie ökonomisch gesehen ein Alleinstellungsmerkmal darstellt. - „Commodify Your Dissent!"48. In geradezu penetranter Weise ergeht deshalb der Ruf an das Individuum, sich dem paradoxen Imperativ einer Selbstoptimierung zu unterwerfen, welche die Abweichung von der Norm zur Norm erhebt. Nur in dem Maße, in dem der Einzelne sich selbst als unverwechselbare Marke kreiert, hebt er sich von der Masse ab und vermag die Wettbewerber auszustechen. Für genormte und normalisierte Disziplinarsubjekte ist in der Unternehmenskultur kein Platz, gefordert sind Artisten des Alltags, die Exzentrik mit Effizienz verbinden. Im unternehmerischen Selbst feiert der romantische Traum vom Leben als Kunstwerk fröhliche Urständ: „Seien Sie virtuos!", fordert der wohl bekannteste Management-Guru, Tom Peters, sein Publikum auf, der die Exzentrik in seinen Büchern bis zur Auflösung der Ordnung von Ortho- und Typographie vorantreibt: „Ist ein Tag in Ihrem Projekt .... eine wirkliche Darbietung? Wenn nicht, gibt es etwas, das Sie tun können, j-e-t-z-t, um die Spannung/den darstellenden Effekt des aktuellen Projekts zu erhöhen, ... um es zu etwas zu machen, das Ihren uneingeschränkten Einsatz verdient."49
Die nationalökonomische Literatur hatte durchgängig das dezisionistische und voluntaristische Moment unternehmerischen Handelns betont: Was von Mises und Kirzner unter dem Stichwort Ergreifen von Chancen, Schumpeter unter Führertum und Knight unter responsible direction theoretisierten, findet sein Echo im Aktivismus aktueller (Selbst-)Management-Programme. Keiner propagiert den Vorrang der Tat entschiedener als wiederum Tom Peters; sein Loblied des heroischen Nonkonformisten kulminiert in einer Apotheose der Willenskraft, die selbst den Schumpeterschen Heroismus noch in den Schatten stellt. „Wenn Sie Spitzenleistungen erbringen wollen", zitiert er den IBM-Gründer Thomas Watson, „können Sie dies sofort schaffen. Hören Sie einfach noch heute damit auf, weniger als exzellente Arbeit abzuliefern. [...] Ob man den Sprung von hier nach da schafft, hängt zu 99,9 Prozent von der Entschlossenheit ab, ihn zu wagen und ohne Kompromisse an seinem Vorhaben festzuhalten, auch wenn einem von seiner Umwelt (einschließlich der lieben Kollegen) noch so viele Hindernisse in den Weg gelegt werden."50 Der Feind ist die Passivität des Abwartens, verkörpert in der lähmenden Schwerkraft institutioneller wie individueller Routinen. Überwunden werden soll sie durch ein Ethos des Beginnens, das nicht auf günstige Gelegenheiten harrt, sondern sie aktiv herbeiführt. Die Ungeduld des „Wann, wenn nicht jetzt" und der nahezu unerschütterliche „Glaube an die Macht des Glaubens an sich selbst"51 verstärken sich wechselseitig. Die suggestive Aufforderung „Laß Taten sprechen"52 duldet keinen Aufschub und erzeugt einen unabschließbaren Sog. Mit dem Anfangen wird man niemals fertig. Wenn der Erfolg allein von der eigenen Entschiedenheit abhängt, ist jeder Mißerfolg ein Beweis, daß man sich einfach noch nicht genug angestrengt hat. Das enterprising self bleibt deshalb stets hinter seinen eigenen Ansprüchen zurück, aber gerade diese Kluft zwischen Ideal und Wirklichkeit hält es in Bewegung.
Den Vorrang des Handelns zu proklamieren, impliziert zugleich, Reflexion und Planung wenn schon nicht abzulehnen, so doch auf den zweiten Platz zu verweisen. So zieht Peters gegen eine „zahlengläubige, rationalistische Managementlehre" ins Feld, die „für jede Entscheidung eine abgeklärte, analytische Rechtfertigung" verlangt, aber weder „die Hinwendung zum Kunden" lehrt, noch die elementare Erkenntnis vermittelt, „daß sich jeder gewöhnliche Mitarbeiter als Held und Gewinner fühlen muß".53 Dazu paßt es - auch das ein romantisches Erbe -, wenn Peters die Weisheit der einfachen Leute verklärt: „Ich lebe einen Großteil des Jahres in der bäuerlichen Umgebung von Vermont. Die Farmer dort beherrschen eine Unzahl von Dingen. Der durchschnittliche &Mac226;Hinterwäldler' aus meinem Bekanntenkreis ist ein cleverer Netzwerkarbeiter/Händler/Unternehmer mit vielen Fähigkeiten. Viele meiner Nachbarn besitzen keinen akademischen Grad, aber sie würden mühelos jeden durchschnittlichen Unternehmensmanager in die Tasche stecken."54 Im antiintellektuellen Ressentiment spricht sich der Verdacht aus, die Suche nach wissenschaftlich abgesicherten Entscheidungsgrundlagen führe geradewegs in die Entscheidungsunfähigkeit oder erweise sich zumindest als Bremskraft unternehmerischen Elans.
Der Wille zur unbedingten Beschleunigung entspringt nicht zuletzt einem Modus des Umgangs mit Kontingenz, der an Knights Bestimmung des Unternehmers als Träger „reiner Ungewißheit" erinnert. Während die Rationalisten der Managementtheorie Unsicherheit in kalkulierbare Risiken zu überführen und die Kontingenzen des Marktes mit den Mitteln probabilistischer Vernunft zu bändigen suchten, schlagen sich Peters und seine Kollegen auf die Seite der Ungewißheit. „Prognosen sind ein Relikt der Vergangenheit"55, erklärt der Protagonist von „Kreativem Chaos" und „Liberation Management". „Wir leben in einem chaotischen Zeitalter, soviel steht fest. Um damit fertig zu werden, gilt es jedoch nicht, das Chaos zu managen (und abzuwürgen), sondern die Vielfalt vorbehaltlos anzustreben."56 Zu diesem Zweck setzt er auf eine aktivistische Strategie des trial and error: „Anlegen - Feuer - Zielen", variiert er ein bekanntes militärisches Kommando. Was bei Kirzner noch nüchtern Lernen „ohne gezieltes Vorgehen" hieß, wird bei Peters zur plakativen Aufforderung: „Werfen Sie genug Spaghetti an die Wand, vielleicht bleibt etwas hängen."57
Um im Sinne Schumpeters „neue Kombinationen durchzusetzen", braucht es nicht zuletzt den Wagemut des Abenteurers: „Ein Soloist", so nennt Ratgeberautorin Harriet Rubin ihren Prototyp des enterprising self, „muss die Ängste loswerden, die ihn zum Spiel mit kleinen Einsätzen gezwungen und in einer kleinkarierten Identität festgehalten haben. Er muss sich auf das konzentrieren, was ihn begeistert, nicht darauf, warum er glaubt, dass seine Träume nie Wirklichkeit werden können."58 Selbst das Leben darf dem Soloisten nicht der Güter höchstes sein. Rubin radikalisiert die unternehmerische Entsicherung des Individuums zu einer an das faschistische viva la muerte erinnernden Todesverachtung: „Der Tod, so heißt es, ist eines der schönsten Geschenke, die der Menschheit gegeben sind, weil er uns befreit. [...] Eines Tages kommt sowieso jemand daher und schaufelt dir Dreck ins Gesicht, warum also nicht aufs Ganze gehen, alle Register ziehen und tun, wovon man immer geträumt hat, selbst wenn man dabei auf die Nase fällt. Na und?"59
Ganz ohne Sicherheitsdispositive kommt freilich auch die emphatischste Bejahung der Ungewißheit nicht aus, soll sie nicht in puren Hasard umschlagen. Was an Kontrolle fehlt, muß durch Stimulation wettgemacht werden. Die paradoxe Aufgabe, die Kontingenz zugleich zu steigern und nutzbar zu machen, läßt sich nur lösen, indem man von Fremd- auf Selbststeuerung umschaltet und die Entfesselung der Leidenschaften an die Stelle rationalen Kalküls treten läßt. Der Aktivismus braucht Akteure, die sich nicht hinter Betriebshierarchien oder persönlichen Sicherheitsbedürfnissen verstecken, sondern sich vorbehaltlos einsetzen und sich dabei nicht durch starre Dienstwege oder Selbstzweifel ausbremsen lassen. Was den Experten des scientific management ihre Krisen- und Entwicklungstheorien, ihr Organisations- und Planungsoptimismus, ihre Marktanalysen und Controlling-Werkzeuge, das sind den Propagandisten der unternehmerischen Tat daher die Begeisterung für die Sache, 150-prozentige Leistungsbereitschaft und Teamgeist - Qualitäten, die sich nicht disziplinarisch einüben oder amtlich dekretieren lassen, sondern mitreißender Appelle und enthusiasmierender Vorbilder bedürfen. Tom Peters titelt gleich ein ganzes Buch „Leistung aus Leidenschaft"60, und auch in den übrigen wimmelt es von „geradezu absurd motivierten Champions"61, „Firmenstürmern"62, „Superstar-Geschäftsleuten"63, „Sonderlingen", „Piraten"64 und anderen „neuzeitlichen Helden"65. Für letztere stellt er eine Liste von Eigenschaften auf, die in der Summe so etwas wie ein Anforderungsprofil des unternehmerischen Selbst abgeben: „Eigenständig", „Wandlungsfähig", „Leidgeprüft", „Wißbegierig", „Naiv wie ein Kind", „Unbelastet von der Vergangenheit", „Selbstsicher", „Lustig", „Waghalsig und ein wenig verrückt", „Bilderstürmerisch", „Multidimensional", „Ehrlich", „Überlebensgroß".66
Persönliches Charisma muß ausgleichen, was an formaler Autorität fehlt und, wo es aufkeimt, bekämpft wird. Den Typus des charismatischen Führers verkörpert Peters, der bei seinen Auftritten alle Register zieht und selbst vor dem Einsatz von Bühnennebel nicht zurückschreckt, in eigener Person. Doch nicht allein seine Performanz, sondern auch sein Evangelium folgt dem Prinzip der Führung durch Charisma. Spitzenunternehmen zeichnen sich, so eine Kernaussage aus seinem Bestseller „In Search of Excellence", dadurch aus, daß sie den Widerspruch zwischen Außen- und Innenorientierung auflösen: „Sie bieten ihren Mitarbeitern nicht nur Geld, sondern auch ein gewisses Zugehörigkeitsgefühl, nicht nur Selbstbestätigung, sondern auch eine &Mac226;Mission'. Jeder wird zum Pionier, macht Experimente, übernimmt Führungsaufgaben. Das Unternehmen vermittelt das Leitmotiv und schafft ein Klima der Begeisterung, das Gefühl, zu den Besten zu gehören, das Gefühl, selbst an anerkannter Qualität mitzuwirken. Auf diese Weise gibt jeder sein Bestes."67
Wenn sich auf den rasant wandelnden Märkten nur jene Unternehmen behaupten können sollen, die über flexible Formen der Organisation, „flache Hierarchien" und ein hohes Innovationspotential verfügen, liegt es nahe, auch die Selbstverwaltung der „Ich AG" auf Projektmanagement umzustellen. „Die Individuen", schreibt der britische Soziologe Nikolas Rose, „werden heute dazu angehalten zu leben, als ob sie ein Projekt aus sich selbst machten: Sie sollen an ihrer Emotionenwelt arbeiten, an ihren häuslichen und ehelichen Abmachungen, ihren Beziehungen mit der Arbeit und ihren sexuellen Lusttechniken, sie sollen einen Lebens&Mac226;stil' entwickeln, der ihren Existenzwert ihnen selbst gegenüber maximiert." 68 Die Selbstverwandlung „vom Subjekt zum Projekt"69 kennt kein Ziel, außer dem, sich immer neue Ziele zu setzen. Zur Definition einer Projektgruppe gehört es, daß sie sich im Hinblick auf eine bestimmte Aufgabe bildet und danach wieder auflöst. Ihre Zusammensetzung wie ihre Lebensdauer hängen allein an ihrer Funktion. Übertragen auf das Selbstverhältnis ergibt sich so das Bild eines nicht nur pluralen, sondern auch höchst fluiden Ego, das sich in immer neuen Zusammensetzungen rekombiniert. Das in den Subjektivitätstheorien der 80er und 90er Jahre verbreitete Schlagwort von der Patchwork-Identität wäre noch zu radikalisieren. Nicht einem Flickenteppich, der, einmal gewebt, sein Muster nicht mehr ändert, gleicht das unternehmerische Selbst, sondern einem Kaleidoskop, das bei jedem Schütteln ein neues Bild zeigt.
Erfolgreiche Teamarbeit in und an der eigenen Person beruht dabei nicht auf Kampf und Unterwerfung, sondern auf einem geschickten bargaining sowie der Fähigkeit, alle Teile des Selbst auf ein gemeinsames Ziel zu verpflichten. Kein autoritäres Regime des „Kopfs" über den „Bauch" ist gefordert, sondern Mitbestimmung und partnerschaftliche Kooperation. Weil das Ich, anders als ein „wirkliches" Unternehmen, sich seine Mitarbeiter weder aussuchen, noch sie bei unbefriedigender Leistung kurzerhand entlassen kann, bleibt ihm nichts anderes übrig, als die heterogenen Elemente miteinander zu versöhnen. Moralisierung ist dabei kontraproduktiv: Es gibt keine guten und schlechten Persönlichkeitsanteile, sondern nur ein gut oder schlecht kooperierendes Team. Um „Erfolgsblockaden", etwa aufgrund eines Streits zwischen „Karriere-" und „Lebensfreudeteil", zu beseitigen, empfiehlt ein „Coach Yourself" betitelter Ratgeber daher, eine interne Konferenz einzuberufen, den „Kreativen Teil" hinzuzuziehen und am runden Tisch nach Möglichkeiten zur Verbesserung der Zusammenarbeit zu suchen. Identität ist in diesem Persönlichkeitsmodell Corporate Identity: die „Gewißheit, eine starke Mannschaft von vielen &Mac226;wahren Ichs' in sich zu haben."70 Schumpeters noch ganz dem totalitären Geist der Zwischenkriegszeit verhafteter „Führer" ist gewichen einem demokratischen Moderator und aktiven Mannschaftskapitän, der Entscheidungen nicht von oben herab dekretiert, sondern das Team zusammenhält und zu Höchstleistungen anspornt. Die „Führung der Führungen", so Foucaults Formel für die Praktiken des Regierens und Sich-selbst-Regierens,71 beruht nicht länger auf dem Prinzip von Befehl und Gehorsam oder einer disziplinierenden Abrichtung, sondern folgt dem Vertragsmodell wechselseitig verbindlicher Commitments.
Ob die widerstreitenden Seelen in der eigenen Brust sich allerdings mittels Selbstverpflichtung befrieden lassen, darf bezweifelt werden. Wer sich zwischen Karriere und Lebensfreude hin- und hergerissen fühlt, bleibt aber jedenfalls in Bewegung. Den Einzelnen mit widersprüchlichen Anforderungen zu konfrontieren, ist ein durchgängiges Kennzeichen der Mobilisierung des unternehmerischen Selbst. Der Katalog von Schlüsselqualifikationen, wie ihn die Managementliteratur gleichermaßen postuliert und zu vermitteln verspricht, muß selbst den ehrgeizigsten Selbstoptimierer vor uneinlösbare Aufgaben stellen. Die strukturelle Überforderung ist gewollt, erzeugt sie doch jene fortwährende Anspannung, die den Einzelnen niemals zur Ruhe kommen läßt, weil er jeden Fortschritt in der einen Richtung durch entsprechende Anstrengungen in der Gegenrichtung ausgleichen muß. Subjektivierung erweist sich hier als Kunst des Balance-Haltens, einer Balance allerdings, die nicht nach einer imaginären Mitte strebt, sondern nach der Kopräsenz der Extreme.
Die nationalökonomischen Theorien der Entrepreneurship hatten Manager und Unternehmer, agents of stability und agents of change in strikte Opposition zueinander gesetzt. In der zeitgenössischen Unternehmenskultur amalgamieren die beiden Funktionen in dem Maße, in dem das einzig Stabile einer Institution wie eines Individuums die Notwendigkeit bleibt, sich fortwährend zu ändern, um die diskontinuierlichen und immer schnelleren Marktturbulenzen bewältigen zu können. Das unternehmerische Selbst ist zunächst und vor allem auf die Findigkeit, Innovation und die Übernahme von Unsicherheit geeicht, aber es soll zugleich die minutiöse Kontrolle und vorausschauende Planung nicht preisgeben. Auf der einen Seite soll es ein detailbesessener Rationalisierer und Risikomanager des eigenen Lebens sein, auf der anderen Seite ein Motivationsgenie, das unablässig nach neuen Höchstleistungen strebt und ein Dauerfeuerwerk kreativer Ideen abbrennt. Diese paradoxe Gleichzeitigkeit hat der australische Soziologe Pat O´Malley im Blick, wenn er nicht das „rein" unternehmerische Selbst, sondern die Hybridform des „enterprising-prudent subject"72 als Ratio neoliberaler Sozial- und Selbsttechnologien ausmacht. Der unternehmerische und der besonnen kalkulierende Handlungstyp, so seine Vermutung, stehen dabei in einem Verhältnis wechselseitiger Verstärkung: „Such subjects expend resources on the means of risk management form the surplus they create through the exercise of uncertainty."73
Der Mobilisierung des Gegensätzlichen korrespondieren gegensätzliche Strategien der Mobilisierung: Selbstdisziplinierung und Selbstenthusiasmierung laufen parallel, was auch die offensichtliche Inkohärenz der Programme erklärt, die stets beide Optimierungsmodi zugleich proklamieren. Der disziplinierenden Kontrolle und Übung dienen Checklisten, Vertragsformulare und Feedback-Systeme, der Entfesselung von Leidenschaft Affirmations-, Autosuggestions- und Grenzüberschreitungstechniken. Gibt das eine den subjektiven Anstrengungen die Richtung, so liefert ihnen das andere die Energie. Das unternehmerische Selbst erweist sich als ein Effekt der gleichermaßen widersprüchlichen wie unabschließbaren Anstrengung, eines zu werden.

Vor der Unternehmenskultur, welche die „schöpferische Zerstörung" und die Kopräsenz der Extreme zum Programm erhebt, versagen - das sei abschließend nur angedeutet - die vertrauten Modelle der Kritik. Das Koordinatensystem hat sich verschoben: Begriffe wie Autonomie, Selbstorganisation, Dissidenz oder auch Befreiung haben die Fronten gewechselt, und es ist unklar, wo überhaupt die Fronten verlaufen bzw. ob es noch Fronten gibt und nicht wechselnde Konstellationen die eindeutigen Grenzziehungen abgelöst haben. Fanden die kritischen Einsprüche gegen die „Regierbarmachung der Gesellschaft und der Individuen"74 ehedem ihren gemeinsamen Nenner darin, das passive Regiertwerden durch ein aktives Sich-selbst-Regieren ersetzen zu wollen, so verliert dieses Programm in dem Maße seinen Stachel, in dem Freiheit nicht mehr die Antithese von Herrschaft darstellt, sondern den avanciertesten Modus ihrer Ausübung. Kritik tut sich schwer mit Dispositiven der Menschenführung, die Widersprüche ins Leere laufen lassen, indem sie diese zum Programm erheben. Wir sind Zeitgenossen einer epochalen Transformation der Gouvernementalität, die sich nicht zuletzt dadurch auszeichnet, daß ihre Rationalitätskriterien, Sozialtechnologien und Selbstpraktiken die Gegenkräfte vergangener Konfigurationen absorbiert haben. Was ehedem Widerstandspositionen markierte, fungiert inzwischen als Innovationsmotor. Störpotentiale sind zu Lernhilfen mutiert, die, als kybernetische Rückkopplungen eingebaut, Anpassungsbedarf signalisieren und ein flexibles Aussteuern ermöglichen. Der Ort des Nein ist ungewiß geworden. - Eine kritische Theorie der Unternehmenskultur hätte, darin ihrem Gegenstand mimetisch verbunden, zunächst ihre eigene Kontingenz anzuerkennen, statt unbeirrt alte Positionen zu verteidigen oder hektisch neue zu beziehen. „Träger von Ungewißheit" ist nicht nur das unternehmerische Selbst, sondern auch sein Kritiker.



Fussnoten

1 Zit. nach der Tagungseinladung.

2 Ludwig von Mises: Nationalökonomie. Theorie des Handelns und Wirtschaftens (1940), München 1980; Israel M. Kirzner: Wettbewerb und Unternehmertum, Tübingen 1978; ders.: Unternehmer und Marktdynamik, München/Wien 1988; Joseph Schumpeter: Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung, München/Leipzig 21926; ders.: Art. Unternehmer, in: Handwörterbuch der Staatswissenschaften, hrsg. von Ludwig Elster, Adolf Weber, Friedrich Wieser, 8. Bd., Jena 41928, S. 476-487; Frank H. Knight: Risk, Uncertainty and Profit (1921), New York 1964, ders.: Profit and Entrepreneurial Functions, in: The Journal of Economic History, Vol. 2 (1942), S. 1126-132. - Überblicke über die nationalökonomische Literatur, auch die ältere, zu den Unternehmerfunktionen bieten u.a. Michael Hofmann: Das Unternehmerische Element in der Betriebswirtschaft, Berlin 1968; Dieter Schneider: Unternehmer und Unternehmung in der heutigen Wirtschaftstheorie und der deutschsprachigen Nationalökonomie der Spätklassik, in: Harald Scherf (Hg.): Studien zur Entwicklung der ökonomischen Theorie V, Berlin 1986, S. 29-79; Robert F. Hébert/Albert N. Link: The Entrepreneur. Mainstream Views & Radical Critiques, New York 21988; Burkhard Wetzel: Der Unternehmer in der Nationalökonomie, Köln 1995.

3 von Mises: Nationalökonomie, S. 245.

4 Schumpeter: Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung, S. 111.

5 Ebd., S. 116.

6 von Mises: Nationalökonomie, S. 30f.

7 Ebd., S. 8.

8 Ebd., S. 246.

9 Ebd., S. 250f.

10 Ebd., S. 258, 272.

11 Ebd., S. 285.

12 Ebd.

13 Ebd., S. 273.

14 Kirzner: Unternehmer und Marktdynamik, S. 17.

15 Ders.: Wettbewerb und Unternehmertum, S. 39.

16 Ebd., S. 38.

17 Ders.: Unternehmer und Marktdynamik, S. 170.

18 Ebd., S. 171.

19 Vgl. dazu auch mit ähnlicher Stoßrichtung Friedrich August von Hayek: Der Wettbewerb als Entdeckungsverfahren, Kiel 1968 (Kieler Vorträge, Neue Folge 56).

20 Kirzner: Unternehmer und Marktdynamik, S. 171.

21 Joseph Schumpeter: Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie (1942), Tübingen 61987, S. 214.

22 Vgl. Kirzner: Wettbewerb und Unternehmertum, S. 58f.

23 Joseph Schumpeter: Art. Unternehmer, in: Handwörterbuch der Staatswissenschaften, hrsg. von Ludwig Elster, Adolf Weber, Friedrich Wieser, 8. Bd., Jena 41928, S. 482.

24 Ders.: Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung, S. 128f.

25 Ebd., S. 134.

26 Ebd., S. 124f.

27 Ebd., S. 138f.

28 Ebd., S. 137.

29 Vgl. Knight: Risk, Uncertainty, and Profit, S. 197ff. Niklas Luhmann hat Knights Unterscheidung von Risiko und „reiner" Ungewißheit aufgenommen und seiner Soziologie des Risikos (Berlin/New York 1991) zugrunde gelegt.

30 Knight: Profit and Entrepreneurial Functions, S. 129. - Knight ist hier selbst begrifflich unpräzise und spricht auch im Falle „reiner Ungewißheit" von Risiken, wie die Fortsetzung des Zitats zeigt: „[E]ntrepreneurial risks should not include such hazards as damage by fire and storm, or burglary and embezzlement, which can be covered by insurance."

31 Knight: Risk, Uncertainty, and Profit, S. 270f.

32 Ebd., S. 311.

33 Ebd., S. 270.

34 Vgl. zum Überblick über weitere in der Literatur angeführte Unternehmerfunktionen die tabellarische Auflistung im Anhang von Martin Reckenfelderbäumer: Zentrale Dienstleistungsbereiche und Wettbewerbsfähigkeit, Wiesbaden 2001, S. 421-427.

35 Peter Temin: Entrepreneurs and Managers, in: Patrice Higonnet (Hg.): Favorites of Fortune. Technology, Growth, and Economic Development since the Industrial Revolution, Cambridge 1991, S. 339f.

36 Max Weber: Wirtschaft und Gesellschaft, Tübingen 51972, S. 129.

37 Schumpeter: Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie, S. 216.

38 Theodor W. Adorno: Kultur und Verwaltung, in: Ges. Schriften, Bd. 8: Soziologische Schriften I, Frankfurt/M. 1972, S. 137f.

39 Das gilt auch für jene Verhaltenslehre, die Helmuth Plessner in den zwanziger Jahren den Gemeinschaftsideologien der Zwischenkriegszeit entgegenstellte. Um sich unter den Bedingungen totalisierter Konkurrenz zu behaupten, braucht es gerade jene Eigenschaften, die Plessner für seinen antitotalitären Kampf zu mobilisieren versuchte: Durchsetzungswillen und -kraft („Pflicht zur Macht"), die Beherrschung des Spiels mit Drohung und List („Logik der Diplomatie"), Anpassung an die Verhaltenscodes und Rituale von Unternehmen bei gleichzeitiger Virtuosität individueller Selbstpräsentation („Zeremoniell und Prestige"), um nur einige Kapitelüberschriften aus den „Grenzen der Gemeinschaft" (1924) zu zitieren.

40 Theodor W. Adorno: Melange, in: Minima Moralia, Frankfurt/M. 1984, S. 130.

41 Vgl. Tom Peters: The Brand Called You, http://www.brandyou.com.

42 Michel Foucault: Was ist Kritik?, Berlin 1992, S. 12.

43 Max Weber: Die „Objektivität" sozialwissenschaftlicher und sozialpolitischer Erkenntnis, in: ders.: Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre, hg. von Johannes Winkelmann, Tübingen 71988, S. 191.

44 G. Günter Voß/Hans J. Pongratz: Der Arbeitskraftunternehmer. Eine neue Grundform der Ware Arbeitskraft?, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 50 (1998), S. 131-158.

45 Harriet Rubin: Soloing. Die Macht des Glaubens an sich selbst, Frankfurt/M. 1999, S. 84f.

46 William Bridges: Manager in eigener Sache. Wie man sich auf dem neuen Arbeitsmarkt durchsetzt, München 1998, S. 85.

47 Tom Peters: TOP 50 Selbstmanagement. Machen Sie aus sich die ICH AG, München 2001, S. 8.

48 Vgl. Thomas Frank/M. Weiland (Hg.): Commodify Your Dissent, New York 1997.

49 Peters: TOP 50 Selbstmanagement, S. 136, 139.

50 Ders.: Der WOW! Effekt. 200 Ideen für herausragende Erfolge. Das Tom Peters Seminar 2, Frankfurt/New York 1995, S. 15/16.

51 So der Untertitel von Rubin: Soloing.

52 Peters: Das Tom Peters Seminar. Management in chaotischen Zeiten, Frankfurt/M./New York 1995, S. 305.

53 Ders. /Robert H. Waterman jun.: Auf der Suche nach Spitzenleistungen. Was man von den bestgeführten US-Unternehmen lernen kann (1982), Landsberg/L. 151993, S. 53.

54 Peters: Der WOW! Effekt, S. 22/23.

55 Ders.: Kreatives Chaos, S. 21.

56 Ders.: Das Tom Peters Seminar, S. 68.

57 Ders.: Der WOW! Effekt, S. 217.

58 Rubin: Soloing, S. 98.

59 Ebd., S. 100.

60 Tom Peters/Nancy Austin: Leistung aus Leidenschaft. Über Management und Führung, Hamburg 1986.

61 Peters: Kreatives Chaos. Die neue Management-Praxis, Hamburg 1988, S. 278.

62 Ebd., S. 51.

63 Ders.: Der Innovationskreis, Düsseldorf/München 1998, S. 128.

64 Ders.: TOP50 Selbstmanagement, S. 190.

65 Ders.: Der WOW! Effekt, S. 344.

66 Ebd., S. 344-346.

67 Peters/Waterman: Auf der Suche nach Spitzenleistungen, S. 368.

68 Nikolas Rose: Das Regieren von unternehmerischen Individuen, in: Kurswechsel, H. 2/2000, S. 14.

69 So der Titel von Vilém Flussers Techno-Anthropologie (Schriften, Bd. 3, Düsseldorf 1994).

70 Cora Besser-Siegmund/Harry Siegmund: Coach Yourself. Persönlichkeitskultur für Führungskräfte, Düsseldorf u. a. 1991, S. 132. Es drängt sich geradezu auf, solche Vorstellungen eines pluralen Ich in Beziehung zur den psychiatrischen Fachdiskurs inzwischen weit überschreitenden Diskussion über „multiple Persönlichkeiten" zu setzen. Während die Figur des unternehmerischen Selbst eine Assoziation aus verschiedenen konkurrierenden und kooperierenden Elementen darstellen soll, leiden multiple Persönlichkeiten gerade unter der - durch schwerste Traumatisierungen verursachten - Dissoziation ihrer als eigenständige Personen agierenden Anteile. Vielleicht erklärt sich der Aufstieg dieses Krankheitsbildes (bzw. die Konjunktur des Redens darüber) nicht zuletzt aus der Parallelität der zugrundeliegenden Subjekt-Konzepte. In den Therapien für multiple Persönlichkeiten versucht man jedenfalls, wenn schon keine Integration, so doch ein lebbares Nebeneinander der Teil-Personen zu erreichen, indem man die Betroffenen darin unterstützt, ihre disparaten Stimmen zu moderieren und auf die Einhaltung gewisser Kommunikationsregeln zu verpflichten.

71 Michel Foucault Das Subjekt und die Macht, in: Hubert L. Dreyfus/Paul Rabinow: Michel Foucault. Jenseits von Strukturalismus und Hermeneutik, Frankfurt/M. 1987, S. 255.

72 Pat O´Malley: Uncertain subjects: risks, liberalism and contract, in: Economy and Society, Vol. 29 (2000), S. 465. O´Malley konturiert die beiden Seiten in enger Anlehnung an Knights Unterscheidung von Risiko und Ungewißheit: „The prudent subjects of neo-liberalism should practise and sustain their autonomy by assembling information, materials and practises together into a personalized strategy that identifies and minimizes their exposure to harm. Such risk management is frequently, and perhaps increasingly, associated with access to statistical or actuarial technologies and expert advice that render measurable the (probabilistic) calculation of future harms. As suggested, these precise forms of predictive calculation are possible only to the extent hat the future is imagined to repeat the past [...] Enterprising subjects are imagined as innovators, who "reinvent" themselves and their environment. [...] In this governmental imaginary, innovation and enterprise are forays - if not into the unknown - then into a future that cannot be mathematically calculable, or even derived form expert knowledge and theory, precisely because it will be successful to the extention that creates a future distinct form the past and present" (ebd.).

73 Ebd., S. 480.

74 Ders.: Was ist Kritik?, S. 12.


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