k-bulletin nr.3 <kollektive/arbeit>
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Dancing with the factory

Jeden morgen um 7 Uhr 15 verliess ich meine Wohnung in Williamsburg. Ich konnte den Bus schon von der Wohnung aus kommen hören. Ausser wenn es regnete, da war es schwieriger. Manchmal kam er gar nicht, dann musste ich entweder ein Taxi oder die U Bahn zur Arbeit nehmen. Mit der Subway kam ich aber auf jeden Fall zu spät in die Fabrik. Das hatte Folgen: bei dreimal zu spät kommen und erwischt werden, wurden $3 vom Tagelohn abgezogen.

Die Fabrik lag in der Nähe vom P.S.1 Museum in Queens. Es war ein ziemlich düsteres Gebäude, eine Art 50er Jahre Nachkriegs-Depressionsbunker. In der ersten Etage waren die Restaurants für die Fabrikarbeiter, in jeder weiteren Etage die verschiedenen Produktionsetagen. Meistens Sweatshops, Stundenlohn 5 Dollar, die ArbeiterInnen vor allem Frauen aus Mexiko ohne Aufenthaltsgenehmigung.

Die Etage in der ich arbeitete war als die "Belle Etage" bekannt, da hier - so hiess es - die Arbeitsbedingungen humaner wären. Die Fabrik hiess <Sirmos>, ein italienisches Familienunternehmen. <Sirmos> ist eine Lampenfabrik die spezialisiert ist auf Art Deco und Jugendstil Plastikimitate: ein Faux Finishing Departement. Die Lampen sehen aus als ob sie alt wären, obwohl man genau sieht dass sie neu sind. Später habe ich noch oft festgestellt, dass dieses Mobiliar in den Staaten vor allem bei wohlhabenden Familien sowie in Hotels und Restaurants bevorzugt wird. Die Gefahr von Holzwürmern ist geringer und der Alltag lebt sich wie in einer Hollywood Filmkulisse.

Der Fabrikstag beginnt um Glockenschlag 8 Uhr morgens. Es läutet wie in der in der Schulpause. Ich stecke meine Zeitkarte in die Stechuhr. Gerade noch rechtzeitig. Der Name auf der Karte ist der meiner amerikanischen Freundin Linda Post. Linda Post anstatt Carola Dertnig. Manche meiner Mitarbeiter glauben, ich heisse und bin Linda. Ich arbeite unter Lindas Namen, da ich noch keine Aufenthaltsgenehmigung besitze. Mein Image für meine Umwelt ist das einer Amerikanerin, obwohl ich ein U Boot bin, ein Alien.

Die Fabriksetage ist in fünf Departements unterteilt. Rechts liegt das Büro und das Chefdepartment, im Kern in der Mitte das Artistsdepartment, links davon das Sanding- und Mouldingdepartment und rechts dahinter das Shipingdepartment. Das Sandingdepartment ist von der Hierarchie her ganz unten angesiedelt, das Künstlerdepartment ganz oben. Ich stelle schnell fest ein privilegierter Alien zu sein, da ich im Artistsdepartment arbeite und eine europäische Kunstausbildung absolviert habe. Ich verdiene 15$ statt $5. Meine Alienzeit ist befristet, da ich mir durch den Mehrverdienst einen Rechtsanwalt leisten kann, der mir vielleicht ein auf drei Jahre befristetes Arbeitsvisum verschaffen kann.

Ich stecke die Zeitkarte in die Stechuhr, ziehe mir einen weissen Plastikanzug an, setze mich in meine Koje und setze meinen Walkman auf. Die Koje ist 5 qm2 gross. Die erste Lampe kommt. Ich stelle sie auf meine Drehscheibe und beginne sie mit einer bestimmten Marmortechnik zu bearbeiten. Jeder der 10 KünstlerInnen im Departement hat seine eigene Koje, trägt einen weissen Polyesteranzug und ist im Besitz einer Drehscheibe. Manche sind schon seit 10 Jahren hier. Ich hoffe, dass ich nicht solange bleiben muss. Niemand spricht, das ist nicht erlaubt während der Arbeitszeit. Wenn der Firmenboss durch das Department huscht, ein echter italienischer Macho, wird es noch leiser. Da ich neu bin mustert er mich und meine Lampen besonders streng. Dann tuschelt er mit dem ersten Kunstdepartment Manager. Der pirscht sich mit hochrotem Kopf an mich rann und erklärt mir das "Schnell sein Kapital bedeutet". Leider muss ich meinen Walkman abnehmen, was ich ungern tue. Ich höre gerade Daftpunk.

Um halb 10 läutet die Pausenglocke. Fünf Minuten Pause. Alle springen auf. Sanding-, Moulding-, Shiping- und Artistsdepartment trifft sich im Pausenraum. In der rechten Ecke oben steht ein Fernseher.
Jeden Tag läuft das gleiche Fernsehprogramm: MTV.
Alle sitzen, essen und starren in die rechte Ecke. Manche singen mit, andere unterhalten sich über den Song oder über die Bekleidung der gerade am Bildschirm performenden Band. Von den meisten FabriksarbeiterInnen waren das (auch von mir) die "Lieblings-fünf-Minuten" vom Tag.
Die Pausenglocke läutet wieder.

Zurück an den Arbeitsplatz. Meine Lampe sollte schon fertig sein. Stress bevor der erste Manager auftaucht. Zum Glück taucht der zweite Manager auf und hilft mir. Er ist Musiker kommt aus Schweden lebt in New York und hat zwei in Schweden lebende Kinder. Er ist sehr nett, aber ein unglaublicher Macho. Wie fast alle männlichen Arbeiter hier. Im Gegensatz zu den anderen Etagen arbeiten hier nur vier Frauen. Das Frausein fühlt sich sehr einsam und isoliert an.
Trotzdem stelle ich schnell fest, dass viele interessante Persönlichkeiten in der Fabrik arbeiten. Ein Künstler wurde mein bester Freund ein Maler aus Russland. Er emigrierte als er zehn Jahre alt war mit seiner Mutter von Russland in die U.S. Er ist Marxist. Da er ein gebrochenes Bein hatte ging er auf Krücken. Ich war froh einen Freund zu haben. Wir tauschten Musik aus und er brachte mir bei welche die besten Radiostationen von New York sind und wie frau trotzdem schnell arbeitet und gleichzeitig Musik hört. Er brachte mir das Walkmanhören und alle anderen möglichen Tricks bei, wie man 8 Stunden konzentriert durch arbeitet. In den Pausen unterhielten wir uns über Kunst und Produktion, Marxismus und Kapitalismus. Bald ergab sich eine wetteifernde Situation, wie oder was jeder noch an Kunstproduktion, in der wenigen Freizeit die uns ausserhalb des Fabriksarbeitstag blieb, erfinden könne. Der Wettkampf erleichterte die Arbeit, da ich mich mit meinen Gedanken auf etwas Konstruktives konzentrieren konnte in einem so faden Fabriksalltag.

Ich sass vor der Drehscheibe hörte Radio oder Musik und bewegte mich kaum. Ich fand schnell heraus, dass es besser ist in der gleichen Position zu sitzen. Dies erweckte den Eindruck als würde sich der Arbeitsleistende auf das Produkt konzentrieren. Da ich mich den ganzen Tag nicht bewegte nahm ich zu. Und ich überlegte mir am Tag im Sitzen, wie ich mich am Abend im Atelier bewegen könnte ohne in ein Fitnesstudio gehen zu müssen. Denn das wäre sich weder finanziell noch von der Zeit her ausgegangen.

Also ging ich am Abend in mein Studio oder Atelier und tanzte zu der Musik, die ich mir tagsüber angehört hatte. Ich tanzte vor meiner Videokamera mit der Fernbedienung in der Hand, bediente dabei den Ein- und Ausschaltknopf und bestimmte dadurch den Schnitt des Videos. Eine ähnliche Monotonie wie tagsüber nur anstatt die Drehscheibe zu bewegen, bewegte ich mich selbst und bediente dabei die Kamera. Einerseits produzierte ich statt einer Lampe ein Video und andrerseits wurde die Kamera zur Fitnesstrainingsmaschine. Die wenige freie Zeit, die mir am Tag blieb, nützte ich somit zum Fitnesstraining und zur zeitgleichen Kunstproduktion im Atelier. Das Video enstand über einen Zeitraum von drei Monaten. Von Winter bis Frühling. Das ist auch an der Bekleidung im Video sichtbar, da ich im Winter mehr anhabe als im Sommer.

Ich hörte viel Musik aus der Techno und Raveszene, die mir Freunde mit der Post aus Europa schickten und die dann in der zufälligen Komposition des täglichen Samplings im Video hörbar wurde. Als ich dann das Video fertigstellte und mein Visum bekam hatte ich eigentlich vor noch länger in der Fabrik zu bleiben, da ich offiziell mit dem Arbeitsvisum ausschliesslich nur in dieser Fabrik arbeiten durfte. Aus Linda Post wurde nun wieder Carola Dertnig. Aber die Arbeitsbedingungen in der Fabrik wurden noch strenger. Statt der Stechuhr und der Zeitkarte wurde ein Handscanner installiert. Ein Handscanner ist ein Gerät, mit dem der Arbeitsleistende bei Arbeitsbeginn und Arbeitsende die Hand in einen digitalen Scanner stecken muss. Die Umrisse der Hand sowie Handlinien werden vom Gerät als Hand des Arbeitsleistenden registriert und dadurch wird die Zeit des Arbeitsbeginns sowie Arbeitsendes direkt in den Computer gespeichert.
Bei den Papierstechkarten konnte schon mal jemand anderer für einen die Karte stechen. Der Computer des Handscanners machte jedes menschliche Schummeln unmöglich. Es fühlte sich noch mehr nach Gefängnis und Strafe an.

Der zweite Manager, mein russischer Freund und ich weigerten uns dies zu akzeptieren und begannen einen Streik. Zuerst hatten wir zehn Mitarbeiter hinter uns. Je näher der Tag der Umstellung rückte desto mehr sprangen ab. Am Schluss waren wir zu dritt. Der Macho-Chef wollte uns nicht verlieren. Letztendlich wurden wir aber doch gefeuert, da wir uns weigerten unsere Hand täglich in einen Handscanner zu legen um automatisch identifiziert zu werden.

Carola Dertnig
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