home news economies landscapes, leisure and tourism cultural practices images sites editions texts identities index contact
back text
Die Bauern waren an der Expo.02
Waren sie auch ein Thema?


Von Peter Moser und Peter Spillmann

«Schweizerart ist Bauernart»1 schrieb Ernst Laur anlässlich der 4. Landesausstellung 1939 in Zürich. Es verstand sich also von selbst, dass die Landwirtschaft an der Landi 39 ein Thema sein würde. Seither sind die Bauern zu einer von vielen Randgruppen geworden – nur noch jeder 25. Beschäftigte in der Schweiz arbeitet im Agrarsektor. Und die Zersiedelung verdrängt die Landwirtschaft aus der Fläche: Jeden Tag verschwinden in der Schweiz elf Hektar Kulturland, zwei Drittel davon werden neu als Siedlungsfläche genutzt, der Rest vergandet. Dennoch: Die Landwirtschaft war an der 6. Landesausstellung, der Expo.02, präsent. Bei allen Differenzen über die Gestaltung des Auftritts2 war man sich einig: Die Landwirtschaft gehört auch heute noch an eine Landesausstellung.
Ein Jahr nach der Eröffnung der Expo.02 ist es nun Zeit zu fragen: Hat die Expoagricole die Landwirtschaft zu einem Thema gemacht? Hat sie eine Diskussion über die Rolle der bäuerlichen Landwirtschaft in der Gesellschaft ausgelöst? Konnte die Expoagricole gar eine Diskussion über die Funktion und das Funktionieren der Landwirtschaft in der Gesellschaft in Gang bringen? Wie wurde die Landwirtschaft an der Expo.02 überhaupt wahrgenommen?

Wahrnehmung der Expoagricole. Das Expo-Projekt der Landwirtschaft war schon in einer frühen Planungsphase Gegenstand kontroverser Erwartungen. Landwirtschaftliche Kreise hatten ihr Interesse an einem Auftritt der Landwirtschaft mit der Eingabe eines Konzeptes bei der Mitmachkampagne der Expo.01 bekräftigt und die künstlerische Leitung der Expo.02 erblickte im Thema Landwirtschaft eine interessante Gelegenheit, um sich mit Fragen schweizerischer Befindlichkeit und der Konstruktion eines Nationalgefühls auseinander zu setzen. Die Landwirtschaft sei ein schwieriges Thema, weil es «so viele banale Offensichtlichkeiten» gebe, die «wir entweder vermeiden oder überspitzen müssen», erklärte Martin Heller.3
Die unterschiedlichen Motivationen und Absichten der beiden am Zustandekommen der Expoagricole gleichermassen beteiligten Seiten lassen sich an den beiden Ur-Projekten Lueg/Azur und SwissMiniNature ablesen. Lueg/Azur, das Projekt der Behörden und der Verbände sah vor, in einer bunten Messe dem Publikum möglichst viele positive Aspekte von Landwirtschaft nahe zu bringen. Das von der Expo.02 ausgearbeitete Konzept SwissMiniNature hingegen schlug eine Themenausstellung vor, die sich ironisch-spielerisch mit dem Verhältnis von Gesellschaft und Landwirtschaft beschäftigen sollte. Etwas vereinfacht kann man sagen: Während in den Erwartungen von Lueg/Azur die Landwirtschaftsausstellung mit Tieren, vertrauten Bildern und volkstümlichen Traditionen Klischees bedienen sollte, um möglichst viel Sympathie zu wecken, erhofften sich die Verfechter von SwissMiniNature eine populäre, aber ironisch-kritische Thematisierung derselben Klischees. In den von Seiten der Expo.02 geäusserten Befürchtungen, wie eine Landwirtschaftsausstellung unter keinen Umständen sein sollte, widerspiegelten sich die Hoffnungen der Verbände, die diese mit ihrem Projekt verknüpften – und umgekehrt. Dass die beiden Erwartungshaltungen im Grunde gar nicht so gegensätzlich waren, wie sie auf den ersten Blick erscheinen (und wie es der darüber ausgebrochene Konflikt zwischen den landwirtschaftlichen Kreisen und der Expoleitung 1999 vermuten liess), sondern sich vielmehr gegenseitig bedingten, wurde erst im Laufe der konkreten Arbeit am Projekt klar.
Das schliesslich realisierte Projekt vereinte mit der Route Agricole, dem Jardin des Cultures, dem Forum, der Ferme des Enfants, dem Infopool und dem Le Marché verschiedene Elemente und Gefässe, die zusammen ganz unterschiedliche Publikumserwartungen erfüllen sollten. Das Schlussergebnis, ein überschaubarer, auf wenige Elemente reduzierter Auftritt, war das Resultat eines langen Prozesses der Moderation und des Arrangements zahlreicher partikulärer Interessen. Der künstlerische Leiter des Gesamtprojekts führte die Teilprojekte auf der formalen und gestalterischen Ebene zusammen. Auf die Einsetzung eines inhaltlichen Leiters für die gesamte Expoagricole hingegen wurde verzichtet. Eine andere, vielleicht zeitgemässere Strategie als das Zusammenführen unterschiedlicher Aspekte wäre gewesen, gemeinsam ein Projekt zu entwerfen, welches auf einzelne Aspekte fokussiert und nur einige wenige Themen zur Landwirtschaft aufgegriffen hätte, die im Moment in der Öffentlichkeit auf Interesse stossen. Dieses Vorgehen wählten die meisten anderen Unternehmen, die Expo.02-Projekte unterstützt haben wie bspw. Coop mit «Manna». So signalisiert bereits die Bezeichnung «Expoagricole», welche schliesslich als Name für das Landwirtschaftsprojekt bestimmt wurde, einen grundsätzlich andern Anspruch als Ausstellungstitel wie «Die Werft», «un ange qui passe» oder «Manna». Unterschiedliche Interessen der in der Trägerschaft zusammengeschlossenen Verbände auf der einen Seite, und der Expo.02 auf der andern, führten zum pluralistischen Sonderweg der Expoagricole - und in der öffentlichen Wahrnehmung zur Gleichsetzung dieses Projekts mit der Vorstellung einer Darstellung «der» Landwirtschaft. Dass sich zumindest ein Teil der Expoagricole mit der Analyse konkreter Verhältnisse und Prozesse beschäftigte, liess sich in dieser Konstellation nur schwer vermitteln.
Die Wahrnehmung der Expoagricole blieb auch deshalb immer eng mit dem Thema «reale» Landwirtschaft verbunden. Das beinhaltete Chancen, schuf aber auch ein grundsätzliches Problem: Bei der Konfrontation mit dem Thema Landwirtschaft sind in der Öffentlichkeit nämlich zwei Reflexe auszumachen: Auf der einen Seite eine Bestätigung durch scheinbar Vertrautes, auf der anderen Seite Langeweile oder Ablehnung angesichts von angeblich längst Bekanntem. Beide Haltungen beziehen sich im Grunde auf ein Phantom, ein Bild des Bäurischen aus folkloristischen Versatzstücken von Traditionen und Heimatvorstellungen. Obschon dieses Phantom kaum etwas von der landwirtschaftlichen Realität beinhaltet, wird es sowohl von den landwirtschaftlichen Verbänden (etwa im Rahmen von PR-Massnahmen) als auch von der vermeintlich kritischen Öffentlichkeit in Form eines kollektiven Mythos schweizerischer Authentizität sorgfältig gepflegt und am Leben zu erhalten versucht.
Trotz der letztlich erfolgreichen Synthese der beiden ursprünglichen Konzept-Ansätze und einer anregenden Zusammenarbeit zwischen landwirtschaftlichen, kulturellen und wissenschaftlichen Kreisen bei der Planung und Realisierung von Expoagricole, blieben die unterschiedlichen Erwartungshaltungen von landwirtschaftlicher und nichtlandwirtschaftlicher Seite einerseits und einer mehr traditionell und einer eher kritisch orientierten Öffentlichkeit andererseits bis zum Ende bestehen. Sie lassen sich auch an den unterschiedlichen Pressereaktionen ablesen, welche bereits im Vorfeld der Eröffnung über die Expoagricole erschienen sind.
Anlässlich der Bekanntmachung eines gemeinsamen Projektes «der» Landwirtschaft und der Expo.02 schrieb die NZZ, «die nicht gerade Ausgelassenheit verströmende Atmosphäre der Medienkonferenz in Murten» habe deutlich gemacht, «dass sich hier zwei – die Ästhetin und der Bauer – das Jawort für eine Vernunftehe gegeben» hätten. Dabei dürfte die Expoagricole «gerade wegen der Erdnähe das Zeug in sich haben, ein Publikumsliebling der Landesausstellung zu werden».4 Die grüne Presse identifizierte sich früh mit «ihrem» Projekt und berichtete regelmässig und ausführlich über den Fortgang der Bauarbeiten, die verschiedenen Teilprojekte der Expoagricole und die Personen, welche dahinter standen.5 Die Basis dieser Berichterstattung waren in der Regel die offiziellen Pressecommuniquées, Konzepttexte und einzelne Gespräche mit Mitgliedern der Projektleitung. Nur selten, dafür unter einem ganz andern Gesichtspunkt tauchte Expoagricole vor der Eröffnung in Artikeln in grösseren Tageszeitungen und Magazinen auf. Von der Pressestelle der Expo.02 initiiert, entstanden so Storys über die als ungewöhnlich dargestellte (und wahrgenommene) Kooperation zwischen Künstlern und der Landwirtschaft im Zusammenhang mit der Entstehung der Route Agricole6 oder die besondere Rolle von Frauen im Zusammenhang mit der Ferme des Enfants.7 Die Erwartungen der nichtbäuerlichen Öffentlichkeit knüpften sich vor allem an die Kombination von «vertrauter Tradition» und «schräger Überschreitung».
Zur Eröffnung der Expo.02 erschienen in allen grösseren Tageszeitungen Gesamtübersichten über alle Ausstellungen mit Tipps und Empfehlungen an die Besucher. Auch hier spielte der Reflex Expoagricole gleich «reale» Landwirtschaft noch fast immer. Dementsprechend pauschal waren die Urteile, die von «eher langweilig, bekannt» bis zu «für Landmuffel und Kinder» lauteten.8 Das scheinbar Vertraute verhinderte den nichtlandwirtschaftlichen Medien vorläufig noch einen differenzierten Blick. Dagegen erfolgte in der Agrarpresse mit der detaillierten Berichterstattung über die meisten Teilprojekte der Expoagricole von Anfang an eine starke Identifikation des bäuerlichen Milieus mit dem «Eigenen» an der Expo.02.9

Reaktionen auf die Ausstellung Route Agricole. Die Route Agricole war derjenige Teil der Expoagricole, der am stärksten auf die Thematisierung von Inhalten ausgerichtet und durch ihre präzise Analyse eigentlich dafür prädestiniert war, zum Gegenstand von Diskussionen und Kontroversen zu werden.
Im Winter 1999/2000 wurde nach dem Standortentscheid zugunsten von Murten jetzt auch klar, was die zentrale thematische Ausstellung auf dem Expoagricole-Gelände zum Inhalt haben sollte. Bisher hatte die Industriegesellschaft jeweils kurz vor den Landesausstellungen die Landwirtschaft neu «erfunden» und diese neuen Konzepte an den Landesausstellungen dem Publikum dann vorgeführt.10 Das sollte an der Expoagricole anders werden. Diesmal sollte das Verhältnis von Landwirtschaft und Gesellschaft im Zentrum stehen. Weil in den Diskussionen über die jüngste Agrarreform der prägendste Einfluss auf die bäuerliche Nahrungsmittelproduktion, die Industrialisierung der Ernährung, bisher unterging, sollte sie nun zum Thema der Route Agricole gemacht werden. Aber bei dieser Analyse allein durfte es nicht bleiben: In einer Art Zukunftswerkstatt sollten Konsument/innen, Verarbeiter, Bauern und Bäuerinnen Alternativen zur heutigen Situation der Ernährungswirtschaft entwickeln.11 In der Ausstellung Route Agricole wurde schliesslich die Industrialisierung der Ernährung analysiert und dargelegt, wie die Produktion und der Konsum von Nahrungsmitteln dadurch geformt werden. Und die Zukunftswerkstatt im Forum hat Interessierten die Möglichkeit geboten, über eine Neuorganisation der Ernährung in der Schweiz zu beraten.
Dieses Vorgehen entsprach teilweise auch einem Anliegen der künstlerischen Leitung der Expo.02, stiess aber bei einem Teil der Expoagricole-Trägerschaft auf Skepsis. Ihnen ging es – wie den Machern der Landwirtschaftsausstellungen an den Expos 1939 und 1964 – eher darum zu zeigen, dass die Bauern fähig und willens sind, zu tun, was die Gesellschaft von ihnen erwartet. Heute also: Marktgerecht und ökologisch zugleich zu wirtschaften. Die vorgesehene Analyse erschien in diesem Zusammenhang als gar akademische Trockenübung, die der Landwirtschaft in ihrer schwierigen Situation unmittelbar wenig nützt. Und eine Diskussions- und Denkplattform wie die Zukunftswerkstatt gefiel der Mehrheit der Trägerschaft zwar, aber finanziell wollten sie sich daran nicht direkt beteiligen.12
Eine zentrale Voraussetzung dafür, dass die radikale Analyse auf der Route Agricole umgesetzt werden konnte, war die inhaltliche Aufsplitterung der Expoagricole in ihre Teilprojekte. So konnten Einwände gegen das zu «theorielastige» Projekt immer mit dem Hinweis relativiert und besänftigt werden, dass die anderen Teilprojekte dafür umso handfester, konkreter und damit auch konsumierbarer würden. Am Schluss waren trotz den Auseinandersetzungen – die kaum je systematisch, sondern praktisch immer auf einer informellen, persönlichen Ebene ausgetragen wurden – alle Beteiligten zufrieden. Jeder und jede hatte seine Anliegen in die Expoagricole einbringen können.
Die Reaktionen der Medien auf die Route Agricole fielen kontrovers aus. Zur Eröffnung besprach der Zürcher Tages-Anzeiger von den Ausstellungen in Murten neben dem Monolithen, der Blinden Kuh und der Werft auch die Expoagricole. Leider sei das «aktuelle, brisante Thema» der Route Agricole, der Wandel der «Beziehung der Gesellschaft zu den Bauern», «inszenatorisch verschenkt» worden, hiess es da. «Auf engstem Raum» führten «holprige Texte ins Thema ein» und «die sinnliche Darstellung» lasse zu wünschen übrig.13 Der Berner «Bund» hingegen störte sich am «Inhalt», der seiner Ansicht nach fehlte: Die Expoagricole verzichte auf «Entwürfe oder Visionen» und bleibe deshalb «wirkungslos».14
Später beschäftigten sich die Medienschaffenden doch noch mit dem Inhalt der Route Agricole, fanden aber das hohe «Abstraktionsniveau»15 problematisch. Es handle sich bei der Route Agricole um eine Ausstellung, die man am Anfang eines Expo-Tages besuchen sollte, fand die Neue Zürcher Zeitung. Sie empfahl allen Bauern und Konsumenten, der Route Agricole mit «wachen Sinnen» zu folgen, den Gang über die Lastwagenbrücken aber «nicht erst am Ende eines langen Expo-Tages» zu unternehmen, weil dann «die Augen noch weit und im Kopf noch Platz» sei.16 Obwohl oder vielleicht gerade weil dort mehr «Text versammelt» war «als auf dem ganzen übrigen Expo-Gelände»,17 begannen nun auch andere Zeitungen, sich für die Route Agricole zu interessieren.
Das Thema der Ausstellung, die Industrialisierung der Ernährung und deren Folgen für die Konsumenten und die Produktion von Nahrungsmitteln wurde aber von niemandem wirklich aufgenommen, beurteilt oder kritisiert. Der Inland-Chef der NZZ18 übernahm zwar in einem Artikel zentrale Thesen fast wörtlich aus den Ausstellungstexten, aber auch diese Berichterstattung blieb ohne Verbindung zur und ohne Folge für die Haltung, die die NZZ-Inlandredaktion in agrarwirtschaftlichen und -politischen Fragen sonst in der Regel einnimmt. Andere Zeitungen wie der «Bund» oder die Wochen-Zeitung versuchten in Gesprächen mit den Verantwortlichen der Route Agricole ihren Leser/innen das Thema und die inhaltlichen Hauptaussagen zugänglich zu machen.19 Es war aber bezeichnend für die Scheu vor der konkreten Auseinandersetzung, dass diese Berichte im «Bund» beispiels-weise auf der Gesellschaftsseite im Kulturteil der Samstagsbeilage erschienen – und nicht etwa auf der Inland- oder Wirtschaftsseite, wo sonst über diese Fragen berichtet wird. Dass die Diskussion über die Themen der Route Agricole nicht im Inland- oder Wirtschaftsteil landete, hat wahrscheinlich noch dazu beigetragen, dass diese in der Öffentlichkeit als komplizierte, «sehr wissenschaftliche»20 Ausstellung wahrgenommen wurde.
Viele Besucher/innen hätten «die Botschaften im Lastwagenstau nicht begriffen», lautete das Fazit derjenigen, die für den Betrieb der Ausstellung in Murten verantwortlich waren.21 Mit dem 24-Stunden-Shop am Anfang der Route Agricole wurde zwar versucht, einen Anknüpfungspunkt zum Alltag der Besucher/innen zu schaffen. Diese wurden mit dem Shop denn auch dort abgeholt, wo sie sich in ihrem Ernährungs-Alltag befinden – aber eben nicht dort, wo sie sich selber wähnen und wo sie sein möchten: In jener heilen Welt, die die Werbung vorgaukelt. Die «Sehnsucht nach einer unverdorbenen Ursprünglichkeit»22 triumphierte offenbar über das Verlangen, mehr über Zusammenhänge in der Landwirtschaft und der Ernäh-rung zu erfahren.
Demgegenüber steht jedoch die Beobachtung, dass im Verlauf des Sommers/Herbst 2002 Hunderte von Besucher/innen konzentriert und vergnügt die Ausstellung besichtigten. Dies schlug sich auch in vielen mündlichen Rückmeldungen und in einigen geradezu enthusiastischen Leserbriefen nieder, in denen die Route Agricole u.a. als «vom intellektuellen Anspruch das Beste aller vier Arteplages» geschildert wurde.23 Der grösste Teil der von den Betreibern der Ausstellung direkt angesprochenen Besucher/innen hätten denn auch «positiv» auf den ungewohnten Blick auf die Landwirtschaft reagiert, lautete das
Fazit des Projektleiters Hans Burger.24 Ohne Führung sei die Route Agricole jedoch oftmals nicht verstanden worden und habe deshalb in der Landwirtschaft von allen Teilprojekten «am wenigsten Akzeptanz gefunden», lautete die Schlussfolgerung in der bäuerlichen Presse.25 In landwirtschaftlichen Kreisen hätte man sich mehr «Forderungen» anstelle der gebotenen Analyse gewünscht.26
Wenn in der Agrarpresse über die Expoagricole berichtet wurde, dann in der Regel über die Auftritte von landwirtschaftlichen Organisationen im Forum. Nur selten ging man, wie der Landwirtschaftliche Informationsdienst noch vor der Eröffnung der Ausstellung, näher auf den Inhalt der Route Agricole ein.27 Ähnlich verlief die Berichterstattung über die Zukunftswerkstatt.28 Einzig das dlz agrarmagazin nahm die Diskussionen über den Service-Pool in der Zukunftswerkstatt zum Anlass, ausführlich über dieses Unternehmen zu berichten und nach dessen Akzeptanz bei Produzenten/innen, Verarbeitern und Konsument/innen zu fragen.29
Trotz naheliegenden Verbindungen hat sich auch die Agrarwissenschaft nicht auf eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den Analysen auf der Route Agricole eingelassen. Die Jahresversammlung der Schweizerischen Gesellschaft für Agrarwirtschaft und Agrarsoziologie (SGA) und des Schweizerischen Verbandes der Ingenieur-AgronomInnen und der Lebens-mittel-IngenieurInnen (SVIAL) fand im Forum in der Expoagricole statt und eine Leitfrage dieser Tagung lautete: «Quo vadis, Bauernstaat?». Damit war also ein Thema angeschnitten, zu dem auf der Route Agricole präzise Analysen und konkrete Aussagen gemacht wurden. Im Sammelband der Tagung hat man den einzelnen Kapiteln dann auch Zitate aus der Route Agricole vorangestellt. Aber ebenso wenig wie der Tagungsband einen inhaltlichen Bezug zu den in der Ausstellung aufgeworfenen Fragen herstellte, setzten sich die Autoren damit oder mit den Leitfragen der Tagung auseinander.30 Im SVIAL-Tagungsband finden sich deshalb undiskutiert Einschätzungen zur Agrarreform, die den eingestreuten Zitaten aus der Route Agricole teilweise diametral gegenüberstehen. Die Aufsatzsammlung ist diesbezüglich sowohl eine verpasste Chance wie auch ein Bericht, der das bescheidene Niveau des wissenschaftlich-kulturellen Gedankenaustausches über Landwirtschaft und Er-nährung zur Zeit der Expo.02 dokumentiert.
Besonders positiv wurden die Route Agricole und die Expoagricole als Ganzes im kulturellen Milieu aufgenommen. Dabei standen auch hier eher formale und methodische Aspekte im Vordergrund. In der Ausgabe über Architektur und Design an der Expo.02 von Hochparterre erhielten Szenografie und Wirkung von Expoagricole unter dem Motto «Bauern reden Klartext» die Bestnoten.31 Die Architektur des Forums und der Gesamtanlage wurden in mehreren Fachzeitschriften vorgestellt und gewürdigt.32 Und die Ausstellung SwissMiniNature tauchte Ende Jahr sogar in der Liste der «Best of 2002» in der Sparte Kunst des Berliner Stadtmagazins Zitty auf, das meinte, der Themenpark überzeuge «durch intelligente Präsentation».33 Die Landwirtschaft wurde unter Kulturschaffenden deshalb zwar noch nicht zum Thema, aber die Reaktionen lassen zumindest darauf schliessen, dass die auf der Route Agricole aufgeworfenen Fragen auf Interesse stiessen und auch in anderen Milieus weiterverfolgt wurden. Die Inszenierung hat jenseits einer unmittelbaren inhaltlichen Auseinandersetzung Interesse geweckt und Kreise angesprochen, die sich sonst nicht für Landwirtschaft interessieren.

Fazit. Auf der Route Agricole sollten diejenigen Kräfte und Mechanismen, die für die Industrialisierung der Ernährung charakteristisch sind, untersucht und zur Diskussion gestellt werden. Die Ausstellung hat nichts gefordert und keine Lösungen präsentiert. Das haben die interessierten Kreise in- und ausserhalb der Landwirtschaft in der Zukunftswerkstatt gemacht, deren jeweilige Resultate in drei Symposien zur Debatte standen.
Ein Jahr nach Eröffnung der Expo.02 stellt sich nun die Frage: Hat es das Publikum eher irritiert als zum Nachdenken angeregt, dass auf der Route Agricole keine Forderungen erhoben und schon gar keine
Lösungen vorgeschlagen wurden? Die Kommentare zur Ausstellung legen diese Interpretation nahe.
Den Medien und vor allem den Politiker/innen hat es nicht eingeleuchtet, dass eine seriöse Analyse als Diskussionsgrundlage nützlicher sein könnte, als die gewohnten Anklagen und die bekannten Forderungen. Es blieb undiskutiert, ob es wirklich einen grundlegenden Unterschied zwischen einer industriellen Verarbeitung und einer agrarischen Produktion gibt. Und wenn ja: Welche Potentiale und Grenzen sich daraus für beide Bereiche ergeben. Illusionslos aber zutreffend stellte deshalb die Wochen-Zeitung fest: Der Gedankenaustausch, den die Route Agricole habe anregen wollen, sei «zurzeit noch nicht politiktauglich».34 Im Gegensatz zu den übrigen Teilprojekten der Expoagricole, die der «realen» Landwirtschaft über bisherige Spartengrenzen und Konventionen hinweg einen weitgehend erfolgreichen Auftritt an der Expo.02 verschafften, gelang es kaum, das Thema der Route Agricole zu einem öffentlichen Thema zu machen. Gleichzeitig verhinderte die Komplexität der Route Agricole zumindest, dass die Landwirtschaft an der sechsten Landesausstellung ideologisch vereinnahmt werde konnte.
Woran lag das? Ein Hauptgrund ist wohl paradoxerweise gerade derjenige, der die Route Agricole überhaupt erst ermöglichte: Die Aufsplitterung der Expoagricole in sechs selbständige Teilausstellungen, die zwar unter einem gestalterischen Gesamtkonzept entwickelt wurden, aber inhaltlich weitgehend un-verbunden blieben. Die Expoagricole stellte keinen einheitlichen Anspruch an die Besucher/innen; sie bot keine klare Botschaft und erhob auch keine konkreten Forderungen. Das ermöglichte einem breiten Publikum einen Zugang, machte aber die einzelnen Teile und insbesondere die Ausstellung auf der Route Agricole für die Besucher/innen und Medien zugleich unverbindlich. Diese Unverbindlichkeit ist letztlich denn auch die Grundlage des grossen Publikumserfolgs und der insgesamt wohlwollenden, aber inhaltlich eher indifferenten Berichterstattung über die Expoagricole. Die Reaktionen der Öffentlichkeit auf die Expoagricole sind ganz ähnlich wie diejenigen auf die Expo.02 als Ganzes. Die Pluralität von Projekten, Themen und Events bot für alle etwas ohne etwas Spezifisches zu wollen. Die zentralen Themen waren – solange es sie noch nicht gab und während ihrer Dauer – die Expo resp. die Expoagricole selber.
Ob die Route Agricole mit ihrer inhaltlichen Analyse der Industrialisierung der Ernährung der Zeit voraus war oder nicht, wird sich zeigen. – Spätestens an derjenigen Landesausstellung, an der die Landwirtschaft (wieder) Gegenstand intellektueller Auseinandersetzungen sein wird. Weil im materiellen Bereich nur die Landwirtschaft durch die Nutzung lebender Ressourcen mit Hilfe der Sonnenergie wirklich etwas «Neues» produzieren kann, wird das spätestens dann der Fall sein, wenn alle mineralischen Vorräte dieser Erde verbraucht sein werden.


Anmerkungen
1 Ernst Laur, Der Schweizerbauer, S. 87 — 2 Vgl. dazu den Beitrag von Beat Brodbeck — 3Sonntags-Zeitung, 25.7.1999 — 4 NZZ, 14.12.2000 — 5 Vgl. bspw. Bauern-Zeitung, 15.12.2000 und 3.8.2001; Agri, 22.12.2000 und 21.9.2001; Die Grüne, 9.8.2001 und 21.2.2002; Der Schweizer Bauer, 19.9.2001 — 6 Vgl. Tages-Anzeiger, 10.10.2001; Bieler Tagblatt, 2.2.2002; Der Bund, 11.3.2002; Bolero,1.4.2000 — 7 Vgl. La Liberté,31.12.2001; Femina, 28.4.2002 — 8 Tages-Anzeiger, 6.5.2002 — 9 Vgl. bspw. Agri, 11.1.2002; Die Grüne, 5.9.2002 — 10 Peter Moser, Von der Ästhetisierung der Produktion zur Stilisierung des Konsums. Konzepte, Bilder und Wunschbilder von der Landwirtschaft vor und an den Landesausstellungen von 1939 und 1964, in: Expos.ch. ideen, interessen, irritationen, Bundesarchiv Dossier 12, Bern 2000, S. 111-128 — 11 Brief von Peter Moser an Daniel Guntli vom 25.11.1999 — 12 Im Juli 2001 entschied die Projektleitung, dass sich die Expoagricole finanziell nicht an den Kosten des Projekts Zukunftswerkstatt beteilige. Hingegen wurde ein namhafter Betrag aus dem Budget der Route Agricole dafür reserviert. Vgl. dazu: Mail von Roland Furrer an Peter Moser vom 16.7.2001 — 13 Tages-Anzeiger, 6.5.2002 — 14 Bund, 11.5.2002 — 15 Bund, 10.6.2002 — 16 NZZ, 9.8.2002 — 17 Bund, 10.6.2002 — 18 NZZ, 9.8.2002 — 19 Bund, 27.7.2002; WoZ, 4.7.2002 — 20 Agri, 18.10.2002 — 21 LID-Mediendienst Nr.2589 vom 31.10.2002 — 22 Martin Heller/Basil Rogger, Zum Stand der Bauern, S. 20, in: Stau auf der Route Agricole, Texte zur Ausstellung SwissMiniNature, Bern 2002 — 23 Der Bund, 5.10.2002. Vgl. auch NZZ, 20.8.2002 — 24 Agri, 18.10.2002 — 25 Landfrauen Nr. 1/2003 — 26 Agri, 18.10.2002 — 27 Vgl. LID-Dossier vom 14.3.2002 — 28 Vgl. zum Beispiel Schweizerbauer, 5.6.2002; LID-Mediendienst, 8.8.2002 sowie Agri, 16.8.2002 — 29 dlz agrarmagazin 12/2002, 2/2003 und 3/2003 — 30 Politische und gesellschaftliche Perspektiven der Schweizer Landwirtschaft, (Sonderband von Agrarwirtschaft und Agrarsoziologie 2/02) — 31 Hochparterre, Zeitschrift für Architektur und Design, Nr. 8 Aug. 2002 — 32 Vgl. bspw. tec 21, die Fachzeitschrift der SIA, Nr.16, 19.4.2002 — 33 Zitty, das Berliner Stadt-Magazin, 1/2003 — 34 WoZ, 4.7.2002

©psp 2003