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Wohnen und Wirken in der West-Side nur noch solange Vorrat
Kulturalisierung im Zürcher Kreis 5 und überhaupt


working, living, dining, shopping

Eine schon zur Hälfte ausgetrunkenen Harrasse Corona-Bier mit dem Slogan „Wohnen und Wirken in der West-Side nur noch solange Vorrat." wirbt für eine der vielen „Loft-Living Phantasien", die momentan im Zürcher Stadtteil Kreis 5 auf den Geländen der ehemaligen Fabrikareale gebaut wird. „West-Side" ist das mit dem Glanz des Broadways kokettierende, nicht besonders originelle Label, welches eigens für eine neue zu veräussernde Immobilie in Zürich West entwickelt wurde. Der Stadtteil Zürich West hiess allerdings bis vor 2 Jahren noch „Industriequartier" und das Immobilienprojekt "West-Side" war vor einem Jahr noch das Steinfelsareal. Die eher zu ironischen Kommentaren verleitende Anzeige wäre weiter nicht erwähnenswert, würde sie nicht in einem bemerkenswerten Kontext von einer grundlegenden kulturellen und ökonomischen Umstrukturierung und einer damit einhergehenden Medienpolitik stehen, die im Diskurs der Stadtsoziologie gerade zu paradigmatischen Charakter hat.

Auch in der Schweiz zeigte bereits in den 80er Jahren die Liberalisierung des Welthandels ihre Folgen. So wurde das Kapital auch im ehemaligen Industriequartier in Zürich aus Rentabilitätsüberlegungen aus der industriellen Produktion von Waren zurückgezogen und nach Wetzikon, Osteuropa oder Südostasien ausgelagert. Die Auswirkungen waren nicht nur in den outgesourcten Produktionstätten der sog. Billiglohnländer sondern auch in dem von der Industrieproduktion geprägten Stadtteil besonders augenfällig. Innerhalb weniger Jahren wurden hier fast sämtliche Produktionsstandorte aufgegeben. Von 1991 bis 1996 gingen in diesem Prozess alleine in der Stadt Zürich 40‘000 Arbeitsplätze verloren. In die leeren Hallen und Räume zogen nach und nach kleine Betriebe, Garagen, Architektenbüros und Kulturschaffende ein. Merkmal all dieser Projekte und Nutzungen war ihr temporärer und provisorischer Charakter. Für alle diese Zonen bestanden bereits Ende der 80er Jahre Überbauungspläne, die in den meisten Fällen grosse Bürokomplexe vorsahen. Aber auch die Verwaltungs- und Dienstleistungsbranche wurde von einer weiteren Welle der Umstrukturierung erfasst. Der sinkende Bedarf nach Büroräumen durch die Auslagerungen der Büroarbeit mittels neuer Kommunikationstechnologien, Telearbeitsplätzen und Desksharingkonzepten und die damit verbundenen Kündigungen bedeutete für fast alle Projekte vorerst das aus. Dafür entwickelten sich umso überraschender neue urbane, soziale und kulturelle Zwischenzonen. Das kurzfristige Überangebot an günstigen Räumen bot ideale Voraussetzung, um neue Arbeits- und Lebensformen zu entwickeln. Es entstanden kleine alternative Unternehmen, temporäre öffentliche Orte, Clubs, „illegale" Bars und Projekträume. Im Schoeler Fabrikareal zogen z.B. vorübergehend verschiedene kulturelle Institutionen und Galerien ein.

Durch den ökonomischen Umbau kam es aber auch zu Verschiebungen in der ansässigen Quartierbevölkerung. Der Anteil migrantischer BewohnerInnen, welche in der Finanzmetropole Zürich vor allem Putz-, Hilfs- und Zuliefererarbeit leisten, nahm zu, kleinbürgerliche Schweizer Familien zogen eher weg. Das im Kontext dieses ökonomischen Strukturwandels am intensivsten in der Öffentlichkeit besprochene Ereignis allerdings, war die sogenannte „Drogen-Krise", welche sich nach der Auflösung und Vertreibung der offenen Drogenszene vom Platzspitz immer mehr ins angrenzende Quartier verlagerte. Tägliche Schlagzeilen, Sensationsberichte, Reportagen und polemische Kommentare prägten das hysterisch übersteigertes Bild der Medien, von dem was hier täglich geschah. Da war die Rede von „Krieg" und als zentrales Feindbild wurde der „ausländische Drogendealer" aufgebaut. Der gesamte Kreis 5 verkam angeblich vor den Augen der Öffentlichkeit zu einem „Slum", was angesichts der Schweizerischen Realität, in der selbst in peripheren Zonen der Stadt die letzten ungenützten, ungefegten und nicht disziplinierten Ecken vergeblich zu finden sind, schlicht ein Affront ist. Die Rede von "Slums" ist immer schon jene Medienstrategie gewesen, um bestimmte Zonen und Szenen gezielt abzuwerten, um neuen Planungsdiskursen Raum und Rechtfertigung zu verschaffen. Die kontinuierlich abwertende Darstellung ganzer Bevölkerungsgruppen und Lebenszusammenhänge zeigte denn auch nachhaltige Effekte. Sie steigerte die breite Akzeptanz oder zumindest Indifferenz gegenüber Repressionsmassnahmen und Verdrängung von gesellschaftlichen Minderheiten und bereitete emotional und argumentativ das Terrin für die angeblich unumgängliche Neuformatierung eines ganzen Stadtteils vor.

Die durch den Rückzug der Industrieproduktion entstandenen realen Leer- und Lebensräume werden seit Mitte der 90er Jahre mit neuen Investitionen zu renditeträchtigen Immobilienprojekten umgebaut. Die mentalen Leerstellen, welche die Ereignisse zurückgelassen haben, werden mit den positivistischen Fiktionen eines erfolgreichen Lebens eines kreativ wirkenden, postmodernen Szene-Subjekts aufgefüllt. Der angebliche Trend ist mit „wohnen und wirken" - oder „working, living, dining, shopping", wie es in einer anderen Immobilienkampagne heisst - in eine treffende Formel gefasst. Was hier attraktiv gemacht und teuer verkauft wird, als der ganz spezielle urbane Mehrwert, basiert im wesentlichen auf der gezielten Instrumentalisierung der kurz zuvor noch vehement abgewerteten und verdrängten, zumeist schon wieder unsichtbaren Geschichte einer kreativen und migrantischen Aneignung von städtischen Zonen und öffentlichen Räumen. Auf Grund der neuesten Berichte in den öffentlichen Medien, hat sich das Quartier nun von der „Drogenhölle" zum gehypten „Trendviertel" mit „grossstädtischen Flair" entwickelt.


Kultur tut gut

Heute sind sich auch in Zürich Medien, Behörden, öffentliche Institutionen, Stadtmarketing und private Immobilienfirmen in einem Punkt einig: Kultur tut gut. Bei den jährlich von Healey&Baker herausgegebenen Erhebungen zu „Europe‘s Top Cities" gehört die Bewertung von Kultur längstens mit zu den wichtigsten weichen Fakten, welche für den Wettbewerb der Städte als erfolgsversprechender Wirtschaftsstandort von Bedeutung sind. Und genau so ist Kultur mittlerweilen auch in den Köpfen verankert, als universeller Wert und als eine Garantie, im Druck des globalen Wettbewerbs den Anschluss nicht zu verpassen.

Im Gegensatz zum industriellen Zeitalter dienen Städte heute eher als Zentren der Wissens- und Informationsproduktion und des Transfers. Die globale Konkurrenz um Standortvorteile erfordert aufwendige Eingriffen in die Stadtstrukturen. Neben Erschließungen im Verkehrs- und Kommunikationsbereich werden dazu neue kulturelle Leitbilder benötigt und kreiert. Kunst und Architektur wurden so zu einem der wichtigsten Wirtschafts- und Prestigefaktor der 80er und 90er Jahre. Museumsneubauten, Galerien, Ausgeh-, Konsum- und Wohnzonen für gehobene Ansprüche gehören dabei genauso zum Repetoir der „Kulturalisierung" und „Aufwertung" von Stadtvierteln und ganzen Städten, wie die Organisation von internationalen Festivals und spektakulären Großausstellungen.

Das öffentliche Verständnis von Kultur basierte seit den 70er Jahre auf der Einsicht, dass Kultur eine wichtige gesellschaftliche Funktion hat, ein öffentliches Anliegen ist und für ihr Funktionieren eine möglichst unabhängige und breite Unterstützung braucht. Aber der unter dem Druck des Neoliberalismus verschlankte und zur Effizienz bereite Staat von heute, kann sich diese engagierte gesellschaftliche Perspektive angeblich nicht mehr leisten. Optimierungsstrategien haben auch deshalb im Umgang mit Kultur und in der Kulturförderung Einzug gehalten.

Was in Politik und Wirtschaft unter „Aufwertung" oder „effizienterer Verwertung" von Kultur verstanden wird, ist aus dem Blickwinkel der KulturproduzentInnen eine reaktionäre Umdeutung des Kulturbegriffs. Mit dem Argument, sich einem gewissen internationalen Standard anpassen zu müssen, werden z.B. in der Schweiz die öffentlichen Förderungsgelder für Bildende Kunst zunehmend an spezifische Bedingungen geknüpft. Heute werden nicht mehr viele, möglichst diverse Aktivitäten und Ansätze lokaler Kunstszenen unterstützt, sondern eher die „erfolgsversprechende" Einzelposition. Im koordinierten Zusammenspiel von Bund, Staat und Gemeinde werden heute bereits vermehrt einzelne Karrieren aufgebaut und der Einstieg in die „professionelle" Selbständigkeit gefördert . Dabei nimmt auch die Erhaltung von bereits Bewährten wieder einen höheren Stellenwert ein. Mit der in diesem Trend impliziten Forderung nach (international) messbarem Erfolg wird das universelle Kulturprojekt, welches in erster Linien in den Strukturen des Kunstmarktes und den Netzwerken grosser Institutionen zum Ausdruck kommt, erneut zur massgebenden Norm für Qualität und Wert. Die Abkehr von lokalen, eigenständigen und autonomem Ideen, Entwicklungen und Szenen und die gleichzeitig zunehmende Rücksicht auf Regeln und Kriterien des Kunstmarktes ist im Grunde nichts anderes als die Substitution einer eigenständigen Kulturpolitik in den Markt.

Private Förderer haben diesen „Trend" schon seit längerem erkannt. Idealistische Motive des Mäzenatentums sind auch in der Privatwirtschaft nicht mehr auszumachen. Kulturföderung ist hier seit längerem integrativer Bestandteil der „Corperate Culture Strategie" des Unternehmens und erfüllt genau definierte Aufgaben im Aufbau und bei der Pflege geeigneter Zielgruppen und Images. Da nur eine möglichst direkte Kontrolle über die Ausrichtung des Programms oder der Sammlung, optimale Synergien mit der eigenen Unternehmensphilosophie garantiert, wird Kultur von Firmen immer weniger unterstützt, aber dafür gleich selber arrangiert und produziert. Einer der grössten privaten Kulturförderer der Schweiz, Migros Kulturprozent, organisiert mittlerweilen eigene Festivals in den Sparten Tanz, neue Medien und progressive Musik, unterhält mit dem „Migros Museum" in Zürich für die private Sammlung und wechselnde Ausstellungen ein eigenes Museum und publiziert mit „Material" ein eigenes Kunstmagazin. Noch vor wenigen Jahren hat Migros Kulturprozent ausschliesslich eine breite Palette von kulturellen Aktivitäten in unterschiedlichen Schichten der Bevölkerung gefördert. Eine diverse und demokratische Kultur, die im Vergleich mit den „professionell aufgezogenen" und international ausgerichteten Aktivitäten, bedeutungslos wird.


submeet

Neben anderen bemerkenswerten „turns", welche sich in den letzten Jahren in der Kulturpolitik vollzogen haben, mutet aus der Perspektive der KulturproduzentInnen die Übernahme von Gesten, Themen und Formaten ursprünglich unabhängiger Szenen durch etablierte Institutionen besonders eigenartig an. So veranstalten Museen und Galerien schon seit längerem Parties im Stil der „illegalen Bar" während auf der 88 Millionen sFr. teuren Probebühne des Schauspielhauses, die kürzlich in einer ehemaligen Produktionshalle im Sulzer Escher Wyss-Areal eröffnet wurde, eine ad hoc improvisierte Soap inszeniert wird, die dem „spontanen Geschehen " eines unabhängigen Off-Spaces nachempfunden ist. Und seit einiger Zeit kehren selbst die eigenen schrummligen Vorlieben, die eigenen, oft improvisierten und zufällig entstandenen Lebensumstände in Anzeigen von Immobilienfirmen als begehrenswerte Lifestyle- und Wohnmodelle wieder.

Das bürgerliche Kulturverständnis vertritt bekanntlich die Auffassung, dass „herausragende kulturelle Leistungen" das Ergebnis von Leistungen einzelner Individuen sind. Diese Ansicht steht in einem unlösbaren Widerspruch zu den eigenen Erfahrung als kulturelleR ProduzentIn. Tatsächlich interessant an der lokalen Kulturszene waren in den 90er Jahren eigentlich nur die sich ständig verschiebenden selbstorganisierten Zusammenhänge, Projekte und Räume, die darin ausgedrückten Begehren und temporären Artikulationen. Spannende kulturelle Entwicklungen, Umdeutungen und Transformationen finden dort statt, wo der Freiraum genügend gross ist, um gesellschaftliche Regeln neu zu interpretieren, eigene soziale Verbindlichkeiten herzustellen und mit den gegebenen Ordnungen zu spielen. In dem Sinne ist Kultur immer ein partizipatives, soziales und auch alltagspolitisches Projekt.

Sowohl kulturelle Institutionen als auch ökonomische Strukturen, bemühen sich, möglichst nahe an die aus ihrer Sicht „vitale soziale Essenz" von Kultur heran zu kommen. Während traditionelle Institutionen der Kunst- und Kulturvermittlung wie das Migros Museum oder das Schauspielhaus die sozialen Formate und Themen, das „unmittelbare Geschehen" in Form von Parties, improvisierten Soaps, im Museum lebenden KünstlerInnen, Trendmessen wie submeet etc. als Programm zu integrieren versuchen, werden in der Wirtschaft immer mehr Produkte und Dienstleistungen mit den entsprechend elaborierten Images von hipper In-Kulturviertheit und subkulturellen Lebensweisen aufgeladen und vermarktet.

Durch die „Privatisierung" von Kultur und Kulturvermittlung und der parallel dazu stattfindenden Kulturalisierung der Wirtschaft hat sich der Konflikt zwischen den real notwendigen Voraussetzungen für eine kulturelle Arbeit und der immer schnelleren Verwertung dieser Praxis drastisch verschärft. Subkulturelle Gesten und Zeichen „authentischer Kreativität" gewinnen in dem Masse zunehmend an symbolischer (Kunstkontext) und ökonomischer (Wirtschaft) Bedeutung, in dem andererseits die sozialen, räumlichen und ökonomischen Bedingungen für die ihnen zu Grunde liegenden sozialen Prozesse immer prekärer werden und schliesslich überhaupt nicht mehr vorhanden sind. Zur Erfahrung des Stadtteils Kreis 5 als ein „attraktiver" und „kreativer" Ort, hatten unterschiedliche Szenen auf unterschiedliche Weise beigetragen. Aber nur die wenigsten kamen in einer breiteren Öffentlichkeit je vor oder hatten gar die Gelegenheit sich auf einer tragfähigen Basis autonom weiter zu entwickeln. So spielt das soziale und kulturelle Leben der unterschiedlichen migrantischen Szenen in der öffentlichen Wahrnehmung ausser als eine Art „Multikulti-Kulisse" für die Selbstverwirklichung der jungen Erfolgreichen kaum eine Rolle. Wichtige Orte der Sub-Szenen und damit zahlreiche soziale Verbindungen und Verbindlichkeiten sind längst wieder verschwunden. Von den ehemaligen Hausbesetzerinnenprojekten oder dem Autonomen Jugendzentrum ganz zu schweigen.

Jedes Marketingkonzept - ob es dabei um die Vermarktung von Immobilien, Kultur oder Städten geht, - ist darauf angewiesen, auf einerseits möglichst breit distribuierte und andererseits gleichzeitig emotional verankerte Bilder zurückzugreifen. Um klar zu machen, wovon die Rede ist, vom „wahren, aufregenden, urbanen Leben" zum Beispiel, werden einfache Zeichen benötigt. Loft-Erlebnisse, Village Voice – Flair , West-Side- und Docklandphantasien können zwar die wenigsten mit eigenen realen Erlebnissen oder Erinnerungen in Verbindung bringen, denn es liegt in der „Natur" solcher universalistischer Erzählfragmente, dass niemand dabei war, „als es wirklich geschah", aber als Motiv für eine schnelle Einigung „worum es geht", genügen sie alleweil.

Es ist unübersehbar, dass in all diesen „common images" Versatzstücke eines idealisierten, sozialen und kreativen Daseins aufscheinen. Was hier geschieht ist eine Art Verwertung einer gemeinsamen, eben gerade nicht elitären Kultur, sowie der Lebenszeit Anderer, auf denen die europäische Vorstellung von Kultur und Ökonomie in einer kapitalistischen Gesellschaft letztlich immer schon aufbaute. Kunst ist dabei interessant als ein international eingeführtes, universelles Brand, eine komplexe Markenwelt mit hohem Differenzierungspotential, ein Konglomerat aus London, New York, Geld, Spass, Parties, Verfügbarkeit und Erfolg, das perfekte Marketingfeld also, für den globalisierten Kapitalismus. Soho-Grossstadtkitsch und Künstler-schöner-wohnen-Mythen lassen sich aber nicht ewig repetieren. Sie verlieren zunehmend an Differenzwert und richten sich deshalb fast zwangsläufig an immer „allgemeinere Käuferschichten", solange bis alle den Geschmack daran verloren haben. Ohne allzu optimistisch zu sein, wäre das ein durchaus sympatisches Zukunfts-Szenario, die Kunst- und Kulturideale einer gelangweilten Oberschicht irgendwann einmal los werden zu können.

Die Vorzeichen für einen derartigen Pradigmenwechsel scheinen aber alles andere als günstig zu sein. Im Moment wird es wieder schwieriger, eigene Kultur- und Handlungsräume zu etablieren, nur schon bezahlbare Räume sind knapp. Das Image des neoliberalen Einzelsubjekts (wenn ich nur will, schaffe ich es) überschattet mittlerweilen alle Szenen. Existenzjobs in der Imageindustrie und im Werbebusiness fressen an der Kreativität und am Engagement für entspanntere Gemeinsamkeiten. Die aktuelle Diskussion um das im Sulzer Escher Wyss-Areal geplante Flick-Museum, zeigt besonders drastisch, auf welchem Niveau sich nun die öffentliche Auseinandersetzung um kulturelle und soziale Werte abspielt. Die gönnerhafte Geste des smarten Industriellensohnes wird zwar niemand im Ernst zurückweisen, aber alles wäre halt noch schöner, wenn schmutzige Geld zumindest eine weisse Weste tragen würde, gemäss der Moral, die in Zürich, auf einem der wichtigsten Vermögensverwaltungsplätzen der Welt schon immer vorherrschend war. Zu lange wird der Kreis 5 nun schon als hippe Kulturmeile propagiert, als dass es besonders erstaunlich wäre, dass die Flicks der Welt ausgerechnet hier, wo bereits das alte Kapital auf Kosten der Lebenszeit und Gesundheit Anderer für den Rest der Welt Waffen und anderes produzieren liess, ihr privates Museum bauen wollen.

Während auf agressiv vermarkteten öffentlichen Podien über die Vergangenheit von Flicks debattiert wird, geht die Kulturalisierungpolitik woanders in die zweite Runde. Nun wird der Stadtteil Kreis 4 zum neuen In-Place erklärt. Dort wo sich Urbanität, Dichte und Vermischung unterschiedlicher (auch nicht-schweizerischer) Sub-Szenen noch positiv festmachen und als lebenswerter sozialer Raum beschreiben liesse, setzt in den Medien nun erneut das Lamento über einen "zu hohen AusländerInnenanteil", „problematische Zonen" und „Verslumung" (Tageanzeiger) ein. Alleine diese nächste Gentrifizierungs- und Vertreibungswelle, in welcher voraussichtlich weitere soziale und kulturelle Grundlagen und alternative Lebenszusammenhänge zu Gunsten von schlechten Architekturkonzepten für besserverdienende , dauergestresste Mieter ausgelöscht und in "sauberes" Geld umgewertet werden, wäre eine echte Aufregung und Entrüstung in den Medien und in der Politik wert.

Peter Spillmann
Marion von Osten

©psp 2000