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Fahrt ins Blaue
Fahrt ins Blaue I, Emmental 1989
Fahrt ins Blaue II, Hannover - Harz BRD/DDR 1990
Fahrt ins Blaue III, Shedhalle Zürich 1990

Eine kleine Gruppe von Gästen wird auf eine Fahrt ins Blaue eingeladen. Die Reise führt von einem Ort ausgehend durch verschiedene Räume, Gegenden und – je nach Thema – Situationen. Die Reisegruppe macht unterwegs an vorher von mir ausgewählten Orten Halt. Es finden verschiedene Besichtigungen und Führungen statt. Möglicher Höhepunkt des Ausflugs bildet ein Essen in einem Gasthof. Auf dem Heimweg erhalten jeder Teilnehmer und jede Teilnehmerin ein Abschiedsgeschenk.
Die Fahrt ins Blaue verstehe ich nicht als inszeniertes Spektakel, sondern als Reise durch reale Umfelder, vorgefundene Räume und soziale Situationen. Die feine Differenz zwischen dem, was ist und als solches zum Alltag gehört, und dem was aus der bequemen Situation des Reisenden heraus – aufgehoben in der Gruppe der Besucher – beobachtet wird, tritt im Laufe der Fahrt unweigerlich spektakulär in Erscheinung.

Die Fahrt ins Blaue, je nach Standpunkt als Expanded Performance, Freizeitangebot oder soziales Ereignis beschreibbar, interessiert mich vorallem als ein Experiment im gesamtkulturellen Zusammenhang, nicht als Kunstform, ohne dabei zu ignorieren, dass sie auch aus der Perspektive des Kunstkontexts attraktiv ist.

Es stellt sich heraus, dass die Fahrt ins Blaue eine Art Methode ist, um auf der Grenze von Alltag und Kultur Untersuchungen über Formen und Rituale der Rezeption anzustellen.
Das Gefühl zu Reisen, die Überwindung des physischen und seelischen Stillstandes schaffen eine gelöste - von den Befindlichkkeiten alltäglicher Momente losgelöste - Atmosphäre. Die fehlende Definition des genauen Zwecks und der exakten Bedeutung der sonst gut bekannten Veranstaltungs-Gattung Fahrt ins Blaue entsprechen der offenen Situation.
Weil in dieser offenen Disposition alle Beteiligten ihre eigenen Zuordnungen machen und diese auch häufig wieder in Frage stellen, sind die Erlebnisse kontrovers, die Haltungen - von Ablehnung und Zynismus über Belustigung bis zu engagiertem Interesse - verschieden. Die unterschiedlichen Standpunkte innerhalb der Reisegesellschaft generieren den beabsichtigten Diskurs.

Situation und Umfeld, ein komplexes Gefüge von Zeichen und Abläufe und ein ganz bestimmter Stil der Kommunikation bestimmen die persönliche Wahrnehmung weitaus stärker als ein einzelnes optisches oder ästhetisches Signal. Diese Erkenntnis ist fundamental für die Entwicklung neuer Arbeitsformen und Haltungen, wie sie etwa in einem um soziale Dimensionen erweiterten Installationsbegriff, in der Kontext-Kunst und in den Social/Cultural Studies zum Ausdruck kommen.


Beschreibung Fahrt ins Blaue 2

Die Reisegesellschaft bricht im Sommer 1990 mit einem Reisebus von Hannover aus zu einer Fahrt ins Harzgebirge auf. Der Tagesausflug führt über die alte Kaiserstadt Goslar und das Gebiet des West-Harz in der BRD zu einem Bergwerksmuseum. Ein kurzer Spaziergang auf den Gipfel des Sonnenbergs eröffnet einen Blick auf die weite Hügellandschaft des Harz, mit seinen typischen Tannenwäldern, welche durch den sauren Regen stark geschädigt sind. Vom Aussichtspunkt Brockenblick, an der deutsch-deutschen Grenze aus, kann durch installierte Fernrohre der sagenumwobene Brocken besichtigt werden. Er liegt bereits auf dem Gebiet der DDR in einer für die Öffentlichkeit nich zugänglichen, militärischen Sperrzone (Warschauer Pakt). Ihm gegenüber, auf dem Wurmberg (BRD) sind Spuren prähistorischer Kultanlagen erhalten geblieben und neben einer Luftseilbahn und einem Skilift für den Tourismus hat auch hier das Militär (Nato) einen Horchposten installiert. Die Reise führt dann über einen der neuen, provisorisch eingerichteten Grenzübergänge in die DDR, wo in einem abgelegenen Berggasthof, welcher bis vor kurzem als Erholungsheim für Parteifunktionäre diente, ein gemeinsames Nachtessen stattfindet. Als Unterhaltungseinlage tritt ein dreiköpfiges Team von Fahnenschwingern aus der Schweiz auf. Dann führt die Reise wieder zurück nach Hannover.

Thematisches Umfeld dieser Reise bildet die Politik, welche an dieser Stelle (Harz) und zu diesem Zeitpunkt (1990) auf brisante Weise mit einer Exkursion durch die Landschaft erlebbar gemacht werden kann. Das Spektrum reicht von der Mythologie (prähistorische Kultstätte, später entstandene Sagen von Heiden und Hexen) über die Geschichte (Kaiserpfalz Goslar, Macht durch eigenes Silber), die frühe Industrialisierung und die späten Folgen (Blei- und Silberbergwerke seit dem frühen Mittelalter, Bergbau im 19., Waldsterben im 20. Jahrhundert), die neuere Geschichte (Kalter Krieg, Grenze, Wiedervereinigungsdiskussion, wiedererstarkender Nationalismus) bis zur Landschaft als Konsum- und Erholungsraum (Tourismus, Alpenersatz).


Beschreibung Fahrt ins Blaue 3

Ausgangspunkt der halbtägigen Rundfahrt ist Zürich. Ein Reisebus führt die Gäste zuerst zum Verwaltungssitz einer grossen Schweizer Bank, zu einer Besichtigung ins 4. und 5. Untergeschoss, wo in einer speziellen Sicherheitsabteilung Gold gelagert wird. Zürich ist weltweit der grösste Handelsplatz für Gold (in physischer Form), während in London Gold vorallem auf Papier gehandelt wird. Auf der Weiterreise werden im Bus Tom and Jerry Cartoons gezeigt. Die Fahrt führt zum Management-Ausbildungszentrum der Bank, welches in einem alten Schloss an schöner Lage über dem Bodensee eingerichtet wurde. In einer kommentierten Führung wird die Philosophie der klosterähnlich funktionierenden aber mit modernster High Tech ausgerüsteten Bildungsstätte erläutert. Im Vortragssaal findet ein Referat über Persönlichkeitsbildung im Rahmen der jährlich wiederkehrenden Management-Fortbildungskurse statt. Das gemeinsame Nachtessen in einem traditionellen Gasthof im naheliegenden Dorf wird durch Darbietungen eines Zauberkünstlers aufgelockert, welcher den anwesenden Vertretern der Bank Geldbeutel, Uhr, Kravatte und Brille wegzaubert. Auf der Rückreise nach Zürich erhalten alle Reisegäste Truffes de jour von der Confiserie Sprüngli geschenkt.

Thematischer Hintergrund der Fahrt ins Blaue 3: Wirtschaftsstandort Zürich; eine gezielte Konfrontation mit der häufig als Gegenwelt zur Kultur verstandenen Wirtschaft, angefangen beim Mythos Gold bis zu den differenzierten Mechanismen und Vorstellungen von Macht, Verantwortung und Wert. Die zahlreichen Vereinnahmungen, Verbindungen und Symbiosen mit der Kunst sind dabei unübersehbar und das Prinzip von Gegenwelt ist nicht länger aufrecht zu erhalten.

©psp 2000