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"Gut gibt’s die Schweizer Bauern"
Vom Verschwinden der realen Landwirtschaft aus dem kulturellen Bewusstsein

Seit einiger Zeit tritt die schweizerische Landwirtschaft mit einem neuen einheitlichen Erscheinungsbild auf. In Inseraten, an Informationsständen und in Informationsbroschüren der landwirtschaftlichen Informationsstellen bilden ein in die Horizontale geneigtes Kreuz mit stilisierten grünen und braunen Feldern und der Slogan "Gut gibt's die Schweizer Bauern" wiedererkennbare Zeichen. Im Zeitalter der fortgeschrittenen Aufmerksamkeitsökonomie scheint es nur selbstverständlich, dass sich nun neben dem Telefonanbieter, dem Stromlieferanten und dem Hilfswerk auch die Landwirtschaft mit einer professionell aufgezogenen Marketingkampagne bemerkbar macht. Was dabei Telefon, Strom, Soziales und die Landwirtschaft gemeinsam haben, ist die Tatsache, dass alle mit einer Form von Grundversorgung zu tun haben, die seit der Privatisierungswelle der 1990er Jahre nicht mehr kollektiv, sondern zunehmend über den Markt geregelt werden soll und deshalb auch nicht mehr länger selbstverständlich ist. Das Überleben des einen oder andern Anbieters hängt nun von der Gunst der Kunden ab, entscheiden sich diese für den blauen oder den roten Strom, bevorzugen sie die grüne oder die braune Landwirtschaft?

Die aktuelle Kampagne der Landwirtschaft ist vorerst noch bescheiden. Im Gegensatz zu den Industriekonzernen verfügt die Landwirtschaft (noch) nicht über ein strategisches Management und eine gut dotierte Marketingabteilung. Sie ist zum Glück auch noch weit davon entfernt, ein privater Konzern zu sein. Immerhin strebt die Agrarpolitik 2002 den sukzessiven Abbau der staatlichen Preisstützungen für die Agrarprodukte an und basiert auf der Annahme, dass weiterhin jährlich 2–3% aller Beschäftigten den Agrarsektor verlassen. Die Unterstützung soll auf Direktzahlungen für besondere ökologische und landschaftspflegerische Leistungen der Bauern eingegrenzt werden. Diese werden in Zukunft also entweder in selbständige Unternehmer im Ernährungsbereich oder staatlich beauftragte Dienstleister verwandelt, die sich der Pflege und dem Erhalt der Landschaft im Interesse der Konsumgesellschaft widmen.

Dieses Szenario ist reichlich prekär – und genau das ist auch der Hintergrund, auf welchem die Imagekampagne ihre Wirkung entfalten und für mehr Sympathie und Solidarität mit den Bauern werben soll. Ökonomisch prekär ist die Annahme, dass im freien Wettbewerb des globalen Marktes im Hochpreisland Schweiz rentabel produziert werden kann. Gesellschaftlich prekär ist die Perspektive, dass die Aufgabe der Landwirtschaft in Zukunft nicht mehr die komplexe Nutzung von Boden, Tieren und Pflanzen zur Nahrungsmittelproduktion und Kulturlandschaftsgestaltung ist, sondern die Musealisierung von Landschaft und Natur. Sozial prekär schliesslich ist die fortschreitende Marginalisierung der bäuerlichen Bevölkerung. Die Situation, in welcher sich die Landwirtschaft befindet, ist ernst, und die aktuellen Probleme sind von gesamtgesellschaftlicher Tragweite, denn sie betriffen letztlich unsere Grundversorgung mit Nahrung. Gerade weil eine breitere Öffentlichkeit davon kaum etwas wahrnimmt, ist man sich einig: Gut, dass es die Schweizer Bauern gibt! Aus kultureller Sicht stecken die Bauern tief in der Identitätsfalle.

Normalitätsreflexe

Wie ein roter Faden zieht sich die Utopie der "reinen Natur" und des "authentischen" oder "natürlichen Lebens" im Gegensatz zu Kultur und urbanem Alltag durch die Kulturgeschichte der Moderne. "Natur" und "ländliches Leben" wurden zur selben Zeit Gegenstand intensiver, systematischer wissenschaftlicher Beschreibung auf der einen und Motiv idealisierender künstlerischer Darstellungen auf der anderen Seite. Die Motivation, durchs Land zu streifen, Berge zu besteigen, Felsformationen zu vermessen und Kühe und Sennen zu malen, ist nur vor dem Hintergrund eines zunehmend urban und industriell geprägten Alltags zu verstehen. Sowohl Forschung als auch Kunst wurden bereits in dieser frühen Phase der Erschliessung von Landschaft und Natur Teil eines Verwertungsprozesses. Dieser hat sich über die Konstruktion identischer Mythen für die Stabilisierung des Nationalstaates, die Folklore als gemeinschaftliche Praxis bürgerlicher Vereine und die Vermarktung des Bäuerlichen und der Landschaft im Tourismus bis heute weiterentwickelt. Die ländliche Kultur, Landschaften und Naturraum durchliefen in ganz Europa mit der industriellen Revolution und der Etablierung der kapitalistischen Ökonomie eine Art innere kulturelle Kolonialisierung. Die Dominanz von Fremdbildern ist für die Identität der davon betroffenen gesellschaftlichen Minderheiten bezeichnend. Die zugeschriebene Identität trägt wesentlich zur zunehmend als gespalten empfundenen eigenen Identität bei. Eigene Vorstellungen und Bedürfnisse können deshalb kaum mehr gesellschaftlich wirksam
formuliert werden.

Obschon die Zahl der Bauern massiv abgenommen und mit der Industrialisierung ihre Arbeit sich radikal verändert hat, sind sie im gesellschaftlichen Bewusstsein bis heute das Selbstverständlichste der Welt. Beim Stichwort Landwirtschaft stellen sich immer dieselben vertrauten Motive harmloser Normalität ein: Kühe, grüne Landschaften, Felder, blumengeschmückte Höfe, Käse, Folklore und Natur. Die Bilder verweisen auf nichts Konkretes und werden von keiner Realität irritiert. Es sind bloss Signale, welche Normalität meinen und uns entspannen, weil wir uns angesichts von so viel Vertrautheit nicht damit zu beschäftigen brauchen. Sie sind deshalb auch weitgehend immun gegen ironische Zersetzungen und vermögen scheinbare Widersprüche problemlos zu absorbieren. So etwa, wenn der abgebildete Bauer den Melkroboter bedient und die Bäuerin in der Stube am Computer sitzt. Elemente dieses Bildes lassen sich denn auch problemlos austauschen, ohne die Gesamtbedeutung zu verändern: der Melkstuhl anstelle des Roboters oder das Strickzeug gegen den Computer. Landwirtschaft ist in diesem Sinne in erster Linie zu einem kulturellen Reflex verkommen – einen Reflex vertrauter Normalität jenseits von komplexen und unberechenbaren Ereignissen, die jeder Tag mit sich bringen kann. Dieser Reflex lässt sich für verschiedene Zwecke nutzen. Deshalb setzt jeder Marketingexperte oder Parteistratege, der für sein Produkt oder sein Programm ein Klima unverdächtiger Normalität oder den Eindruck nahe liegender "Natürlichkeit" herstellen möchte, seit Jahrzehnten auf den "Bauern-Effekt". Im Falle der Image-Kampagne des Bauernverbandes machen sogar einzelne Bauern selber davon Gebrauch.

Heute sind es Werbemotive, Labels und Logos, über welche die alten Klischees bestätigt werden. Allerdings nicht mehr im Dienst einer nationalisierten Kultur, sondern um den Absatz einzelner Produkte zu steigern. Von der Coop Naturaplan-Idylle über regionale Labels bis zu Markenpools wie AOC benutzen private Firmen und Organisationen bäuerlich-ländliche Versatzstücke für ihr eigenes Branding. Während das Festhalten an vertrauten Motiven, wie dem einer national definierten Bauernschaft, kulturelle Bedeutungslosigkeit reproduziert, bedeutet die Labelisierung einzelner Produkte die Privatisierung vormals kollektiven erworbenen Kulturgutes. Die Bauern als Kultivierer des Bodens, als spezialisierte Berufsgruppe, als Nahrungsmittelproduzenten und Träger verantwortungsvoller, komplexer Funktionen im Umgang mit dem Naturraum bleiben angesichts dieser Entwicklung zunehmend unter sich und ihre gesellschaftliche Funktion deshalb unsichtbar und unverständlich.

Keine Landesausstellung ohne Landwirtschaft

Die Diskussionen zwischen der Expo.02 und landwirtschaftlichen Kreisen um den angemessenen Auftritt an der Landesausstellung waren von allem Anfang an von zwei gegensätzlichen Anliegen geprägt. Von der Hoffnung auf möglichst grosse Öffentlichkeit zur Werbung für Sympathie und Anerkennung auf der einen und von grossem Interesse an einem aus kultureller und gesellschaftskritischer Perspektive spannenden und ergiebigen Thema auf der andern Seite. Immerhin war man sich trotz der unterschiedlichen Zugänge zur Sache einig, dass eine Landesausstellung ohne Landwirtschaft kaum denkbar sei.

Die Expo.02 ist - wie auch alle Landesausstellungen davor – ein hoch symbolischer, kultureller Akt. Der Sinn nationaler Ausstellungen lag nie ausschliesslich in der Präsentation von Waren oder kulturellen Leistungen. Selbst wenn weite Teile der Ausstellungen von 1939 oder 1964 so ausgesehen haben mögen, zielten die zentralen Botschaften immer auf eine Metaebene. Letztlich waren nicht die einzelnen Produkte, Maschinen, Forschungsergebnisse oder kulturellen Darbietungen zentral, sondern ein bestimmtes, dadurch manifestiertes und erfahrba rgemachtes gesellschaftliches Potenzial wie etwa die Fähigkeit zur Selbstbehauptung 1939 oder der Wille zur Modernität 1964. Die Metabedeutung der Expo.02 ist zwar im Detail noch Gegenstand von Diskussionen, aber im Grund zeichnete sich schon im Voraus ab, dass im Umfeld des avancierten Kapitalismus, wo sich Dienstleistungs-, Forschungs- und Kultur-Standorte einen unerbittlichen Wettbewerb um die cleverste Innovation und das coolste Image liefern, kulturelle Intelligenz, smarte Selbstreflektion und die Fähigkeit, daraus ein unterhaltsames Ereignis zu bauen, im Zentrum stehen werden.

Was kann das Thema Landwirtschaft dazu beitragen? Die Gefahr ist gross, dass der Landwirtschaft gemäss den mehrheitsfähigen Klischees die alte Rolle zufällt, als Kompensation zu dienen und für all jene eine Nische anzubieten, welche sich angesichts der dominierenden ironischen Distanz nach dem "Echten" und "Authentischen" sehnen. Im Grunde böte die Expo.02 auch den idealen Rahmen, um eine Landwirtschaft darzustellen, die sich im Kern bereits ganz auf eine Event- und Dienstleistungs-Zukunft eingestellt hat und sich multifunktional, vom Boden losgelöst, für die Gemüts- und Landschaftspflege zuständig betrachtet. Anspruchsvoller ist der gewählte Ansatz, den ideologischen Komplex Landwirtschaft selber zum Anlass zu nehmen, um über das Funktionieren der eigenen Kultur nachzudenken. Zudem ist es für eine gesellschaftliche Minderheit legitim, einen so symbolischen Mehrheitsanlass wie die Expo.02 einfach als Plattform für soziale Begegnung und fachlichen Austausch zu nutzen. Der föderalistische und basisdemokratische Prozess der Entstehung der Expoagricole hat dazu geführt, dass in der schliesslich realisierten Ausstellung SwissMiniNature von beidem etwas durchscheint.

Massgebend für die Konzeption der Anlage, die Definition der Inhalte und die Inszenierung waren allerdings analytische Überlegungen zum Verhältnis Gesellschaft – Landwirtschaft, insbesondere ihre Funktion als Projektionsfläche für unerfüllbare Wünsche und verdrängte gesamtgesellschaftliche Probleme. Die gleichzeitige Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit von Dingen oder die Frage, was öffentlich thematisiert wird und was nicht, tauchen wie ein Grundmotiv in verschiedenen Fragestellungen immer wieder auf. In den Medien ist Landwirtschaft zwar seit Jahrzehnten ein Dauerthema. Aber die Fixierung auf das nächste "empörende Ereignis", den nächsten "Lebensmittelskandal" verunmöglicht eine grundsätzliche Diskussion über die Art und Weise der Ernährungsproduktion und verstellt den Blick auf gesellschaftliche Verantwortungen. Beim täglichen Einkauf und Konsumieren von Lebensmitteln herrscht ein Terror der Images und Labels. Die Identifizierung der Konsumierenden mit immer neuen Lifestyles soll der Lebensmittelindustrie zu wachsenden Umsätzen verhelfen. Hinter den grellen Bildern von DJ Bobo, DJ Tatana und Simon Ammann verschwinden das Bewusstsein für die eigenen körperlichen Bedürfnisse und das Wissen um die Bedingungen der Produktion. Ein rund ums Jahr attraktives, immer umfassenderes und gleichzeitig günstigeres Angebot von Lebensmitteln verdrängt den weltweiten Druck auf Arbeits- und Lebensbedingungen von Menschen und Tieren. Und der neue politische Konsens, die Landwirtschaft in Zukunft mit Direktzahlungen für ökologische und landschaftspflegerische Leistungen zu unterstützen, verschleiert den Zusammenhang zwischen der Nutzung des Bodens und der Entstehung von Kulturlandschaften und Artenvielfalt. Die dem geltenden Wirtschaftssystem und der industriellen Produktion innewohnende Logik des
linearen Wachstums schliesslich verhindert ein breiteres Verständnis für die zyklischen, nachhaltig produktiven Prozesse der Nutzung biotischer Ressourcen wie des Bodens, der Pflanzen und Tiere.

Das Potenzial einer kritischen kulturellen Auseinandersetzung mit dem Gegenstand Landwirtschaft liegt in den Leerstellen, über welche vielschichtige komplexe, soziale, wirtschaftliche, gesellschaftspolitische und kulturelle Fragen thematisierbar und die eigenen, für die Gesellschaft konstitutiven Grundlagen befragt werden können.

Die Route Agricole – ein Dispositiv gegen das Verschwinden

Am Anfang der Route Agricole steht der 24h Shop als Symbol dafür, dass heute losgelöst von Ort und Zeit jederzeit alles zur Verfügung steht. In dem auf 24 Monitoren sich langsam füllenden Einkaufswagen erscheint ein leuchtendgelber Bund Bananen, ein unter Plastik geheimnisvoll schimmernder Frisée-Salat, die lustig tanzende Lovely-Kuh und eine schrillorangene Somat-Packung. Der Akt des Konsumierens besteht in einem komplexen Ambiente von Anspielungen, Geschichten und Erinnerungen, die über Werbebilder, Verpackungsdesign und das Interieur des Shops vermittelt werden, und aus einzelnen ästhetischen Entscheidungen. Die andere Hälfte der Bilder erscheint im Einkaufswagen nie. Sie flimmerte im Laufe der letzten 20 Jahre über den Bildschirm. Es sind die bekannten Berichte über Transportstaus und Tunnelkatastrophen, Käfighaltung von Tieren und Nitrat im Salat, Umweltvergiftung durch Spritzmittel und desolate Arbeitsbedingungen auf Gemüseplantagen, BSE und Nitrofen. Zuhause beim Abendessen konsumiert, wirken sie skandalträchtig und empörend, aber ein Zusammenhang mit dem frischen Salat und der Lovely-Kuh stellt sich bestenfalls als diffuse Verunsicherung ein. Die Gleichzeitigkeit aller Informationen im Einkaufskorb macht den Prozess des Einkaufens und Konsumierens von Lebensmitteln erst als einen industriell organisierter Produktionsprozess sichtbar, welcher von der Arbeit auf dem Feld über die Verarbeitung, den Transport, die Auslage im Geschäft, das Auswählen durch die Kunden, das Kassieren und Verpacken bis zur Zubereitung zuhause
reicht und ganz unterschiedliche Arbeitsschritte unter ganz unterschiedlichen Bedingungen miteinander verbindet.
Auch der fünfte, mit "Images" bezeichnete Wagen im Stau auf der Route Agricole transportiert Bilder. Diese stammen aus verschiedenen Epochen und kulturellen Zusammenhängen. Es sind Gemälde, Fotos, Zeichnungen, Plakate und Karikaturen. Einzelne, wie der "Zeitungslesende Bauer" von Albert Anker oder die monumentale Skizze eines wehrhaften Schweizers von Ferdinand Hodler, sind berühmt und aufgrund ihrer idealisierenden und metaphorischen Geste heute fester Bestandteil des nationalen Kulturgutes. Andere Bilder, Fotos von Paul Senn, entstanden in den 1930/40er Jahren aus Engagement für die nicht immer gemeinsame Sache von Bauern und Arbeitern. Die programmatische Absicht, die der Fotograf mit diesen Bildern verfolgte, ist daran zu erkennen, wie das Motiv der arbeitenden Bauern in Szene gesetzt wurde: Die abgebildeten Menschen und ihre alltäglichen Arbeitsgriffe sind heroisch überhöht. Auf einem weiteren Bild lässt sich ein betagtes Paar vor seinem kleinen Bauernhaus porträtieren. Links und rechts neben den beiden Personen wurden zur Dekoration zwei Nachttische aus dem Schlafzimmer aufgestellt und mit einer Stickdecke und einem Blumenstrauss geschmückt. Die bescheidenen Requisiten bringen behelfsmässig etwas von der Stimmung einer gutbürgerlichen Stube in das Bild. Das Porträt stammt vom Fotografen Ernst Hiltbrunner und entstand um 1950. Der Versuch, auch unter den ärmsten bäuerlichen Verhältnissen noch eine gewisse bürgerliche Normalität zu inszenieren, wirkt auf uns als BetrachterInnen fast beschämend. Eine erst kürzlich in der Zeitung erschienene Karikatur von Orlando Eisenmann zeigt einen Bauern mit einem Hund im Führersitz eines Mercedes-Vans, wie sie mit zwei, im Vergleich zum neuen Auto winzig kleinen Milchkannen zufrieden den Weg von ihrem Hof herunterfahren. Das stereotype Bild des Mercedes-Bauern, der auf Kosten von Steuerzahlern ein bequemes Leben führt. Die Karikatur ist einerseits ein politisches Statement gegen die staatliche Stützung des Milchpreises. Im Lachen über den harmlosen Witz setzt sich andererseits ein jahrhundertealtes ambivalentes Misstrauen feudaler und bürgerlicher Kreise den Bauern gegenüber fort.

Alle ausgestellten Bilder kreisen zwar um das Motiv des "Bauern", aber keines vermag es abzubilden, ohne gleichzeitig auf seine eigene begrenzte Gültigkeit zu verweisen. Bilder von Bauern sind immer ideologische Bilder. Sie fallen auf jene zurück, die sie gemacht haben, und illustrieren die Absicht, die hinter ihrer Verwendung steckt. Deshalb tauchen die Bilder im Wagen 5 auch nur backstage auf. Sie sind zwar einsehbar, aber zum Transport verpackt und gelagert und damit in ihrer repräsentativen Funktion behindert und gebrochen.

Der neunte und letzte Wagen der Kolonne transportiert nur noch eine geballte Ladung von Informationen, palettenweise Flugblätter mit komprimierten Aussagen zur Frage der Ressourcen, auf welchen das wirtschaftliche, kulturelle und biologische System unserer Gesellschaft letztlich basiert. Die Thesen sind radikal abstrakt, und wer sich an dieser Stelle Antworten und Lösungen erhofft, gerät in eine Sackgasse. Die Flugblätter im Wagen können mitgenommen und auf einer Bank im Jardin des Cultures oder bei einem zweiten Durchgang durch einzelne Wagen gelesen werden. Die der inhaltlichen Konzeption der gesamten Ausstellung zugrunde liegende Analyse des fundamentalen Unterschieds zwischen dem Verbrauch und der Nutzung von Ressourcen liefert zwar keine Antwort, bietet sich aber gerade deswegen als ein möglicher Schlüssel an, um einzelne Bilder oder Entwicklungen besser zu verstehen.

Die Route Agricole verläuft zwischen zwei Polen, von der medialen Bilderflut des 24h Shops zur radikalen Analyse im Wagen 9. Dazwischen sind die ausgestellten Bilder, Informationen und Exponate gegen ihre eigene latente Unsichtbarkeit und Partikularität inszeniert. Mit der Metapher des Transports und der transportierten Güter werden sie zum thematischen Dispositiv. Sie bilden eine vorübergehende Anordnung, die vielfältige Bezüge und Fragen zu unterschiedlichen Phänomenen und Beobachtungen zulassen und Prozesse der aktiven Auseinandersetzung anregen soll. Etwa in der Mitte der Route Agricole befinden sich die "Bauernbilder". Sie stehen im Brennpunkt der Frage einer zukünftigen kulturellen Repräsentation von Landwirtschaft. Damit die bäuerliche Realität nicht ganz aus dem Bewusstsein einer Gesellschaft verschwindet, ist ein neues kulturelles Verständnis für die Eigenheiten des Funktionierens von Landwirtschaft notwendig, welches deutlich über das hinausgeht, was uns einzelne ideologische Bilder oder aufwändige Imagekampagnen vermitteln können.

Peter Spillmann

©psp 2002