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Die Reise nach Glarus und ins Clönthal
Karl Gotthard Grass, 1796

Reiseerfahrungen und Bemerkungen zuhanden eine Reise in die Berge vorhabender Künstler
Karl Gotthard Grass, 1796

Schilderung des Gebirgsvolkes vom Kanton Glarus- Die Reise von Näfels ins Klöntal
Dr. Johann Gottfried Ebel, 1802

Bemerkungen auf einer Alpen-Reise
Karl Kasthofer, 1825

Die Kreideketten im Norden des Klönthals
Dr. Karl Burckhardt, 1896

Über den Pragel
Kaspar Freuler

Exkursion der Naturforschenden Gesellschaft
Glarner Nachrichten, 7.10.1946


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Die Reise nach Glarus und ins Clönthal


Am Freytage den 22. Juli fuhr ich in Gesellschaft einiger Zürcher-Freunde, Heß, Meyers, Geßners mit dem Glarner-Boten ab. Ich werde krank, sagte Heß, wenn ich nicht alle Jahre einige Bergreisen machen kann.
Die Fahrth auf dem Zürichsee hat mir nie sehr gefallen. Er ist gegen seine Länge nicht breit genug, und die Ufer haben etwas beengendes, weil da auch das kleinste Pläzchen vermaurt und verzäunt oder bebaut ist. Hinter Stäfa wird die Aussicht in die Eisberge größer, romantischer, aber von Schmerikon weg, wird die Natur immer anziehender. Man sieht ihr freyeres Spiel und hölzerne Hütten. Hinter Kaltbrunn kommt man ins große Gebierg. Da rauschen die herabströmenden Bäche, durch ausgehölte Steinbetten, waldigte Gruppen steigen aus der Tiefe empor, und hohe Wallnußbäume beschatten die Straße. Weil es heftig regnete, hatten wir uns auf den Wagen des Glarner Boten gesezt, und wir mußten uns das Vorübereilen der Gegenden gefallen lassen. Der erste Anblick der hintereinander- sich schichtenden gewaltigen Berge ergriff mich mit entzückender Begeisterung.

Ein Mädchen aus dem Toggenburg sezte sich bey der Ziegelbrücke mit in den Wagen. Sie war ungemein lustig, und gestand sie habe einen kleinen Rausch. Dennoch war alles was sie sagte und that, höchst unbefangen. Sie antwortete auf alle Fragen, wenn sie nur die Antwort wußte, und sie gab, was sie hatte, aber sie nahm auch was man ihr darbot. Auf unsere Bitte sang sie auch. Wir alle freuten uns der herzlichen Unbefangenheit und des frohen Sinnes dieses Naturkindes. O wenn ich dann an die gezierten, verschrobenen mechanischen Puppen in der großen Welt dachte! -

Der Weg nach Glarus über Näfels hat für denjenigen der eben in die Schweiz kommt, etwas unbeschreiblich Großes. Ungeheure Massen mit steilen Felswänden, scheinen das sonst ansehnliche Thal zu verengen und zu verdunkeln. Der heftige Regen nur hinderte uns den Anblick ganz zu genießen.
Dem ohngeachtet war es mir als ich in Glarus unter dem hohen gewaltigen Kegel des Glärnisch stand, als hätte ich noch keine Berge gesehn. Ein dunkles Violet floß an seinen Wänden herunter, flimmerte an der hohen Spize. Ein ungeheurer Obelisk den die Natur aufrichtete, steht er da, fest und unbeweglich, als säh man es seiner eisernen Stirne an, in welchen Stürmen und Wettern er schon da stand. Ich fühlte etwas so Beengendes unter den furchtbaren Felskolossen die dieses Thal bilden, daß ich sagen mußte: Hier möcht ich nicht wohnen! Leise wiederholte mein Herz diesen Ausruf, als ich im Wirthshause dem politischen Dispüt einer ansehnlichen Gesellschaft aus dem Orte beywohnte, wobey vor Lärm keiner des Andern Wort hörte.

Das Interesse das man hier und an den mehresten Orten der Schweiz an den Angelegenheiten Frankreichs nimmt, hängt überall mit dem Einfluß zusammen, den der Krieg auf den Handel und Absatz der Waaren hat. In der ganzen Welt ist keine Realität so einleuchtend als die des Geldes.
Es war wieder hell geworden und die Witterungszeichen versprachen dauerhaft gutes Wetter. Die Wolken giengen hoch und hatten die Felsen, woran sie wie kleine Inseln hangen, wenn die Luft sich verdicket, verlassen.
Unser kleines Gepäck und etwas kalten Braten, nebst Wein hatten wir einem Jungen Burschen zu tragen gegeben, und wir folgten mit unseren Portefeuilles. Im Dörfchen Rietern fanden wir unter und über der Brücke interessante Standpunkte zum Zeichnen. Die Fälle der Löntsch, die
zwischenliegenden Felsenstücke, die angrenzenden Hütten, der gewaltige Glärnisch, der vorliegende Buchenhügel, bilden von jedem Standpunkte aus malerische Ansichten. Mannigfaltigkeit und Größe machen die Gegenden um Glarus zu den interessantesten in der Schweiz, aber dem Haßlital kommt es doch nicht gleich. Es hat nicht die schöne Ausdehnung und das große, und zugleich freye Amphitheater jenes Thales. Zusammengedrängt und eckigt, stößt es das Auge unsanft zurück, und die wilde Natur durchbricht hier überall den Schleyer der Anmuth.
Eine Stunde weit hinauf führt ein bequemer Weg in's Clönthal. Zur Rechten Gesträuch und Felsen, zur Linken die donnernde Löntsch. - Es soll hier eine Stelle seyn, wo das Wasser sich in eine Schlucht hinein und dann durch eine runde Felsenöfnung wieder herauswerfen soll. Man nennt es das Choli-Loch (Kohlenloch, wahrscheinlich weil es schwarz ist; Choli ist hier auch ein gewöhnlicher Name von Hunden). Ich hörte erst nachher davon, man versicherte mich aber daß es jeden Reisenden frappiert habe.
Es hat immer etwas Belohnendes, wenn man sich aus einem dunkeln Thal, betäubt vom Lärm der stürzenden Bäche auf die Höhe gearbeitet hat. Ganz besonders ist dies der Fall, wenn man zum Clönthal-See kömmt.
Kein Dorf, Kein Flecken mehr - Natur, Natur! - Grüne kleine Hügel mit wenigen Heuställen zwischen Ahornen versteckt, fassen wie mit grüner Borte den hellen, grünlich-blauen, Spiegel des Sees ein. Die Sonne gieng am hohen Bragel unter, und streifte zwischen das Felsenthal am Ende des Sees, an die linke Uferseite, versilberte den Wasserfall, färbte höher das grüne, röthete die Felsen des Glärnisch und ein grau violetter duftiger Schatten-Ton versteckte alles Rauhe der furchtbaren Gebürgwände. - Im dunkelgrünen Schatten lag die Gegenüberseite und das ganze Bild, die grünen Hügel, der Wasserfall, die Ahorne, die röthlichen Felsenplatten, der duftige Schatten und ein kleiner Ausschnitt vom heitern Himmel warf sich mit unbeschreiblichem Zauberreiz in den Spiegel des Sees und der Wiederschein schien den Boden desselben zu berühren, so lang dehnen sich Schatten und Lichte. -
O himmlische, himmlische Natur! rief mein wonnetrunkenes Herz. Hier ist Friede, hier ist Ruhe! bey dir ist Friede, bey dir nur Ruhe. Hier, geschieden von der Unterwelt und dem beengenden Gewirre ihrer Verhältnisse am Busen des Freundes ruhen, allsruhen und die Sonne sinken sehn - o das ist das höchste, was jezo meine Seligkeit machen könnt! - Wie sehnt' ich mich nach dir mein K. bey Jeder neuen Ansicht - in Jedem sonnigten Moment vermißte ich dich, und selbst der in Gedanken mit dir getheilte Genuß gieng zu weilen in ein Gefühl über, als ob du wirklich da wärest. - Wir ruhten am Hügel, o das ist doch schön, das ist doch prächtig! war aller Ausruf. Wir öffneten unser Fäßchen und tranken ein Glas von unserm Wein,

Der Abendröthe Schein
Fiel auf des Glases Spiegel,
Es blinkte sich drin der Hügel
Mit sanftem Wiederschein.
Wir tranken ihn herab
Den hellern Sonnenfunken
Und Kummer war versunken
Wohl in das tiefste Grab.
O mal in meinem Wein
Du Malerin! o Sonne!
Des schönsten Abends Wonne,
In sanftem Wiederschein!

Eine neue Welt lag in meinem Herzen und aus ihr heraus bereicherte und veredelte sich die Schöpfung. Wie sieht man so anders, wenn das Herz freudetrunken ist! Die große, reiche, herrliche Natur war das Thema meiner Seele, das ich bey jedem Schritt von neuem wieder aufnahm und woran ich mich nicht satt empfinden noch überdrüssig denken konnte. Nie hab ich eine größere Mannigfaltigkeit von Kräutern und Blumen gesehen, als ich an diesem Abend an dem Steinpfad am See erblikte. Jede Ansicht des Sees gewährte ein neues Bild. Das Thal wurde dunkel und nun glänzten, die uns im Rücken gelegenen Berge desto feyerlicher und ihre klaren Gipfel malten sich in dem beschatteten See. Tiefe Stille rings umher! Einzelne Glökchen von grasenden Kühen tönten. Es murmelte der Wasserfall der unweit Geßners Denkmal (von Zwikky) niederfällt. Ich lief immer einige Schritte voraus um allein zu seyn.
Mit einemmal - ein furchtbares Geräusch, wie wenn Steine zermalen würden. Es wird immer stärker, Kugeln fahren durch die Luft und plumpen in den See nieder. Ich konnte mich kaum besinnen so sehr hatte mich das Getöse verwirrt und erst nach einigen Minuten sah ich das Niederrieseln unzähliger Steine an einer Rüffi, einem Steinlager, das wie ein Stük Chaussee vom Berge herabhängt. Die größeren flogen in großem Bogen, und ganze Massen bröckelten sich oben am Kalkberge los. Es war ein interessanter Anblick, aber die Gefahr, wenn man gerade im Augenblicke des Schusses unter eine solche Rüffi käme, wäre auch nicht zu verkennen.
Hinter dem See liegt ein sehr ländliches Thal. Wiesen, Ahornen, Hütten, Kirschbäume, gruppiren sich durcheinander. Unser Freund Heß kam uns entgegen, er erzählte, welche Mühe es ihm gemacht, uns beym Heiri Pegliger, in einer Hütte, die uns empfohlen war Quartier zu verschaffen. Die Frau hatte gewaltig viel Lärm gemacht sie könne keine fremden Leute beherbergen, es sey ihr Hüsli von Knechten besezt und kein Wirthshaus.
In solchen Fällen ist ein Reisender, der die Sprache nicht kann gar übel daran. Unser Freund ließ sich nicht irre machen. Wir sind keine fremde Lüt. I bin da wol oft gesy und kenne die und die Herren in Glarus, und die hent uns herrekommandiert. Wo soll man by der Nacht hin? wir wolle ja gerne bezahle was ihr went und zu Esse hän wir selbst wan ihr nüt geben wend.
Endlich ließ sie sich bewegen und wir wurden sehr freundlich empfangen. Unser Freund hatte inzwischen Milch gekauft, die kochte sie uns und brachte Brod, Anken und Honig. Eine Lampe, aus einem Stück Unschlitt und daran geklebten Tocht erhellte spärlich das Zimmer. Die Knechte lagen am Ofen, und die Frau, die schon über 60 Jahre, aber noch sehr froh war, sezte sich zu uns und schwazte. Vor Jeder Verneinung gieng ein behütis Gott! vorher, und bey einer Bejahung hieß es, Ja ordentli.
Am andern Morgen wurde das Nachtessen unser Frühstück und wir zahlten, für unser Nachtquartier vier Glarner-Rubel. Unsre beyden Gefährten blieben hier zurück, und ich gieng mit Heß zur Reichisauer Alpe. Merkwürdiges fanden wir dort nichts, aber ein gar liebliches Ahorn-Wäldchen und darunter liegende Hütten. Ein Junger Senne, der uns zeichnen sah, lud uns in seine Hütte. Kraft und Leben und eine glückliche Sorglosigkeit charakterisierten fast alle Menschen, die wir hier sahen. Weiber sieht man fast gar nicht. Die bruchid wir do nüt, sagte mir ein junger Kerl, und hier scheint der Mangel der Weiber dem Glück der Menschheit nicht den geringsten Abbruch zu thun.
Was hätt ich drum gegeben auf diesem so heimlichen Pläzchen nur einen oder den andern meiner fernen Freunde herumführen zu können. Getrennt von Menschenhaufen in der Stille der Gebürge eines Freundes Stimme zu hören, ist uns der erfreulichste Laut den ein Menschenohr hören kann. In eben dem Verhältnisse steigt der Genuß an allem sinnlich zu kostenden. Ein Glas Wein ist ein Nektar. Eine Pfeife Tabak begeistert. (Berge! Berge! auf euern Gipfeln wird Körper und Geist gestärkt und das Herz wird groß.) daß ich euch alle ihr kleinlichen ihr kraftlosen, ihr sybaritischen Menschen, auf ein Hochgebürge zaubern, und euch in die Seele rufen könnte: Seyd nicht mehr so klein, erhebt euch zur Einfachheit, zur Seelenkraft, werdet Menschen, werdet natürlich!
Von einem Hügel herab überschauten wir die Gegend. Der Hinterberg des Glärnisch vollendet das große Bild, daß wir schon an seinem Fuße in Glarus bekommen, mit gewaltigen Zügen, und doch ist der obere Theil, wo man über drey Stunden auf Gletschern geht, dem Aug verborgen. Wenn ich mir die ganze Masse des Glärnisch vorstelle, so hab ich das größeste Bild, das mir aus der Schweizernatur geblieben ist. Der Bragel, der Wannerstok, der Ochsenstok, der Rötetistok, die man alle von diesem Alphügel sieht, sind ganz unbedeutend, gegen dem ungeheuren Koloß des Glärnisch. - Am Hinterberg des Glärnisch zieht sich die Roßmattalp herauf. Unter dem Ochsenstok weg geht man auf die Langeneckalp. Mit Hülfe eines alten Sennen, (Rathsherrn Gallati) orientirten wir uns in der Gegend und dies ist ein nothwendiges Mittel, wenn man ohne Führer gehen will, und wegen der Größe dieser Berge ist es sehr anwendbar.
Gelbröthlich war der Horizont gegen Sonnenuntergang, ein Zeichen von fortdaurendem gutem Wetter. Heß ließ sich bald bewegen, denn ein Freund der Natur darf nicht träg seyn, und wir giengen ohne Weg zu haben, wie wir uns die Lage imprimirt hatten, nach der obern Langeneckalp zu. Ein Junger Bursche an der Höhe erhob ein fürchterliches Geschrey, so daß ich glaubte, er sey wahnsinnig, oder er halte uns für Franzosen. Selbst mein Freund blieb stehen. "Was will der Ma?« - aber er redete nur mit seinen Ziegen, die an seine Sprache und Töne besser gewohnt seyn mochten, als wir es waren.
Es war 7 Uhr Abends als wir auf der Höhe anlangten, und merklich kälter. Wir sahen ringsum eine Menge Heerden und kamen endlich zu den Hütten. Der Senn, den uns die Frau des Pegligers als einen grundfeynen Menschen geschildert hatte, war wirklich ausnehmend gefällig. Während der Senn mit seinen Knechten die Kühe melkte, zeichnete ich die Hütte. Die Kühe blieben stehn und stierten mich als etwas ihnen Fremdes an, und der Stier der Heerde fieng ein fürchterliches Gebrüll an. Das ist alliwyl sein Bruch, sagten die Leute, ha ist ä wüster (wüschter) Kezer. Etwas gekochte Milch, Anken und Brod war unser Abendessen, dann giengen wir, unsrer 9. an der Zahl schlafen. Etwas trockenes Bergheu, worüber grobe Tücher gedeckt waren, war unser Lager. Um zwey Uhr morgens wekte mich mein Gefährte und ein paar Knechte, die die Heerden hüten, damit sie nicht auf den Abhang sich verlieren, standen mit uns auf, und machten Feuer an. Der Kessel wurde aufgesezt. Ein großes Stück Butter wurde darin geschmolzen und einige Handvoll Mehl mit einigen Löffeln voll Suffi verdünnert, darinn umgerührt. In wenigen Minuten war das Essen fertig, welches Fentsch heißt und schmeckte
vortrefflich. Wenn man statt der Butter frischen Rahm nimmt, heißt es Kium, von umkien (umwerfen) ein gewöhnliches Schweizer Verbum. Wir hatten guten Appetit, und bald nachher traten wir unsere Wanderung auf die höhe Scheue, (Schie) an. Der eine Knecht war unser
Führer und in fünf Viertelstunden waren wir an dem lezten Absatz der Höhe. Noch schien der Mond, und Dunkel ruhte in den Thälern. Wir sezten uns unter dem Wind an einem Precipice, wo es nur des geringsten Stoßes bedurft hätte, um ins Thal herab zu fahren. Es war sehr kalt. Bey einer Pfeiffe Toback erzählte uns unser Führer, wie sich einst ein paar Männer, wegen eines Kalbes, das beyde sich vindicirten, so geschlagen hätten, daß beyde auf der Stelle tod gefunden wurden. Ein Stein bezeichnete jezt die Stelle.
Um halb vier Uhr langten wir auf der Scheue an. Die Sonne gieng auf, nicht ganz heiter, welches nur nach einem Regen der Fall seyn soll. Es war ä chli g'hei, (ein wenig dunstig), dennoch konnte man den Wallenstatter und den Zürich- den Greifen- und den Bodensee, den Sentis, Camor, die Bündner Berge, Spitzen vom Tirol, den Märzstok, das Klönthal, die Urnerberge, einen Theil des Schneeberges auf dem Glärnisch, den Rigi, den Schweizerhacken und die Kette bis zum Albis herab deutlich sehen. Es war ein gewaltiger Anblick. Zacken und Hörner, die man in der Tiefe gar nicht sieht, umlagerten den Gipfel, auf welchem wir standen. Eine Menge kleiner Thäler erhoben sich zwischen ihnen. Wenn es ganz klar ist, soll man eilf (eintlif) Seen sehen.
Froh und munter und von der hohen Bergluft erquickt, eilten wir wieder herunter. Unser Führer versicherte, es sey ihm eine große Freude die hohen Berge zu beklettern. Instinktmäßig treibt das Wohlgefühl diese Menschen hinauf.
Die kleinen Steine fielen meinen Gefährten in die Schuh. Hier, meinte der Mann, brauche man nicht zur Pönitenz auf Erbsen zu gehen. Sind denn eure Pfarrer so böse? fragte ich. O nein! Wenn man änne brav zu esse giebt. - Auch dieser war ein froher Mensch. Wir fragten: was er bekäme? Etwa 25 bis 30 Glarner-Gulden. Seine Kleidung war ein Hemdrock mit einer Kappe über den Kopf zu ziehen; lange Hosen und mit Eisen beschlagne Schuhe beschüzten den nackten Fuß. Die Kühe geben hier aufs höchste 3 bis 4 Maaß (etwa 8 bis 10 Stof) Milch. Gemeinde-Alpen giebt es im Glarner-Land gar nicht. Es ist unglaublich auf was für steile Triften hier das Vieh hinaufgeschleppt wird, aber über alle Beschreibung ist die Verwegenheit der Wildheuer. Dies sind arme Leute, die an den Orten, wo keine Güter sind - an meist unzugänglichen Pläzen - das Gras abschneiden. Siebzig bis 100 Pfund ist schon ein ansehnlicher Tagesertrag und dafür riskirt ein solcher Mensch eben so vielmal sein Leben. Indessen sind die Beyspiele von Verunglückten doch selten. Das macht die Gewohnheit und sie versehen sich auch immer mit hohen Crampons an den Schuhen. - Gemse sind nicht sehr selten in dieser Gegend, besonders auf dem Glärnisch, wo man sie noch Herdenweis antrifft. Unser Führer verließ uns mit einem geringen Trinkgeld sehr zufrieden, und um 6 Uhr waren wir wieder in der Hütte. Man wollte uns ein Essen bereiten, wir aßen aber nur etwas frische Nideli, und gaben unserm Wirth, der uns höflich sagte, als wir nach unserer Zeche fragten, er habe die Kreyde vergessen, etwas freywilliges. Er war zufrieden und lud uns höflich ein wiederzukommen.
Mit frohem Herzen verließen wir die Hütte und hüpften den Berg herab. Mehr der Schatten, als die Hofnung etwas Malerisches zu finden, lokte uns zu dem Fall der Clö, die von der Roßmattalp herabkommt. Wir fanden den Fall selbst nicht recht malerisch, aber einige interessante Parthien am Bach, die wir zeichneten und malten.
Ich hatte weder Hunger noch Durst, weder Schlaf noch Müdigkeit aber ein Herz voll Ruhe. Fast drey Tage lang hatte mein Aug sich an der großen Natur geweidet und sie hatte meine ganze Seele erfüllt. Neben diesem großen Gefühl konnte keine kleinliche Leidenschaft statt finden, keine ängstliche Lebenssorge - nur das Bild der Freundschaft stand neben dem Bild der Natur, in erhabner himmlischer Größe.
Im Schatten des Ahorn-Baumes hingeworfen trank ich mit wohllüstigen Zügen die Kräuterreiche Luft. Der Bach rauschte und sein Murmeln täuschte mich als hört' ich bekannte Stimmen. Kein unbefriedigtes Verlangen war in meiner Seele; ich hatte über die Berge weggeschaut, ich hatte mich größer als sie gefühlt.
Die Vergangenheyt gieng in sanftem Schleyer gehüllt an mir vorüber. Ich hielt sie einen Augenblick an und entließ sie sanft, ohne mit ihr zu hadern. Ich hatte keinen Feind. Der große Friede der Natur war in mein Herz übergegangen.
Bey allem dem war nichts schwärmerisches in meiner Seele. Die Würklichkeit und der Mensch in der Würklichkeit stand mir klar vor Augen. Ich wußte ich würde hier nicht bleiben, ich wußte daß auch diese Menschen in größerer Nähe verliehren, und daß sie nicht viel glücklicher sind als andre, weil sie es nicht wissen- aber ich wußte auch, daß in diesem Augenblick des Genusses für mich etwas reales lag. Ich wollte nicht die ganze Welt nach meinem Ideal harmonisiren, ich wollte gerne dulden, um nur mit meiner Empfindungsweise in Ruhe gelassen zu werden.
Mein Freund war schon vor zwey Stunden zu unserm ersten Nachtquartier gegangen. Ich erschrak da ich die Uhr auszog daß es schon über 1 Uhr wäre. Unsere beyden Freunde waren indessen nach Glarus gegangen, und das halbe Fäßchen war noch ungeleert. Unsre Wirthin war nun überaus freundlich, und ich konnte es mir wohl erklären, wie diese Leute, die so wenig fremde Menschen sehn und es doppelt empfinden, wenn, wie es doch der Fall ist, ihnen
twas entwendet wird, gegen Fremde Mißtrauen und Ungeneigtheit mit ihnen zu thun zu haben empfinden. Sie erzählte uns ganz treuherzig wie ihr Sohn Jokeli ihr zugeredet habe die Fremden zu beherbergen. Wir hinterließen den übrigen Wein, daß es dieser Jokeli bekommen sollte. Indessen trinken die Aelpler fast gar keinen Wein. Unser Führer auf der Scheue erzählte uns wie er einmal einen Rausch bekommen hätte, und da wir ihn fragten, wie viel er denn getrunken? so war es nur ein kleines Spizgläschen Kirsch-Geist.

Fröhlich begannen wir nun unsere Rückwanderung. Die Wärme, der Wein, und die liebliche Kühle am Clönthalsee lockten uns zum Niedersizzen, und wir beide waren eingeschlafen. Es giengen Menschen und Saumrosse mit Zieger vorbey, aber ich hörte nichts, o auch dieser Moment des Erwachens war herrlich:

So wacht auf neuem Wandelpfade,
An Lethens stiller Zauberflut,
Der Pilger auf. Sein Auge ruht
Auf unbekanntem Weltgestade.
Des neuen Himmels reine Glut,
Glänzt wo sich seine Augen wenden,
Und tausend Bilder von der schönsten Wahl,
Vereinen sich in einem Zaubersaal,
Bedekt mit einem zarten Flor,
Sind des Vergangnen Gräberhaine,
Und wie ein lieblich's Meteor,
So steigen nun im Rosenwiederscheine,
Erinnerungen vor'ger Zeit empor.
Die Liebe und die Freundschaft wallen
Ihm nach auch in die beßre Welt,
Sie kränzen ihm des Eingangs Zauberhallen,
Und seiner neuen Kindheit erstes Lallen,
Ist Liebe - und die Thräne fällt.

So war meine Empfindung - als ich beym Erwachen den herrlichen Clönthal-See und meinen Freund Heß neben mir erblickte. So ruhig wäre in Italien weder mein Schlaf noch mein Erwachen gewesen. Eben als wir in Glarus ankamen, begegneten uns unsre beiden Freunde, die aus dem Linnthal zurücke kamen, und auch voll von der Herrlichkeit jener Natur waren. Das Wetter hatte sich geändert, ich verschob die Wanderung dahin, für ein andermal, und gieng mit einem Gefährten über Nettstall, Mollis auf Wesen, wo wir uns trennten.

Karl Gotthard Grass, 1796


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Reiseerfahrungen und Bemerkungen zuhanden eine Reise in die Berge vorhabender Künstler

(..) Die Sorge für Gesundheit muß eine Hauptsorge eines Reisenden sein. Ein Rock, der einem Ueberrock gleicht, nur etwas kürzer ist, mit einfacher Reihe Knöpfe und guten, festen Taschen, möchte die beste Kleidung sein. Diesen rollt man, wann es heiß wird, zusammen und hängt ihn über die Schulter. Noch notwendiger aber ist, Erkältung zu vermeiden, wenn man geschwitzt hat, eine wollene Flanellweste, die man auf bloßem Leibe unter dem Hemde trägt, sonst ist heftiger Schweiß und schnelles Kaltwerden unvermeidlich. Kurze, leichte Stiefel sind sehr gut, der Fuß wird in dem betauten Grase nicht so naß, und die Steine fallen nicht so häufig hinein, als bei Schuhen. Eben so gut aber, und vielleicht noch besser möchten Camaschen von Leder oder dickem Tuch sein.
Für die rauhe Morgenluft, oder um ohne Schaden aus einer Quelle zu trinken, ist etwas eingemachter Calmus, oder die kleine Aeniskuche sehr gut zu gebrauchen. Für Durst in der Hitze, etwas Salpetersalz. Zur Stillung des zu sehr in Bewegung gesetzten Blutes kann man etwas Cremor Tartari mit Eleosacharum Citri vermischt, mitnehmen. Für Blasen an den Füßen etwas getrocknete Schweinblase oder Hirschunschlitt. Ein Fläschchen Kirschgeist ist in allen Fällen sehr dienlich, entweder einen sehr ermüdeten Teil zu waschen, oder es mit warmer Kühmilch zu mischen, welches ein vortreffliches Getränk gibt. Kalter Braten oder geräucherte Wurst kommt einem auch wohl zu statten. Im Regen ist ein leichter Regenschirm oder ein halber Mantel von festem Zwilch durchaus besser als ein Wachsmantel. Dieser hitzt und zerbricht leicht." (..)

Karl Gotthard Grass, 1796


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Schilderung des Gebirgsvolkes vom Kanton Glarus

Die Reise von Näfels ins Klöntal

(..) Während ich an der Löntschbrücke in stummem Erstaunen dieses große Gebirgsgemählde betrachtete, gesellte sich ein Glarner mit freundlichem Gruße zu mir. Sein Weg ging ins Klöthal. Mein Entschluss war sogleich gefaßt. Auf sein Wort, dort oben in der Sennhütte übernachten zu können, ging ich, statt nach Glaris, rechts dem Gebirge zu. Ich liebe die biedern Alpensöhne, und der aufrichtige Ausdruck dieses Gefühls gewinnt mir schnell ihr Zutrauen. mein Gefährte sprach mit mir wie mit einem alten Bekannten. Ich befriedigte seine Wißbegierde, und er vertauschte mir dagegen den ganzen Kreis seiner Vorstellungen und Gedanken. Unter manchen andern Erzählungen zeigte er mir auch einen Gletscher mit den Worten: "Dort war sonst die schöste und fruchtbarste Alp von der Welt, ihr reicher Besitzer wurde übermüthig und pflasterte den Weg dorthin mit Chäs und Brod, auf daß seine Geliebte sanft aufträte; dafür strafte ihn Gott den nächsten Winter, und seit der Zeit ist die ganze große Alp unter Eis und Schnee begraben." der gute Aelpler erzählte dies mit der ganzen Zuversicht eines gewesenen Augenzeugen. So überträgt bei einfachen Völkern die mündliche Tradition aus den fernsten Jahrhunderten von Geschlecht zu Geschlecht Ereignisse aller Art, wenn sie an Vorstellungen der regen Phantasie geknüpft sind.

Von Nettsthal zieht sich der Berg nach Riedern im einsamen Thälchen zwischen dem ungeheuren Fußgestell des Wiggis und Glärnis, und eines Hügels nahe der Linth. Mahlerisch lehnen sich die hölzernen Hütten diese Dörfchens an überwachsene Felsentrümmer, oder verbergen sich unter Zweigen schattenreicher Bäume. Der Löntsch stürzt in wilden Sätzen aus schwarzem Schlunde, und sein lautes Getöse durchdringt die Stille der hehren Natur. Gleich hinter dem Dörfchen führt eine bedeckte Brücke über den Fluß und das Steigen hebt an. Ein Wald von Buchen und Ahornen überzieht diesen mächtigen Felsenfuß, durch welchen sich die rasende Löntsch ein scheußliches Bett gewühlt hat. Bald berührt der Weg den Rand dieses Abgrundes, auf dessen Wildheit der Blick mit Schauer verweilt; bald ist er vom Gebüsch verdeckt, und das Tosen des Stromes ist dumpfer; bald ruht das Auge auf begrasten Plätzen, wo Kühe und Ziegen weiden. So geht es steil bergauf eine starke Stunde. Auf einmal öffnet sich das liebliche Alpthal; links die senkrechten Wände des nackten trotzig drohenden Glärnis, rechts der rauhe Wiggis, im Hintergrunde der Pragel, und in der Mitte des grünenden Thales ein Stunden langer See, auf dessen blaugrünlicher Fluth die Bilder der mächtigen Felsennatur schwimmen.

Eine Brücke führt über die Löntsch bei ihrem Austritt aus dem See auf das westliche Ufer, über welches eine schöne Beleuchtung den süßesten Reiz ausgegossen hatte. Liebliche Auen wallen bis ans steile Gebirge, kleine niedliche hölzerne Heuhütten, Ahorngruppen, weidendes Vieh beleben das frische Grün, und vom See lispelt's aus dem Schilf durch die hohe Stille. Hinter einem Buchenhain beginnt der Pfad am Fuß des Glärnis über herabgeschleuderte Steinmassen empor zu klimmen. Das Chaos der umher liegenden Trümmer ist mit Gesträuch, Bäumchen und Moos bewachsen. Bald steht man auf einem ungeheuren Felsstück, das zwei andere mindrer Größe trägt. An der Vorderseite des einen Blocks, von den drei Bäumchen beschattet, ist folgende Inschrift eingehauen:

Salomon Geßnern
Wollte die Natur
Ein Denkmal
Stiften, und sie
Ließ hier seinen
Namen verewigen
Durch Z. u. K.

Dicht daneben liegen zwei Steine, welche dem Wanderer Sitz und Lehne anbieten, und nicht weit von hier murmelt ein Wasserfall dem See zu. Der Gedanke war vortrefflich, hier in den hohen Alpen dem geliebten Idyllen-Dichter und Mahler ein so einfaches und dauerndes Denkmal zu setzen. Denn wahrlich dies Thal ist geschaffen, um Hirtengedichte einzugeben.

Der Abend rückte heran und die Licht- und Schattenwürfe wurden immer ausserordentlicher. Die letzten Sonnenstrahlen erhöhte das Grün der Alpenkräuter, welche sie streiften, zu dem glänzendsten Schmelz, und warfen zwischen die tiefen Schlagschatten Goldstreifen und Lichtstellen, deren entzückende Wirkung nicht zu beschrieben ist. Die Felsenscheitel rötheten sich, und ein violetgrauer Duft verhüllte die rauhe Nacktheit ihrer Wände. Mit magischem Zauberreiz lag dieses Gemählde im Spiegel des Sees. Von den Wiesen schallte von Zeit zu Zeit das Glockengeläut der Kühe, und auf einmal tönte der einfache Klang eines Hirtenhorns aus weiter Ferne durch die hohe heilige Stille dieses erhabenen Naturtempels. Von so ganz neuen Eindrücken innigst berührt sah ich lauschend auf die Bewegung meiner Gefühle. Welch einen Zauber des Friedens, welche beseligende Herzensruhe empfand ich hier! In dem Schooße solcher Natur kehrt der Mensch zur edlen Einfalt zurück, und wird regbar empfänglich für alles, was Unschuld, Schönheit und tugendhafte Größe an sich trägt. Nie werde ich dich vergessen, reizendes Alpenthal, mein Herz wird stets die himmlische Schwärmerei und die reine harmonische Stimmung, die ich an deinem Busen empfand, mit Wonne erneuern.

Mein Führer mahnte mich zum Aufbruch. Das Thal lag schon im Abenddunkel, und wir hatten noch über eine Stunde zur Nachtherberge. Ungern verließ ich meinen Sitz neben dem Geßnerischen Denkmal und folgte dem guten Aelpler. Von der Löntschbrücke verfolgten wir die östlichen Ufer des Sees; denn nur auf dieser Seite hat man seinen Fluthen und den Felsen eine Strasse abgewinnen können. Sie zieht sich an äußerst jähen Abhängen dahin, und ist nicht ohne Gefahr; denn öfters wälzen Steintrümmer gleich Schneelawinen auf den Weg herab. Am Ende des Sees tritt man wieder in ein liebliches Wiesenthal, Seerüti genannt, wo mehrere geräumige Wohnungen, wie man sie nicht erwartet, zerstreut liegen. Mein Begleiter führte mich in eines dieser Häuser, wo ich mit treuherzigem Handschlag und dem herzlichen Gott grüß üch empfangen wurde. Die gute Hausfrau bewirthete mich mit Milch, Rahm, Honig, Butter und Brod, mit allem, was die Vorrathskammer besaß, und gab mir ein leidliches Bett.

Mit anbrechendem Tage weckte mich das Geräusch der Sennen, welche auf hoch gelegene Alpen abgingen. Der frühe Morgen in diesem Thale zeigte mir ein ganz neues Schauspiel. Das Aufgehen der Sonne kündigten augenblicklich die glänzenden Felsenscheitel des Glärnis und entfernter Gebirge an, deren Halberleuchtung mit dem nebelgrauen Gewande der ganzen übrigen Natur die grellste Wirkung hervorbringt. So wie sich das Lichtmeer immer weiter und tiefer ergoß, ward das magische Spiel der Lichtwürfe und Schattenmassen zwischen den ungeheuren Felsgestalten lebhafter und außerordentlicher. Plötzlich entstanden hie und da an den steilen Wänden Nebelfaden, und bald Dunstflecken, die mit jedem Augenblick grösser wurden, sich überall in derselben Höhenlinie vermehrten, und einen leichten Kranz von weißem dünnen Rauch bildeten, der hüpfend jeden Augenblick ein anderes Gebilde gaukelt, eben so schnell verschwindet als wieder erscheint, und dann bisweilen zusammenrollend sein wahres Wesen zeigt, und als Wolke die Reise durch das weite Luftall antritt. Dieser Rundtanz zarter Nebelgestalten, welche die Ankunft des Lichts zu feiern scheinen, ist ein ungemein unterhaltendes Schauspiel, dem man lange mit Vergnügen zusehen kann.

Der Morgenthau goß ein neues junges Leben über das herrliche Wiesenthal, welches in gleicher Ebene eine Stunde weiter bis an den Felsenfuß des Pragels fortsetzt, der plötzlich sich senkrecht empor hebt. Gruppen von Ahorn- und Kirschbäumen, Wasserfälle und Felsmassen verbreiten eine mahlerische Mannigfaltigkeit über diese schöne Flur, welche das köstlichste Winterheu liefert. Westlich bildet die Klö einige Fälle, welche von der Rosmatalp an dem Hinterglärnis herabströhmt.

Unverkennbar ist rund umher des Seerüti die Kesselform eines Sees, welcher dieses ganze Thal füllte, als der Glärnis und Wiggis noch ununterbrochen zusammenhingen. Von allen Seiten führen Bergströhme den steten Abfluß der ungeheuren Eis- und Schneelasten der Glärnis-Pragel-Wiggisfamilie in diesen Klöthalkessel herab, und geben dem See ewige Nahrung. Diese Ströme sind so stark, daß man hoch aus den Gebirgen von den Grenzen des Kanton Schwiz Holz herunter flößt. Ehedem deckten große Waldungen die meisten Bergrücken zwischen Pragel und Wiggis bis an das Klöthal herab; jetzt sind sie schon sehr licht gehauen. Das meiste Holz, das in den See herabgeführt wird, kommt aus dem gebiet von Schwiz, dessen südlich Gebirgsabhänge nach dem Klöthal herabschauen. Glarner Spekulanten kaufen dort ganze Wälder an, lassen sie fällen, die Stämme spalten und in die Bergströme werfen. Die Holzflößer folgen allen Irrwegen dieser Bäche, und arbeiten bald vom Rande, bald im Wasser, bald an Seilen in den tiefen Schlünden hängend mit langen Stangen, um die Hindernisse im Lauf des Holzes zu heben. In dem See wird aus allen Stämmen ein großer Floß gebildet, und die ganze Masse durch Stricke und günstige Winde bis an den Ausfluß desselben gebracht. hier muß das Holz wieder aus einander gelöst einzeln in die Löntsch geworfen werden, durch deren fürchterlichen Schlund, in welchem die Flößer sich der höchsten Lebensgefahr ausstzen, es nach dem großen Thal von Glarus in die Linth geströmt wird. Der Klöthalsee hat 1 Stunde Länge und 1/4 Stunde Breite, und ernährt besonders viele und große Hechte.

Der einzige Gebirgspaß aus dem Kanton Glarus in den Kanton Schwiz geht durchs Klöthal über den Pragel. In zwei bis drei Stunden gelangt man auf die Höhe dieses breiten und mit Klippen überzogenen Berges, und in etwas kürzerer Zeit von da herab ins Muttathal. Auf einer meiner nachmaligen Wanderungen bestieg ich im Monat Mai den Pragel von Mutten aus. Im Thale prangte die ganze Natur im Blüthenkleide, und nur eine Stunde am Pragel hinan befand ich mich plötzlich nach Siberien versetzt. Unübersehbar war das Schneefeld, welches ich ohne Weg und Steg durchwaten sollte. Ohne einen sehr kundigen Aelpler aus Mutten, den ich mit mir genommen hatte, wäre ich gezwungen gewesen zurück zu gehen; denn der Schnee lag so hoch, daß weder Vertiefungen noch Abgründe zu bemerken waren. Unser Führer schritt voran, und ich und mein Bedienter folgten ihm, indem wir genau in seine Fußstapfen traten. Der Himmel war ganz hell, und die Sonne strahlte im vollsten Glanze. Dies erzeugte für uns zwei große Beschwernisse. Der Schnee wurde weich, und wir fielen oft bis an die Hüften hinein, wodurch unser Gang nicht bloß ausserordentlich ermüdend wurde, sondern mich auch noch mit der Besorgnis erfüllte, auf Stellen zu gerathen, wo wir ganz einsinken könnten. Was mich aber weit mehr belästigte, war der Glanz des Schnees. Im Anfang bemerkte ich keine Beschwerde davon; allein nachdem ich eine Stunde lang stets vor mich hin auf den blendenden Schnee gesehen hatte, so entstanden große farbige Zirkel vor den Augen, die mit Heftigkeit wirbelten, immer dunkler wurden, und damit endigten, daß ich schlechterdings nichts als schwarze Nacht sah. Einige Minuten Ruhe, während ich die Augen mit der Hand bedeckte, gab mir das Gesicht zwar wieder, allein dieses Zirkelspiel fing immer wieder von neuem an und erfüllte mich mit der allerpeinlichsten Ungeduld. Wir beschleunigten unseren Marsch, und erreichten die südlichen Abhänge des Pragels, über die ich nach dem Beispiel unsers Führers, auf meinem Bergstock gestützt, herabglitt. So gelangten wir nach einem dreistündigen Gange durch Schnee auf die Bergstraße, welche holperig und dann im lichten Tannenwald über einen Knittelweg zwischen sprudelnden Bächen und sumpfigen Böden herab ins Klöthal führt. Der Pragel ist von allen Seiten mit höheren Felsen umschloßen, und es giebt daher nur einige Punkte, wo sich über das Mutten- und Klöthal hinaus Fernsichten zwischen dem Gebirge öffnen. Im Sommer ist der ganze Pragel mit Viehheerden besetzt; kaum ist der Schnee geschmolzen, so zeigen sich die Alpenkräuter in voller Kraft.

Zu meinem Erstaunen sah ich, wie dicht am Rande des schmelzenden Schnees die kleinen Pflanzen, welche erst gestern und heute früh die Winterdeccke verloren haben konnten, schon ihre dicken Blumenknospen halb aufgebrochen empor streckten. Das Wasser des geschmolzenen Schnees äußert, besonders in diesen hohen Luftschichten, eine auffallend treibende Kraft auf die Pflanzen.

Ich verließ das liebliche Klöthal gegen zehn Uhr, und wanderte wieder ins große Thal der Linth herab.

Dr. Johann Gottfried Ebel, 1802


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Bemerkungen auf einer Alpen-Reise

Mit Tagesanbruch verreisten wir, zufrieden mit der mäßigen Zeche, die Vergleichungen mit Oberländischen und Tessinischen Forderungen nicht zum Vortheil von diesen bei unseren Reisegefährten weckten. Das Ansteigen gegen den Bragel ist anfangs steil und felsicht, und unser Pferd, obschon gewöhnt an's Klettern, stürzte gefährlich, jedoch ohne sich zu verwunden. das ist also der nächste Verbindungsweg zwischen dem industriolen Glaris und dem wohlhabenden Schwyz! Die Kantone würden wohl gerne zwischen sich in vergangenen Zeiten der Bartheiung chinesische Mauern erbaut haben, wenn sie nur die Kosten solcher Scheidungs-Wehren hätten bestreiten können. Wir wollen gerne annehmen, daß das Mißtrauen und jede Feindschaft für immer ein Ende genommen, aber chinesische Mauern wie der Bragel und der Brünig, und so viele andere sind, stehen noch viele da, und trennen wie feindlich wirkend den Verkehr und die innigere Gemeinschaft zwischen den Eidgenossen. Möchte der Geist der Eintracht bewirken, was der Geist des Eroberers am Simplon bewirkte!
Von der Anhöhe hinter dem Dörfchen genießt der Reisende gern noch einmal den Rückblick auf die schönen Wiesen und die friedlichen Wohnungen des einsamen, wie von der Welt geschiedenen Thales, und mit Theilnahme verweilt der Blick auf den großen Gebäuden des Frauenklosters von St. Joseph, das, sich erhebend unter den niedern Hütten, das kleine Thälchen zu beherrschen scheint. Die Stiftung dieses Frauenklosters soll sehr alt seyn. Wer hat alle die Seufzer gehört, die hier seit Jahrhunderten aus den unbefriedigten Herzen gestiegen! Und wie leichter mag den in Mauern verschlossenen Jungfrauen die Herrschaft über das Thal geworden seyn, als über ihr eigenes Gefühl? Aber wenn höher am Bragelberg hinauf der Blick hinaus in der finstren Schlucht des Thales späht, wenn dem sinnenden Wandrer dann die Todesbrücke vorschwebt, die vor fünf und zwanzig Jahren von Strömen Blutes trof, und der finstre Abgrund, in dem die Leichen sich thürmten: dann glaubt er die Furie der Herrschsucht, die unersättlich Menschenopfer sucht, aus der Finsternis auftauchen, aber vor dem Engel des Lichts wieder in die Tiefe fliehen zu sehen, der über das Kloster die Friedenspalme neigt.
Auf der Höhe des Passes, der bei 5100 Fuß über dem Meere liegen mag, stehen noch Rothtannen auf einem Boden, der stellenweise sumpficht ist. Seitwärts zieht sich dieser Baum noch etwa 500 Fuß höher, und auch in diesem Gebirg hält also die Fichte nicht in gleicher Höhe aus, wie in der rhätischen Kette, aus dem Grunde wohl, weil der Thalgrund der Linth, von Muotta und Klönthal beträchtlich tiefer als die Höhe des Passes liegt, und tiefer eingeschnittene Thäler immer erkältend auf die begrenzenden Berggipfel wirken.
Nach dem Hinabsteigen von den unfreundlichen Wildnissen des Bragels erfreut die Aussicht auf die schönen Weiden des Klönthals und die Wanderung längs den Ufern des lieblichen See's um so mehr. Am Fuße des Glärnischberges steht ein Denkmal, das dem Andenken unsers Geßners von einigen seiner Verehrer errichtet worden, und in der That wohl nirgendwo im Alpengebirg in so romatischer Umgebung der Natur hätte erichtet werden können. Nur schade, daß das Denkmal von keinen Wohnungen zufrieden und einfach lebender Hirten umgeben ist! Einsam, verlassen und unbegriffen steht es hier, und erinnert unwillkührlich an die Stimme des Weisen in der Wüste. Die Hirtensöhne von Glarus und von Schwyz, und die Jünglinge aus den schweizerischen Städten kennen den Dichter der Natur und einfacher Sitte nicht, und die ihn kennen, lesen seine Gemälde auf seidenen Polstern. Geßners verlornes Paradies, wenn sie auch es suchten, werden sie weder in Paris noch in Madrid wieder finden..
Das Klönthal wird als Voralp benutzt, und auf dem weiten Grunde des anmuthigen Thales sind weder Ansiedlungen, noch Versuche der Kultur sichtbar. Auf einer ausgedehnten Weide steht ein grroßes Gebäude, das aber nur kurze Zeit von Hirten bewohnt wird. Wie viele Bergvillen könnten hier stehen, und wie viele Verbesserungen des Bodens hier gedeihen! Aber wie überall, so wird auch der Aermere nichts Neues versuchen, und die Industrie des reichern Glarners wird nicht von der Landwirtschaft, sondern vom Handel und den Fabriken angesprochen, die Größere, wenn gleich nicht so sichere Gewinnste geben. An den Bergen rings herum, besonders an dem Hange des Glärnisch, fallen zerstörte Waldungen unangenehm in die Augen, und so sind auch tiefer im Linthal, über Glarus und Enneda, die verwüstlichsten Holzschläge sichtbar.

Wie uns Landleute versicherten, so ist auch hier noch nie ein Samenkorn von Waldbäumen auf die gedankenlos kahl gehauenen Berghänge ausgestreut worden. Hat wohl der Zug der Russen durch diese Thäler ihrem Wohlstand so großes Verderben gebracht, als eine solche Wirthschaft auf diesen Bergen bringen kann? Wie verdient würde sich ein wohlhabender, oder eine Gesellschaft wohlhabender Glarner um ihren Kanton machen, die auf eigne Kosten auf jedem Berghang, der aus Unwissenheit oder Eigennutz kahl gehauen wird, passende Holzarten hinpflanzen, oder ihre Samen sammeln und einhacken liesse, und die Ziegenhirten durch einige Geschenke zur Schonung der jungen Pflanzungen oder Saaten vermögen würde!
Die sogenannten Milchkammern auf den Alpenweiden des Klönthals sind für jeden Landwirth sehenswerth, da sie durch die einfachste Einrichtung für die Buttergewinnung große Vortheile gewähren, und für die Verfertigung der sogennaten Schabziegerkäse wichtig sind. Wo eine Quelle reinen Wassers aus dem Erdreich sprudelt, wird die Milchkammer so hingebaut, daß das Quellenwasser auf Grund oder Felsgrund so hoch auf dem Boden der Hütte aufgeschwellt werden kann, dass die mit Milch gefüllten hölzernen Geschirre bis an den Rand von dem kalten Wasser umgeben stehen können. Die Milch bleibt dann etwa fünf Tage in den Geschirren, in der nämlichen Temperatur der Quelle, während der schwülsten Witterung frisch, und es scheiden sich alle Buttertheile daraus im Rahme ab. Nachdem die Milch ganz abgerahmt worden, wird sie nicht durch Lab, sondern durch Sauer (Sauer gewordene Milch) zum Scheiden gebracht, der gewonnene Zieger in Säcke gestossen, mit Steinen stark belastet, ausgetrocknet, dann im Herbst in Glarus auf einfachen Mühlen fein gerieben, gesalzen, und mit dem blauen Klee vermischt. Die vollständige Scheidung der Buttertheile aus der Milch scheint wesentlich zu seyn, und wird eben durch die beschriebene Benutzung der Alpenquellen bewirkt.
Wie sonderbar, daß die Verfertigung des Schabziegers, dessen Bestandtheile allgemein bekannt sind, seit so langer Zeit auf so kleinen Raum beschränkt geblieben ist! Auf den Gebirgen von Schwyz, von Bündten, von Bern ec. wachsen die nämlichen Kräuter, es ist da sonst die Kunst der Fabrikation von Milchprodukten auf keiner niedrigeren Stuffe, der blaue Klee wächst selbst in rauhen Thälern leicht; und doch hat nur allein der Glarnerhirt den Milchzieger durch so einfache, wenig kostspielige Veränderungen und Zuthaten einen fünffachen Werth zu geben gewußt, und seit Jahrhunderten sich durch dieses Fabrikat zu Wohlstand gesetzt. Wie sonderbar auch, daß unter den Tausenden von gewürzhaften Pflanzen, die bei uns freiwillig wachsen, oder verschrieben werden könnten, nur allein der blaue Klee dem Zieger, und noch keine dem Käse beigemischt worden ist, seinen Wohlgeschmack zu erhöhen! Der Vertrieb der Fabrikate, deren Absatz sich auf die Lüste des Gaumens gründet, ist immer der sicherste, und wenn wir es dahin bringen könnten, unsere wohlschmeckenden Zieger- und Käsearten zu vervielfältigen, und deren zu erfinden, die auf den Tafeln der fremden Finanzminister und ihrer Zoll- und Mauthbedienten Zutritt erlangten, so würde die Ausfuhr immer gesichert bleiben. eine einzige Erfindung dieser Art könnte den Kapitalwerth unserer Alpen verdoppeln. Im Kanton Glarus stehen freilich die Alpenpreise, trotz dem Privilegium der Schabziegerfabrikation, nicht höher als bei uns; aber das rührt von der Gemeinweidigkeit der Alpen her, und auch davon, daß in diesem Kanton, wie in den übrigen Alpenkantonen, keine freie Konkurrenz in dem Kauf der Alprechte, und keine Möglichkeit ist, der Gemeinweidigkeit ein Ende zu machen. Der Glarnersenn steht sich auf alle Fälle durch die Schabziegerfabrikation besser, als der Berner-oder Bündnersenn.

Karl Kasthofer, 1825


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Die Kreideketten im Norden des Klönthals

1. Excursions-Programm

6. August.
Sammlung am Hauptbahnhof in Zürich Morgens bis spätestens 5 Uhr 10 Min. Abfahrt nach Einsiedeln. Besichtigung der Fundstelle von phosphorithaltigem Parisien bei Steinbach, dann Euthal, Kreidefalte der Aubrige mit verkehrtem reduzirtem Mittelschenkel, horizontale Transversalverschiebung zwischen den Aubrigen, Profil der Eocänmulde bis zum Fluhbrig, Bad Hinter-Wäggithal, daselbst Nachtquartier.

7. August.
Hinter-Wäggithal, Hundslochquelle, Aeberenalp, Berggubel mit verkehrtem, reduzirtem Mittelschenkel der zweiten nordsüdstreichenden Faltung, Uebergang desselben in den normal streichenden Kamm gegen Krauter, Wannenstock und Ochsenkopf. Querbrüche in demselben, liegende Mulde Kreideschichten am Wannenstock und Ochsenkopf; Durchgänge, Brüschbüchel mit Neocomprofil, Neocomfächergewölbe, reduzirte verkehrte Mittelschenkel zwischen diesem und der Eocänmulde von Richisau. Nachtquartier in Richisau.

8. August.
Aufstieg über Runeband-AIpeli zur Silbern. Horizontalliegendes, weit ausholendes Faltensystem der Silbern mit liegenden Umbiegungen und eocänen Muldenkernen, Karren; Rückweg über Silbernalp, Kellen und Schwyzerwald nach Richisau. Schluss der Excursion in Richisau.

2. Excursionsbericht

Theilnehmer: Pro. Dr. A. Baltzer; Dr. K. Burckhardt; Prof. Dr. L. Du Pasquier; G. Favre ; H. Goll; Dr. A. Gutzwiller; Prof. Dr. A. Hantsch; Prof. Dr. A. Heim; G. Hagmann; Prof. Dr. Klar; Dr. Kissling; E. Künzli; Köttgen; Prof. Dr. Lehmann; Lorenz; J. Oberholzer; Prof Dr. E. Renevier; Prof. Dr. C. Schmidt; Dr. Salomon; J. Seiler = 20 Theilnehmer.

6. August 1896.- Programmgemäss verlief eigentlich bloss die Fahrt nach Einsiedeln; alles weitere wurde durch das schlechte Wetter theils modifizirt, theils vereitelt. Sofort bei der Ankunft in Einsiedeln empfing uns ein derartig schlechtes Wetter, dass man beschloss, zunächst eine Sitzung der geologischen Gesellschaft im Hôtel Pfauen abzuhalten. In derselben wurden nochmals einlässlich die geologischen Verhältnisse des Excursionsgebietes besprochen; Professor Heim gab eine Schilderung des Gebietes von Einsiedeln und Richisau, während Dr. Bruckhardt die Kreideketten zwischen dem Sihl- und Klönthal behandelte.
Gegen Mittag brachten uns zwei Wagen nach der berühmten Fundstelle von phosphorithaltigem Parisien bei Steinibach, wo eine ansehnliche Zahl Petrefakten gesammelt wurden. Es ergibt sich die Wahrscheinlichkeit, dass das Riff von Steinibach ein kleines Gewölbchen im Flysch darstellt, da analoge Ablagerungen (Köpfenstock) älter sind als Flysch, d. h. zwischen diesem und dem Seewerkalk liegen. Nach wiederholten Abstimmungen wurde in Euthal von der Mehrheit beschlossen, trotz des abscheulichen Wetters nach Hinter-Wäggithal zu gehen, dabei aber den kürzesten Weg einzuschlagen.
Glücklicherweise konnte unterwegs wenigstens das modellartig regelmässige Kreidegewölbchen der Aubrigfalte im sogenannten Gitziloch bei Oberenthal untersucht werden; dann aber giengs so rasch wie möglich über Salzlecki und Eggstaffel nach Bad Hinter-Wäggithal. Dichter Nebel erschwerte die Orientirung sehr; eine Folge davon war, dass wir die grösste Mühe hatten, den Weg zu finden und dass die Herren Baltzer und Salomon in's Vorder-Wäggithal gelangten. Sehen konnte man leider auf der ganzen Wanderung vom Gitziloch bis in's Hinter-Wäggithal sozusagen nichts; dagegen dürfte allen Theilnehmern die Charakteristica der Flyschlandschaft: Undurchlässigkeit und Nässe des Bodens, unvergesslich bleiben!

7. August 1896. - In Folge der Fortdauer der schlechten Witterung wurde beschlossen, die weitere Excursion aufzugeben. Alle Theilnehmer benutzten den kürzesten Rückweg über Vorder-Wäggithal nach Siebnen; unterwegs konnte in der Cluse zwischen Hinter- und Vorder- Wäggithal einiges vom Aubriggewölbe gesehen werden.
Es ist vielleicht am Platze, hier noch einige kurze Worte über die in den Diskussionen hauptsächlich berührten Fragen beizufügen. Man beschäftigte sich stark mit der Frage, ob die beiden Faltungen des Gebietes gleichzeitig entstanden sein könnten oder nicht. Die Mehrzahl der Anwesenden sprach sich für Ungleichzeitigkeit aus; auch wurde hervorgehoben, dass die ostwestreichenden Falten, die ja vom Vierwaldstättersee bis zu den Churfirsten denselben Bau zeigen, älter, die Querfalten dagegen jünger sein müssten. Getheilt waren die Meinungen in der Frage, ob die Querfalten bloss lokal seien, oder aber ganz allgemein vorkämen und bisher bloss an vielen Orten übersehen worden seien. Es wurde darauf hingewiesen, dass in den Schweizer Alpen an zahlreichen und zum Theil weit auseinander liegenden Punkten Andeutungen von Querfalten beobachtet werden könnten ( Hautes-Alpes vaudoises, Yberg, Tessinermassiv, Alvier- Sichel-Kamm, etc.).
Prof. Heim hält es für wahrscheinlich, dass die beiden Faltungen, wenn auch nicht gleichzeitig, doch nicht verschiedenen Perioden und auch nicht verschiedenen grossen Schüben in der Erdrinde zuzuschreiben seien; sondern dass die zweite sich unmittelbar als Fortsetzung an die erste anschloss und nur die schon vorangegangenen Auslösungen oder auch Wiederstände des Gebirgsdruckes hier und in den Nachbargebieten dem Drucke in dieser Region lokal in seiner zweiten Bewegungsphase eine etwas veränderte Richtung gaben, ähnlich wie auch an den Nordlappen des Tessinermassives keine Spuren eines Kraft- oder Zeitunterbruches zwischen beiden Faltungen bemerkbar sind.

Dr. Karl Burckhardt, 1896


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Über den Pragel

Der gelbe Postwagen führt uns in rascher Fahrt von Glarus her dem Löntsch entlang, dann vom Rhodannenberg an längs dem Ufer des Klöntalersees bis ans Talende zum «Vorauen - Plätz». Drei Viertelstunden weiter hinten - es geht bequem auf dem glarnerischen Stück der Pragelstraße! - liegt das «Richisau» inmitten schattiger Ahorne. Der Weg führt weiter, ideal und ganz verführerisch sanft. Über Sumpfwiesen schimmert der silberne Schein leichten Wollgrases, Schwärme von Schmetterlingen flattern durch die Stille, idyllische Lichtungen wechseln mit Tannenforst. Die Hänge leuchten im Violett des Heidekrautes, im Unterholz deckt Farn die Erde. Ein Bach bringt willkommene Kühlung. Der Blick ins Roßmattertal wird frei, aus der Ferne, weit jenseits der blauenden Seefläche, drohen die Türme des Mürtschcn, näher und näher kommen die ausgefressenen Hänge des Fläschberges. Hie und da macht ein Stützlein Bedenken - was tut's ! Was für ein herrlicher Fleck Erde ! Nicht erhaben und hochdramatisch, ganz ohne Gletscher und Eis, ein grüner, friedlicher Winkel, über dem ab und zu ein Raubvogel seine Kreise zieht. Zu Millionen läuten die blauen Glockenblumen über Stock und Stein, die Leuchtsonnen der Arnika zwischen ihnen, die mächtigen Sterne der Margriten, an den Rinnsalen die goldgelben Bachbungen, die Halden rötet der Schwarm der Weidenröschen, zu den Felsen hinan steigt streng und stahlblau der Eisenhut - welch üppiger Garten Gottes! Punkt zwei Stunden nach dem Richisauerhock sitzen wir auf einem Hügelchen der Paßhöhe auf 1550 m Höhe. Mitten drin in roten Alpenrosen wie in einem warmen Bad von Blumen. Über uns zieht sich das helle Grau der Silbern, ungastlicher Karren, fast unnahbar steigen neben uns Drusberg und Schwarzstock senkrecht dem Himmel zu. Still in seliger Ruhe liegt der Paß.
Eine halbe Stunde weiter unten wird's wieder lebendiger. Gutentalboden heißt die Alp. Dann beginnt ein schmales Sträßchen seine endlosen Zickzack ins Muotatal hinunter, des «Teufels Friedhof» in seiner Düsterheit vermag uns Schwitzende kaum aufzuheitern, und auch die Höhlen des Hölloches mit ihren unterirdischen Schluchten locken nicht vom Pfade ab. Im alten
«Hirschen» zu Muotatal, wo einst jung und schön die holländische Königin Wilhelmina zu Gaste war und wo vor Waffen und Bildern Suwarons unseliges Abenteuer von 1799 wieder lebendig wird, legen wir uns längelang in einen Liegestuhl. Um 5 Uhr - eine Autofahrt liegt dazwischen - schauen wir uns Hof und Garten, Kirche und Gerichtsstube und den Ratssaal von Schwyz an, dann in ihrem neuen Haus die uralten ehrwürdigen Bundesbriefe und Urkunden.
Wann endlich wird der zweihundertjährige Traum einer Pragelstraße zur Wirklichkeit? Vorläufig freuen wir uns noch der stillen Wanderung durch unverfälschte Natur - und das ist auch nicht wenig!
Nicht zu vergessen: der Pragel ist 1893 als erster Schweizer Paß auf Ski überquert worden.
Das Landschaftsbild von Glarus wird nach Westen, zwischen der steilen Pyramide des Vorderglärnisch und der grauen Felsmauer des Wiggis von einem niedrigen Querriegel begrenzt, dem Sackberg, der den Blick ins dahinterliegende Klöntal sperrt.
Dieser Querriegel, eine Gegend voller prächtiger Buchenwälder und Tannenforste, verdankt sein Dasein zwei prähistorischen Bergstürzen, die von links und von rechts niederfuhren und seine als Staumauer wirkenden Höhen aufbauten. Hinter dieser natürlichen Mauer aber sammelten sich all die Bergwasser zu einem See, der sich naturgemäß einen Abfluß suchte und ihn ohne große Schwierigkeiten auch in der lockern Bergsturzmasse finden konnte. In Jahrtausenden hat er sich seinen Weg durch den Riegel erkämpft, ist durchgesickert, dann durchgeflossen und durchgebrochen, hat den anstehenden Fels zur fünfzig Meter tiefen Löntschschlucht ausgeschliffen und ausgefressen und fließt heute noch als wilder Bergbach Löntsch in vielen Windungen über Stock und Stein dem Linthtal zu, wo er sich bei Netstal mit dem Fluß vereinigt. Durch das enge Tal, zu dessen rechter Seite sich die Wiggiswände senkrecht bis zu 800 Meter erheben, hat der Mensch sich einen Weg gebahnt, erst einen schmalen Paß, der in der Folge über den Pragel führte, dann eine Straße, die heute den Großverkehr aufnimmt und, von Glarus aus, auch dem Postverkehr dient.
Mancher aber, der Zeit und Lust hat, mag nicht im Tal bleiben. Er nimmt den Weg über den Sackberg unter die Füße, läßt die Glarner Stadtkirche hinter sich und steigt langsam aufwärts. Die Bergstraße freut sich mancher Schlaufe, führt über fette Weiden und durch stille Wälder und endet vorderhand nach zwei Stunden auf der obersten Kuppe des Sackberges, auf der «Schwammhöhe». Wie auf der Empore eines Domes steht der Wanderer hier und schaut mit offenen Augen in die Tiefe des Klöntales, aus dessen breiter Wiege die blaue, oft ins Grünliche spielende Seefläche glitzert. Ein paar Holzbänke laden zum Sitzen ein, denn hier einfach vorüberzugehen und sich dem Tal zuzuwenden, wäre eine Barbarei. Auch die Gemeinde Glarus hat hier ein übriges getan und eine große Schutzhütte, der eine einfache Gaststätte angegliedert ist, erstellen lassen. Sie ist vor allem im Sommer und im Herbst vielbesucht, aber auch dem Skifahrer wohlbekannt.
Auf eine Besonderheit sei noch hingewiesen: ein Kunstmaler hat in der Schutzhütte die Symbole der drei umliegenden Gemeinden in grotesker Malerei festgehalten; ein riesiger Waldrapp predigt als Stadtglarner mitten in Mehlbeerengesträuch, das an den Spitznamen der Ennendaner erinnert, den aufmerksam zuhörendene Geißen, deren Herden einst den Netstalern zu ihrem Übernamen verhalfen.
Durch die Waldungen des «Näggeler» hinunter erreicht man in einer Halbstunde den See, freut sich der frohen Wanderungen, rudert oder schwimmt oder hält Siesta, jeder nach seiner Façon, bis der Abend kommt und mit ihm die schönsten Spiegelbilder aus der glatten Seefläche auftauchen.

Kaspar Freuler


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Exkursion der Naturforschenden Gesellschaft ins Klöntal


Auch die sechste und voraussichtlich letzte diesjährige Exkursion erfreute sich zahlreicher Beteiligung, und da ihr ein wundervoller Tag beschieden war, kamen die Teilnehmer voll auf ihre Rechnung.
Von Vorauen, wohin uns das Postauto gebracht hatte, ging es dem Richisau zu. Der geologische Leiter, Dr. G. Freuler, fand hier Gelegenheit, auf den komplizierten Gebirgsbau hinzuweisen. Im Gegensatz zum Tödigebiet, wo die Gesteinsschichten autochthon sind, d. h. ungefähr da liegen, wo sie sich gebildet haben, bauen sich Glärnisch und Wiggiskette aus mächtigen Decken auf, die von Süden her über die Alpen geschoben wurden. In den Wänden des Glärnisch und Wiggis wiederholen sich die gleichen Schichtfolgen drei- bis viermal. So bildet die Basis des Wiggisgebietes die Mürtschendecke, auf sie folgt die Säntisdecke, und über ihr liegt die Avendecke, wogegen am Glärnischmassiv Mürtschen- und Avendecke auf der Glarnerdecke ruhen. Im hinteren Klönthal kommen noch Räderten- und Drusenbergdecke dazu. Die Gesteinsart erkennt der Geologe schon von weitem. Eine Kieselkalkwand mag noch so steil sein; die Unterlage ist so vegetationsfreundlich, dass sie immer überwachsen ist, wie z.B. die fast senkrechten Hänge über der Saasalp.

Besonderes Interesse fand die Rutschpartie an der neuen Pragelstrasse. Vor bald zwei Jahren ist ein längeres Stück eine schwache Viertelstunde vor Richisau samt Stütz- und Böschungsmauern zur Klön hinunter gerutscht, und diese Strecke bereitet nun ernsthafte Sorgen. Die Unterlage bildet hier Mergel, der teilweise von Moränenschutt überdeckt ist. Das Gestein verwittert zu einem zähen, wasserundurchlässigen Lehm. Zur Zeit der Schneeschmelze aber auch bei starken Gewittern oder bei Landregen, saugt sich die Masse voll, bis sie zu einem Brei wird, der zu fliessen beginnt. Der Absturz hätte sich vielleicht vermeiden lassen, wenn man gleich am Anfang nach dem Rate der Geologen gründlich entwässert hätte. Doch wäre das Wasser gleich am Fusse der Felswände unterhalb der Alp Ochsengeld zu fassen gewesen. Mit grossen Kosten sucht man heute nachzuholen, was damals unterlassen wurde. Ob der Erfolg noch durchschlagend sein wird, wird die Zukunft lehren. Wenn man die gefährdete Stelle heute an Ort und Stelle studiert, wird man nicht allzu optimistisch. Man war gezwungen die Strasse ohne Mauern in den steilen Hang hinein zu legen, und diese Stelle wird noch längere Zeit ein Sorgenkind der Baudirektion bleiben. Auch etwas weiter unten, in einem glücklicherweise viel flacheren Hang, weist das Tracé bereits starke Taschen auf. Es scheint, dass auch die Sünden der Väter gegen die Natur, sich bis ins dritte und vierte Glied rächen. Dr. G. Freuler führt die unerfreuliche Situation u.a. auch darauf zurück, dass man um 1830, nach der Teilung der Wälder der gemeinsamen Kirchgemeinde den Wald in den unteren Teilen der Alp Ochsenfeld niederschlug und den Boden zur Weide machte. Dadurch wurde der Wasserhaushalt des Bodens wesentlich gestört; denn die Moos- und Humusdecke hält gewaltige Wassermengen an der Oberfläche zurück, so dass sie nicht in die Tiefe dringen können.

Natürlich widmeten wir uns auch eifrig der Pflanzenwelt. Doch unser botanischer Leiter Dr. S. Blumer, ein Bürger von Engi, der an der Eidg. Versuchsanstalt in Wädenswil als Spezialist für pflanzliche Schädlinge tätig ist, hatte es weniger auf schöne Blumen, als auf Krankheitserreger aller Art abgesehen. Und an erkrankten Pflanzungen fehlte es nicht. In der Natur herrscht ein ununterbrochener Kampf. Es gibt kein Gewächs, das nicht seine Feinde hat. Teils unter, teils über der Erde vollbringen sie ihr Zerstörungswerk. Der Humus ist erfüllt von Lebewesen, zählt man doch in jedem Gramm über 100 Arten nur Pilze, die als Sporen oder Mycelien, d. h. fadenartige Geflechte, die mineralischen Bestandteile durchwuchern. Sie besitzen kein Blattgrün, können also nicht selbständig assimilieren und sind daher auf Assimilate grüner Pflanzen angewiesen. Viele von ihnen umspinnen als Mycorhiza die Wurzeln fast sämtlicher Holzgewächse. Sie entziehen ihnen Kohlenhydrate und Stickstoffverbindungen, erleichtern ihnen dafür aber die Wasseraufnahme und geben ihnen Stickstoff in anderer Form zurück. Die Pflanzen dienen einander in einer Lebensgemeinschaft (Symbiose), die aber durchaus unsentimental ist. Die Pilze können oft so stark sich entwickeln, dass sie den Wirt töten. Immerhin sind zahlreiche Gewächse auf sie absolut angewiesen. Die Buche z.B. besitzt kaum mehr richtige Saugwürzelchen. Sie verlässt sich vollständig auf die Pilze. Immer finden wir sie auch bei sämtlichen Orchideen, deren äusserst kleine Samen ohne Pilzbefall überhaupt nicht keimen und die auch später ohne Pilze nicht leben können. Andere Pilze z. B. der Halimarch, von dem wir in den "Strebezen" grössere Kolonien feststellten, sind als Baumzerstörer gefürchtet. Ihr Fadengeflecht (Mycel) zerstört das Kambium, das allein die Zellen des Holzes und der Rinde zu bilden vermag.
Manche Pilze weisen einen obligatorischen oder fakultativen Wirtswechsel auf. So lebt die eine Generation des Alpenrosenpilzes, der in gewissen Jahren massenhaft auftritt, auf beiden Alpenrosen, die andere auf der Fichte, wo sie die Nadeln durch ihre Sporenträger orangerot färbt. Ein anderer Pilz bewohnt im Wechsel die Waldsternmistel und die Weisstanne, wo er die auffälligen Hexenbesen bildet. Der gefürchtete Getreiderost benützt als Zwischenwirt die Berberitze. Ein Pilz, der weibliche Exemplare der Waldnelke befällt, erzeugt durch Hormonausscheidung Zwittrigkeit. Überaus häufig konnten wir an Pflanzen aller Art den Mehltau beobachten, der in hunderten von schwer bestimmbaren Arten überall verbreitet ist. Auf dem Gebiete der Mykologie (Pilzkunde) ist noch sehr vieles unerforscht. Unser Exkursionsleiter fand z.B. dem Klöntalersee entlang auf der Wiesenraute einen Pilz, der bis jetzt nur in den nördlichen Ländern, von Skandinavien bis Kamtschatka bekannt war.
Über den Wald wusste Forstingenieur Fritz Zwicky viel Wissenswertes zu erzählen. Wie man früher in unseren Wäldern hauste, bewies die Bemerkung, dass allein 1856 im Zimmerwald von der Gemeinde Netstal 3000 Klafter und von Enneda 2000 Klafter Holz im Kahlschlag gewonnen wurden. Dabei beträgt heute die Schlagberechtigung der Gemeinde Glarus pro Jahr um 1000 Klafter.

Auf dem Heimweg entlang dem Klöntalersee, versetzte uns unser Präsident J. Jenny, beim Gessnerdenkmal in einem Kurzvortrag in die idyllische Zeit vor 180 Jahren, wo noch keine Autos die Strassen in eine Staubwolke hüllten und keine Flugzeuge mit ihrem Lärm die Stille der Landschaft störten.

Glarner Nachrichten, 7.10.1946


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