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KünstlerInnen-Subjekte und andere eher suspekte Erscheinungen

Davon ausgehend, dass gerade die Kunst jenes gesellschaftliche Projekt ist, bei welchem vielleicht am augenfälligsten wird, wie Bedeutungen, Werte und Wichtigkeiten über ein System von Repräsentation, Distribution und Legitimation hergestellt und an den darin agierenden Subjekten festgemacht wird, erhoffen wir uns einiges von der Auseinandersetzung mit dem Thema Künstlerlnnen-Subjekte. Dabei interessieren uns nicht die individuellen Biografien und persönlichen Werke, welche auch sonst immer im Vordergrund stehen, wenn es um den Diskurs über Kunst geht, sondern die Tatsache, wie die Zuschreibung einzelner „Werke“ und „Leistungen“ sich an spezifische Subjekte richten, und dabei die „Authentizität dieser Subjekte einen sicheren Mehrwert garantiert. Da aber mit den eigenen Erfahrungen einer kulturellen Praxis, die nötige Distanz eines analytischen Blickes auf symbolische Prozesse im Kunstsystem immer wieder zusammenzubrechen droht, halten wir uns bei dieser Ausgabe des k-Bulletins eher an eine punktuelle Dekonstruktion oder ironische Repräsentation.
Unsere Ausgangslage ist also die, Kunst und Künstlerlnnen nicht einfach als gegeben zu betrachten, sondern als gesellschaftliches Bedürfnis, als eine kulturelle Konstruktion. Künstlerlnnen-Subjekte tauchen als Motiv traditionsgemäss überall dort auf, wo es gilt, die Grenzen geltender Konventionen zu überschreiten und neues Territorium für die bevorstehende („Kultivierung“ auszukundschaften und diese oft auch gleich einzuleiten. Dabei ist es vorerst egal, in welche Richtung eine Grenzverschiebung vorgenommen wird, - gegen „aussen“, etwa wenn es darum geht andere – die geltende Ordnung der Distinktion neu definierende – Standards der Ästhetik einzuführen, oder gegen „innen“, etwa bei Versuchen, innerste und authentische Emotionen und Anliegen vorzuführen. Generationen eines „natural born artists“ streiften und streifen denn auch zielbewusst als Avantgarde durch den „WildenWesten einer bürgerlichen Kulturauffassung“.
Die Mischung aus ungebrochener Selbstüberzeugung, expansivem Fortschrittsglaube und autoritärem Durchsetzungswillen prägt aber nicht nur den klassischen Typus des männlichen Genie-Künstler-Subjekts. In abgewandelter Form erhalten diese Behaviours auch heute noch weitaus die meisten Credits und bilden deshalb immer wieder die Identifikationsmuster für Künstlerlnnen. Das gilt einerseits für den Typus Jungstars in den jeweils aktuellen Marktsegmenten des Kunstbetriebes, welcher sozusagen „naturgemäss“ dafür anfällig ist, andererseits aber auch für Medienaktivisten, Künstler-DJ's, Dienstleistungskünstler und den Typus des Kritiker.
Auch die im Moment besonders gehypten jugendkulturellen Images, – verbunden mit der Hoffnung auf Innovation durch fun – und die progressiven Konzepte flexibler und liberaler Freelance-Subjekte, welche sich im Ernstfall auch im (wirtschaftlichen) Alltag (des Neoliberalismus) bewähren, haben den selben Background. Gewünscht und gefordert wird die Produktion besonders fortschrittlicher und authentischer Inhalte und Modelle. Auch die auf umfassende Transparenz und echte Alternative bedachte Kritik, oder der Anspruch an eine schlüssige Theoriebildung ist vom Geist der Aufklärung und Avantgarde geprägt. Die “klassischen“ Motive der Künstler-Subjekt-ldentität reichen auf jeden Fall bis tief in die eigenen Zusammenhänge und Erfahrungen hinein.

Was macht das beschriebene Künstlerlnnen-Subjekt eigentlich gesellschaftlich so attraktiv, vertrauenswürdig und überlebensfähig? Vermutlich kommt der Kunst in der traditionellen Konstruktion der westlichen europäischen Kultur und dem darin vorgesehenen Setting von Einfluss, Kontrolle, Macht und Entwicklung eine Art Schlüsselfunktion in der kulturellen Reproduktion zu. Dafür spricht etwa, dass speziell der Bildenden Kunst - und zwar selbst unter ideologisierten oder konservativen Bedingungen - immer an einer Stelle der jeweils passende Freiraum zugestanden wird. Und angesichts der Brisanz und Unsicherheiten, welche das partielle „Outsourcing“ gesellschaftlicher Verantwortung mit sich bringt, scheint auch die rigorose Selektion und die gezielte Bevorzugung einzelner, für die Auskundschaftung aktueller Entwicklungspotentiale nützlicher Subjekte plausibel. In der westlich-europäischen Kultur, die immer in einer Polarität zu „natürlichen Grundlagen der Zivilisation“ gesetzt und als „fortschrittlich“ gedacht ist, wird von den Künstlerlnnen-Subjekten inbesondere erwartet, dass sie den Zugriff auf überlebenswichtige „natürliche“ Ressourcen sichern. Die „kreativen Inspirationen“ und “genialen Leistungen“ von einzelnen Künstlerlnnen-Subjekten garantierten denn auch immer wieder die kulturelle Kontinuität, unabhängig davon, welche konkreten „Ressourcen“ – etwa Sinnlichkeit, Jugendhaftigkeit (Unschuld, Flexibilität, Risikobereitschaft) dabei gerade „knapp“ und damit besonders begehrt werden, und ohne festgesetzte Hierarchien und autoritäre Bezugssysteme (etwa im Kunstkontext) wesentlich in Frage zu stellen. Hinter der gegenüber künstlerischen und kulturellen Formulierungen erhobenen Forderung nach Authentizität verbirgt sich in Wahrheit der Anspruch auf Kontrolle. Aus der kritischen Aufarbeitung anderer scheinbar „fundamentaler Werte“ und “kultureller Grundlagen“, wie etwa den Geschlechterrollen, wissen wir, dass bestehende Konventionen und unausgesprochene Einigungen in erster Linie dazu dienen, geltende Konstellationen von Einfluss und Macht zu erhalten und zu verschleiern. Mit der Kunst und den dafür eigens konstruierten Subjekten verhält es sich nicht anders. Über das Argument Authentizität werden einzelne Personen und ganze Gruppen, welche im kulturellen Feld arbeiten, auf sich selber zurückbezogen. Vielschichtige soziale (und damit politische) Zusammenhänge werden ausgeblendet und die differenzierte Topografie von Beziehungen und Einflüssen eingeebnet.
Innerhalb einer kulturellen und künstlerischen Praxis scheint der Zwang zur ständigen Innovation umfassend. Um sich den etablierten Wahrnehmungsmustern zu entziehen, werden nicht nur auf der formalen, sondern auch auf inhaltlicher und strategischer Ebene ständig neue Nuancen des Ausdrucks, der Darstellung und der Formulierung entwickelt. Darin unterscheidet sich kulturelle Praxis nicht von wirtschaftlichem Handeln. Die Produktion von kulturellem Mehrwert entspricht der Logik des finanziellen Mehrwerts und fügt sich auch meistens nahtlos in eine wirtschaftlich spekulative Strategie ein.
Entsprechend gross ist denn auch die Nachfrage nach jungen, neu und trendy wirkenden Positionen. Aber auch kritische und widerständige Gegenpositionen und die theoretische Aufarbeitung kultureller und gesellschaftlicher Bedingungen passen ins Konzept der Innovation. Im konventionellen Kulturverständnis wird der wie auch immer erarbeitete Mehrwert ausschliesslich zu Gunsten der individuellen Akkumulation von Kapital, Prestige und Bekanntsein abgeschöpft.

Neben dem Künstler-Subjekt ist das von ihm geschaffene Werk die zweite, „natürliche Kategorie“ in der Kunst. Das Werk ist sozusagen das greifbare Beweisstück für die objektive Existenz der Kunst und Angelpunkt bei ihrer historischen Legitimation. Über die Aneignung, den Besitz und die Kontrolle von Kunstwerken läuft denn traditionellerweise auch die Vereinnahmung von kulturellen Prozessen und Zusammenhängen, indem diese als Instrumente der Repräsentation und zur symbolischen Sicherung von gesellschaftlichem Vorsprung benutzt werden. Der Warencharakter, den erfolgreiche Werke dabei haben müssen, steht nach wie vor im Vordergrund, obschon sich abzeichnet, dass sich vor dem Hintergrund komplexer Dienstleistungsprozesse, wie sie im Moment in der Wirtschaft produziert werden, das Interesse für andere Formen von Kunstproduktionen, etwa für temporäre Prozesse, Interventionen und Untersuchungen – und den damit signalisierbaren intellektuellen Approach – wächst.
Zusammen mit dem Künstlerlnnen-Subjekt steht unserer Ansicht nach Kunst selber zur Disposition, als selbstverständlich vorausgesetzter „kleinster gemeinsamer Nenner“ von unterschiedlichsten kulturellen Praxen. Das Projekt „Kunst“, in einer breiteren gesellschaftlichen Perspektive betrachtet, entpuppt sich auch Ende der 90er Jahren zwar als flexibel und adaptionsfähig, aber weiterhin resistent gegen grundsätzliche Neuformatierungen und daher im Kern auch als nachhaltig konservativ.
Der Künstler hat als spezifisches Subjekt und Rôle-Model des Kulturbetriebes – und darüber hinaus – bis heute überlebt. Mit ihm haben das auch eine ganze Reihe von gesellschaftlichen Zuschreibungen, Funk- tionen und Projektionen getan, welche seit der Erfindung des Künstlers im Zeichen der Aufklärung und der Etablierung einer vom Bürgertum getragenen Kultur zwar ständig weiterentwickelt und modifiziert jedoch nie aufgehoben worden sind. Es macht sogar den Anschein, dass in der zunehmend über das einzelne Subjekt formatierten, spätkapitalistischen Version von Gesellschaft ein neuer Boom des individuellen, autonomen, innovativ-erneuernden, produktiven, erfolgreichen und jungen (männlichen) Subjekts, für welches der Künstler schon immer auch gerade gestanden hat, am anrollen ist.

Perspektiven einer anderen Auffassung der gesellschaftlichen Bedeutung von Kultur, in denen z.B. soziale und kommunikative Intensitäten mehr zählen als die Genealogie herausragender Leistungen, sind in den zahlreichen Ansätzen einer veränderten, kritischen und selbständig formatierten kulturellen Praxis, wie sie z.B. in kollektiven Zusammenhangen, themenbezogenen Netzwerken oder im Umfeld feministischer Repräsentationskritik und Theorie stattfindet, längst vorhanden. Ihre Wirkung auf konkrete kulturelle Rahmenbedingungen wie Ausbildung, öffentliche Förderung, Distribution und Rezeption, Arbeitsweisen und Zielsetzungen von Institutionen und der Legitimation von Subjekten bleibt vorerst jedoch unverhältnismässig marginal. Der angesprochene Kunstkontext, welcher neben Museen, Sammlungen, Förderungsinstitutionen und Institutionen des Kunstmarktes (Galerien, Messen), auch zahlreiche spezialisierte, aus unabhängigen Interessen heraus entstandene Institutionen, Gruppen und Netzwerke sowie ein differenziertes Spektrum von Distributionsmedien und Fachzeitschriften umfasst, wird zwar durch die Teilnahme von Künstlerlnnen, Kuratorlnnen, Kritikerlnnen, Theoretikerlnnen und dem Publikum laufend konstituiert; aber es gelten nach wie vor traditionelle Paradigmen bei der Rezeption und Beschreibung von Kunst. Andererseits gilt, nur was in diesem spezifischen Kontext verhandelt wird, ist letztlich Teil des Kunstsystems.
Damit bleibt auch die Frage offen, unter welchen strategischen Voraussetzungen die kontinuierliche Auseinandersetzung mit dem Kunstkontext und den daran festgemachten Hoffnungen auf eine symbo- lisch bedeutende Öffentlichkeit und das Versprechen auf einen wie auch immer gearteten kulturellen Mehrwert, für die eigenen Ansätze tatsächlich etwas bringt – und das Künstler-Subjekt bleibt solange suspekt, oder aber weiterhin ein dankbares Motiv für die eigenen kulturellen Strategien, Diskurse und Zusammenhänge.

© Peter Spillmann, 1999

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