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The Indie-Show

"Guten Abend! Schön, Sie alle hier begrüssen zu dürfen. Was würden Sie tun, wenn Sie sich heute frei für irgend ein Projekt, eine Arbeitsweise oder Aufgabe entscheiden könnten? Und wie würden Sie sich entscheiden, wenn Sie die Wahl hätten, an wen sie sich mit ihrer Arbeit richten, wen sie damit erreichen wollen, oder für wen Sie dieses Projekt überhaupt realisieren wollen?
Sie müssten sich dabei Fragen stellen wie diese: WilI ich eher in einem institutionellen Rahmen arbeiten oder mir mein Umfeld selber aufbauen? Woher nehme ich die nötigen Ressourcen, die Infrastruktur, die ich brauche, um etwas organisieren zu können? Wie finanziere ich mein Projekt? Wen frage ich um Geld an? Und schliesslich müssten Sie sich auch klar darüber werden, in welchem Raum Ihr Projekt richtig platziert ist; ob es überhaupt einen Raum braucht, wo der liegt, welche Szenen dort verkehren sollen und welche nicht.
Ich weiss, das sind keine einfachen Fragen, die wir uns für heute Abend vorgenommen haben, aber dennoch sind es genau die Fragen, die sich viele unabhängig arbeitende Künstlerlnnen tagtäglich stellen; und wir werden darauf auch nicht so schnell die richtigen Antworten finden. Unser Ziel ist es jedoch, Ihnen einige Einsichten in aktuelle künstlerische und kulturelle Arbeit zu vermitteln, und wir hoffen doch sehr, dass Sie sich dabei gut unterhalten werden. Zum Auftakt machen wir nun etwas Musik."

Etwas später: "Wir haben soeben über unsere Hotline einen Fax erhalten, der gut zum Thema des heutigen Abends passt. Deshalb lese ich Ihnen ein paar Passagen daraus vor:
... lm Herbst habe ich bei einer grösseren Ausstellung mitgemacht und seit dem Winter arbeite ich an einem grosseren Projekt, welches im institutionellen Rahmen organisiert und durchgeführt wird ... .
... Beide Erfahrungen sind aus der Perspektive einer gesellschaftlich engagierten Praxis eher merkwürdig und unbefriedigend, da bestehende Kontexte nach bestimmten Vorstellungen ständig reproduziert werden, weit entfernt von Neuformulierungen oder kritischer Reflektion über die gegebenen Strukturen, Abläufe, Ausgrenzungsprozesse und Wertset- zungen ... .
... Das gute daran ist, dass mir wieder klar wurde, was die entscheidenden Unterschiede sind, zwischen einer institutionell gestützten Arbeit und einem freien, selber entwickelten Projekt. Im ersten Fall hat man die meiste Zeit mit strukturellen und organisatorischen Fragen zu tun, der Spielraum für eigene Themen und Erfindungen ist erstaunlich klein, diese sind eigentlich gar nicht gefragt. Institutionen sind in sich geschlossene Referenz- Systeme, wo sich alle Inhalte, Aussagen, Themen und Formen auf bereits institutionell abgesicherte Inhalte, Aussagen, Themen und Formen beziehen. Eigene Erfindungen stellen darin einen Unsicherheitsfaktor dar. ...
... Auch die sogenannt wichtige Ausstellung hat ihre Tücken. Interessant ist, dass es eigentlich kaum um einem selber und um die einem interessierenden Themen geht. Im Zentrum der Aufmerksamkeit steht immer eine Form, welche möglichst perfekt erfüllt sein will. Die Räume müssen gut aussehen, die Pressearbeit muss stimmen, ein paar Namen müssen gut klingen – da gehört man selber natürlich nie dazu – und das, was am Ende schliesslich da ist, kann immer so oder so gedreht werden, ist fast immer genug, um eine bestimmte Bedeutung abzugeben. ...
Soweit also einige Passagen aus dem Fax. Wir sehen also: Sichere Strukturen, institutionalisierte Anerkennung und Aufmerksamkeit in einem traditionellen Kontext aber inhaltlich reduziert auf Mainstream-Aspekte auf der einen und Prozesse, Kontakte, neue Ideen aber keine Ressourcen und marginale Aufmerksamkeit auf der anderen Seite. Entgegen der allgemein verbreiteter Ansieht ist dieser Konflikt viel weniger ein persönliches Problem der einzelnen Künstlerlnnen und ihrer vorerst unkonventionell wirkenden Arbeit, sondern vielmehr eine Folge gesellschaftlicher Erwartungen Das gesellschaftlich legitimierte und damit auch von einer Mehrheit getragene Interesse an Kultur richtet sich in ungleich grösserem Masse nach Verwertbarkeit und Wiedererkennung von z.B. in ihrer Bedeutung und in ihrer Wirkung bereits bekannten oder mindestens ähnlichen Momenten und Werken. Dagegen werden Prozesse oder nicht eindeutig festlegbare Arbeits- oder Ausdrucksweisen kaum beachtet oder sogar abgelehnt. Wie wir gleich sehen werden, geraten auch die Subjekte, die im kulturellen Feld agieren vor dem relativ eng begrenzten Horizont durchschnittlicher Erwartungen an Kultur unter Druck. Bevor wir uns nun einige typische Eigenschaften anschauen, die den Künstlerlnnen als die Akteurlnnen im kulturellen Feld zugeschriebenen werden, wieder ein wenig Musik."

Später, nach einigen Takten Musik: "Betrachten wir nun mal einige der typischen, den Künstlerlnnen zugeschriebenen Eigenschaften und geselIschaftlichen Funktionen. Am besten bilden wir drei verschiedene Gruppen von Eigenschaften. Eine erste Gruppe mit den eher die persönlichen Eigenheiten betreffenden Zuschreibungen nennen wir "personal attributes". Die zweite Gruppe umfasst alles Eigenschaften, die den Künstlerlnnen eher im Bezug auf gesellschaftliche Funktionen zugeschrieben werden. Sie heisst "social attributes". Und die letzte Gruppe enthält eher Bilder und Vorstellungen, die mit theoretischen Zuschreibungen, Mythen und Legenden zu tun haben. Wir nennen diese Gruppe "myths/legends". Sie sind nun eingeladen, Vorschläge zu machen, die wir hier auf den vorbereiteten Panels notieren werden, und welche wir uns dann gemeinsam anschauen wollen.
Bitte, erste Vorschlage, ja bitte!"
"Authentisch in die erste Spalte. Kreativ ebenfalls."
"Schöpfer-Zwang bei Mythen und Legenden." "Von innen heraus in die selbe Spalte."
"Weitere Vorschläge? Ja, bitte!"
"Das unentdeckte Talent!"
"Wo soll ich das hinschreiben?"
"Auch in die dritte Spalte, bitte."
"Innovativ in die mittlere Spalte"
"Ja, bitte!"
Von verschiedenen Seiten: "Unkonventionell", "spontan", "originär", "Grenzen überschreitend", "begabt", "virtuos", "überzeugend", "genial", "einzigartig" ...
"Danke, das reicht fürs erste. Wenn wir uns nun die drei Panels anschauen, wird vielleicht verständlich, wie sehr alle die nun gesammelten Eigenschaften eine Art überpersönliche Idee von Künstler beschreiben, ein Künstler- Subjekt, welches optimal in die gängige Vorstellung einer auf die herausragenden Leistungen einzelner Individuen zurückzuführende Kultur passt. Die ausserordentlichen und damit auch dynamischen und vielleicht risikoreichen und verändernden Momente, welche jede Gesellschaft in Form von Kultur produziert, sind so an Personen gebunden und werden, etwa in der Konstruktion des Stars aber auch des geniösen oder unangepassten Künstlers, stellvertretend von einzelnen durchlebt. Wir machen nun erneut eine kurze Pause mit etwas Musik."

Nach einer kurzen Pause: "Ja,ich hoffe, Sie haben sich soweit gut amüsiert. Wir haben uns vor einigen Tagen darüber unterhalten, wie eigenartig es doch sei, dass es kaum Witze über Künstler gibt. Kann es sein, dass Künstler-Subjekte eine so völlig von allen übrigen sozialen Zusammenhängen getrennte Rolle zu erfüllen haben, dass es kein soziales, gesellschaftliches Gegenüber mehr gibt, welches sich lustig machen kann. Wenn Sie den einen oder anderen Künstlerwitz kennen, wären wir Ihnen deshalb dankbar, wenn Sie Ihn nun hier oder sonst irgend wann im Laufe des Abends einbringen könnten. Wir sind alle gespannt."

Nach einer kurzen Weile: "Gibt es im Moment keine Vorschläge? Gut, dann fahren wir jetzt mit unserem Programm fort. Um uns die Strukturen des Kunstkontextes noch einmal besser zu vergegenwärtigen, haben wir an dieser Stelle ein kleines Spiel vorbereitet. Sie sehen hier eine Zielscheibe. Der innerste Kreis ist mit "Underground" bezeichnet. Der darauf folgende mit "Scene", es folgt "Trend Gallery", "Art Market" und im äussersten Kreis "Institutions". Sie sehen also ein ganz einfaches, schematisches Modell des Kunstkontextes vor sich. Dazu haben wir hier diese Plastikpistolen mitgebracht, mit denen man nun auf die Scheibe zielen kann. So, ich demonstriere das gleich mal."
Auf die Zielscheibe wird ein Schuss abgegeben.
"Die Vorstellung ist weitverbreitet, dass sich erneuernde Impulse in konzentrischen Kreisen von einem authentischen Zentrum ausgehend – in unserem Model als "Underground" bezeichnet – Schritt für Schritt bis zu ihrer Durchsetzung und Etablierung zu entwickeln haben. Diese Vorstellung orientiert sich selbstverständlich an den Bedürfnissen der Vermarktung und Verwertung und ist weniger im Hinblick auf sagen wir einmal kulturelle Intensität gedacht.
Eine der Hauptfragen scheint ja zu sein, worauf zielt man eigentlich. Auf einen hierarchisch legitimierten Kulturbegriff, existiert sowas wie ein Erfolgs-lmperativ, bei welchem selbstverständlich davon ausgegangen wird, dass man immer mehr, immer wichtigere, immer grössere und immer berühmtere Werke schafft oder Projekte macht und dabei die Geschichte einer universellen Kunst fortschreibt.
Tatsächlich geht die mehr persönliche Motivation ja oft viel stärker in die Richtung eines bestimmten Themas oder Interessensgebiet oder einer bestimmten Frage und bezieht sich auf aktuelle soziale Umstände und die momentane Lebenssituation. Und oft liegen die sich so erschliessenden Beschäftigungsfelder abseits klassischer künstlerischer Formen und Verhaltensweisen.
Wir probieren jetzt also mit diesen Spielzeugpistolen hier, verschiedene Möglichkeiten aus wie man sich selber positionieren kann. Jeder hat drei Chancen."

Nach mehreren Schüssen mit der Plastikpistole auf die Zielscheibe: "So! Versuchen Sie es am Besten gleich selber. Nehmen Sie sich dabei ruhig etwas Zeit. Wir spielen solange wieder ein paar Takte Musk."

Einen Moment später: "Wir möchten nun noch kurz auf einen weiteren Aspekt hinweisen, der bei der Positionierung eigener Projekte eine entscheidende Rolle spielt. Wir haben Ihnen deshalb eine kleine Diaschau zusammengestellt. Die Bilder zeigen Strassenansichten von drei Ihnen vielleicht bestens bekannten Stadtteilen, zwei in New York und einer in Zürich. Sie werden sogar das eine oder andere der darauf abgebildeten Gebäude oder Lokale wiedererkennen. Sie haben richtig geraten, wir wollen mit diesen Bildern von Soho, Chelsea und dem Zürcher Kreis 5 noch einma auf den Zusammenhang von Orten, Szenen und den damit verbundenen mehr oder weniger konventionellen Vorstellungen von kultureller Relevanz hinweisen.
Gentrification oder die Aufwertung von ganzen Stadtteilen durch angesagte Clubs, chice Läden und trendige Galerien wird bekanntlich als kultureller Fortschritt gedeutet, obschon diese Entwicklungen eindeutig einer renditen und marketingtechnischen Logik entsprechen und kulturell intensive Nischen dabei regelmässig verloren gehen. Ein Umstand, welcher dazu führen wird, dass die Frage wann und wo bei wem was ankommt noch einmal neu gestellt werden muss. Sehen Sie sich nun die paar Dias in Ruhe an, wir legen dazu wieder ein wenig passende Musik auf."

Nach mehreren Dias und einigen Takten Musik: "Damit sind wir für heute schon bald am Ende, denn die Zeit ist schon wieder abgelaufen und auf verschiedene zu Beginn aufgeworfene Fragen konnten wir leider gar nicht näher eingehen. Wir dachten uns zum Abschluss, dass es für Sie alle hilfreich sein könnte, mehr über die eigenen Motivationen und die persönlichen Absichten sich mit seiner Arbeit zu positionieren, zu erfahren. Wir haben deshalb einen Selbsttest ausgearbeitet, welcher es Ihnen erlaubt, auf einfache Art und Weise ihren Typ in Bezug auf kulturelle Arbeit und Karriere zu bestimmen. Kreuzen Sie bei den 3 Fragen die jeweils auf Sie zutreffende Antwort an und rechnen Sie am Ende mit Hilfe der Tabelle auf der Rückseite Ihren Punktestand aus. Auf einem separaten Blatt, welches Sie am Ausgang erhalten, finden Sie dann die entsprechenden Auflösungen.
Damit sind wir am Ende unseres heutigen Abends angelangt. Wir hoffen, dass Sie sich alle gut unterhalten haben und besten Dank fürs Mitmachen!"

(Nachgestellte Szenen einer Show, welche so oder ähnlich mit Marcus Maeder, Peter Spillmann und monitor Berlin im Rahmen von "we are somewhere else already“ im Swiss Institute New York stattgefunden hat.)

© Peter Spillmann, 04/1998

©psp 2000