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Alles wird gut?

Spaziert man heute durch den Kreis 5, ist von all dem was hier in den lezten 10 Jahren sozial und kulturell geschehen ist erstaulich wenig sichtbar. Die meisten wichtigen Orte der Sub-Szenen und damit zahlreiche soziale Verbindungen und Verbindlichkeiten sind längst wieder verschwunden, von den ehemaligen Hausbesetzerinnenprojekten entlang der Josefstrasse oder dem Autonomen Jugendzentrum ganz zu schweigen. Übriggeblieben sind mit dem Löwenbräu und dem Schiffsbau letztlich zwei drei grosse kulturelle Institutionen und ein Quartier mit einem völlig neuen Image, welches - in den Medien gefeiert - , einigen Immobilienfirmen und einer neuen Generation von Unternehmern nun dazu dient, ihre Marketingkonzepte mit „Urbanität" aufzupeppen. Während wir den aus architektonischer Perspektive sicher alles andere als gelungene Umbau des Kreis 5 vermutlich bald vergessen haben werden, wird uns die Kulturalisierung der Wirtschaft und die damit verbundene Umfunktionierung der öffentlichen Kulturdebatte zu einer Marketingoffensive, welche parallel dazu stattgefunden hat, wohl noch etwas länger beschäftigen.

Seit den 80er Jahren finden auch in der Schweiz im Zeichen der globalen Liberalisierung wirtschaftliche Umstrukturierungen statt. In diesem Prozess gehen alleine in der Stadt Zürich zwischen 1991 und 1996 40‘000 Arbeitsplätze verloren. Besonders sichtbar geschieht dieser zugleich strukturelle wie soziale Umbau der Stadt im ehemaligen Industriequartier Kreis 5. Hier werden in den 90er Jahren praktisch sämtliche Produktionsstandorte aufgegeben. Aber auch die Verwaltungs- und Dienstleistungsbranche wird von einer weiteren Welle der Umstrukturierung erfasst. Diese bedeutete für fast alle Überbauungsprojekte, welche Ende der 80er Jahren für die ehemaligen Industrieareale geplant wurden vorerst das Aus.
Dafür entwickelten sich umso überraschender neue urbane, soziale und kulturelle Zwischenzonen. Das kurzfristige Überangebot an günstigen Räumen bot ideale Voraussetzung, um neue Arbeits- und Lebensformen auszuprobieren. Es entstanden z.B. rund ums Schoelerareal und entlang der Hardturmstrasse und in in anderen Arealen zahlreiche temporäre öffentliche Orte, Clubs, „illegale„ Bars und Projekträume und schliesslich eine Reihe kleine alternativer Unternehmen. Die Namen von ehemals grossen Firmen mit ihrer über 100 jährigen Geschichte bekommen in nur wenigen Jahren für eine ganze Generation von BesetzerInnen Kulturschaffende, AktivistInnen und PartymacherInnen eine völlig neue, eigene Bedeutung. Wohlgroth, Schoeler, Steinfels, Löwenbräu, Maag, Sulzer Escher Wyss stehen heute auch für durchfeierte Nächte, unkonventionelle Events, gute Musik, neue Begegnungen, Freundschaften oder selbstbestimmte Wohn-, Arbeits- und Lebensformen.
Interessant an der lokalen Kulturszene waren die sich ständig verschiebenden selbstorganisierten Zusammenhänge, Projekte und Räume, die darin ausgedrückten Begehren und temporären Artikulationen. Spannende kulturelle Entwicklungen, Umdeutungen und Transformationen finden dort statt, wo der Freiraum genügend gross ist, um gesellschaftliche Regeln neu zu interpretieren, eigene soziale Verbindlichkeiten herzustellen und mit den gegebenen Ordnungen zu spielen. In dem Sinne ist Kultur als ein partizipatives, soziales und auch alltagspolitisches Projekt immer auf ein gewisses Mass urbaner Dichte und Unüberschaubarkeit angewiesen. Zur Erfahrung des Stadtteils Kreis 5 als ein „attraktiver„ und „kreativer„ Ort, haben denn auch die unterschiedlichsten Szenen auf unterschiedlichste Weise beigetragen. Aber nur die wenigsten kamen in einer breiteren Öffentlichkeit je vor oder hatten gar die Gelegenheit sich auf einer tragfähigen Basis autonom weiter zu entwickeln. So spielt bis heute das soziale und kulturelle Leben der verschiedenen migrantischen Szenen in der öffentlichen Wahrnehmung ausser als eine Art „Multikulti-Kulisse„ für die Selbstverwirklichung junger Erfolgreicher kaum eine Rolle.

Der Mitte der 90er Jahren einsetzende Prozess der Zentifizierung des Kreis 5 und die Rückaneignung der temporär autonomen Zonen durch Investitionsprojekte war auf Grund paraller Entwicklungen überall in Europa immer auch vorhersehbar und wurde in einigen Veranstaltungen etwa in der Roten Fabrik, in der Shedhalle und im Schoelerareal anlässlich des "Kraftwerk-Sommers" auch thematisiert. Wer sich in subkulturellen Zusammenhängen engagierte, hat sich oft von Anfang an auf „Zwischennutzungen" und temporäre Projekt eingestellt. Persönliche Energien, gemeinsame Motivationen, der „Wille zur Struktur" und natürlich die Finanzen waren in den wenigsten Projekten darauf ausgerichtet, sich zu institutionalisieren und sich mit alternativen Perspektiven in den neu zu formatierenden Stadtteil einzuschreiben. Dort wo dies vielleicht am ehesten gelang, etwa im Kraftwerk, waren die dafür notwendigen Investitionen und Kompromisse in politischer, kultureller und finanzieller Hinsicht denn auch relativ hoch. Es gab und gibt bis heute gute Gründe, sich nicht auf Fragen der Stadt -Optimierung einzulassen und sich die nötigen kulturellen Freiräume auch in Zukunft ohne langfristige Verpflichtungen und Investitionen bloss auf Zeit zu beschaffen.

Mit dem Zusammenbruch der Old Economy entstanden nicht nur temporäre Freiräume sondern wurden auch neuen, vermehrt auf Diensleitung und Repräsentation ausgerichteten Wirtschaftsbereiche von kultureller Legitimierung abhängig. Entsprechend gross ist das Bedürfnis nach „progressiven" Images. Die Marketingindustrie gehört längst zu den wichtigsten „Abnehmern" von Sub- und Jugendkultur und „trendbewusste" Kunstinstitutionen haben ihr Programm entsprechend angepasst und der Wert einer dem internationalen Standard entsprechenden „progressiven" Kulturbetrieb wurde auch bei den Verantwortlichen für Standortmarketing erkannt.
Bei den jährlich von Healey&Baker herausgegebenen Erhebungen zu „Europe&Mac226;s Top Cities„ gehört die Bewertung des Kulturangebots neben der „intakten Umwelt" längstens mit zu den wichtigsten sogenannten „weichen Fakten", welche für den Wettbewerb der Städte als erfolgsversprechenster Wirtschaftsstandort von Bedeutung und damit ein gewichtiges Verkaufsargument gegenüber potentiellen Investoren sind. Und genau so ist Kultur mittlerweilen auch in den Köpfen, Planungskonzepten und Business-Strategien verankert, als universeller Wert, als sicherer Mehrwert und als eine Garantie, angesichts des „globalen Wettbewerbs" den Anschluss nicht zu verpassen. Kultur wird nicht mehr länger aus der Perspektive der ProduzentInnen und ihren spezifischen Voraussetzungen und Bedürfnissen verhandelt sondern in der Logik der Verwertung und Vermarktung als möglichst diversifiziertes Angebot aufgefasst und bewertet.

In einem als „Kulturkonzept" bezeichneten Strategiepapier, welches die Stadt Zürich Mitte der 90er Jahren verfasst hat, zeichnet sich ab, wie auch auf der Ebene der lokalen Kulturpolitik ein vormals gesellschaftspolitisch definierter Kulturbegriff eine Umdeutung erfährt. In einer Art Bestandesaufnahme werden alle Einrichtungen und Institutionen aufgezählt, welche zu der Zeit existierten. Neben dem mit jährlich 60 Mio. geförderten Opernhaus tauchen ganz selbstverständlich auch alternative Projekte und Initiativen auf, welche nur bescheidene oder gar keine öffentliche Unterstützung bekommen haben. Die zum Kulturkonzept umfunktionierte, nicht länger wertende Bestandesaufnahme sehr gegensätzlicher und oft in Abgrenzung zueinander entstandener Projekte, Institutionen und Haltungen markiert auf stadtpolitischer Ebene das Ende einer differenzierten öffentlichen Debatte über Kultur als kontinuierliche und kontroverse Auseinandersetzung um unterschiedliche Wertvorstellungen, Lebensentwürfe und Gesellschaftsmodelle sowie deren Förderung (und/oder Diskriminierung). An Stelle der Auseinandersetzung tritt die als "Überwindung alter ideologischer Grenzen" gefeierte Integration aller kreativen Ressourcen in den politischen und wirtschaftlichen Verwertungsprozess, die Verwaltung und Vermarktung eines möglichst bunten und diversifizierten Kulturangebots und damit letztlich der Hype.

Quer durch alle Szenen und Medien hindurch wird heute beteuert, dass Zürich lebendiger, kreativer und weltoffener sei denn je und dass das Kulturangebot endlich mit jeder Weltstadt Schritt zu halten vermag. Die Verwechsung von vielfältigem Angebot mit einem kreativem Klima verhindert denn auch erfolgreich eine weitere Debatte darüber, wie Loftliving in tristen Neuüberbauungen in Zürich West zum Lifestyle der jungen Mittelschicht werden konnte oder wieso in die Toni Molkerei zwar Millionen investiert wurden, sie aber dennoch als alternativer Club vermarktet werden kann.

Peter Spillmann

©psp 2001