home news economies landscapes, leisure and tourism cultural practices images sites editions texts identities index contact
back installation
Insert 1 - 4
Simone Hain, Christiane Post, Karin Rebbert, Katja Reichard, Marion von Osten, Peter Spillmann, Axel John Wieder
Installation im Rahmen der 6. Werkleitz Biennale, Halle (Saale)
1. - 5. September 2004

Insert 1
Insert 2
Insert 3
Insert 4


Insert 1
nach Alexander Rodtschenko, Entwurf für das Interieur eines Arbeiterklubs (1925)

Im Erdgeschoss des Volksparks wird Alexander Rodtschenkos Inneneinrichtung eines Arbeiterklubs zitathaft rekonstruiert, die 1925 anlässlich der Exposition Internationale des Arts Décoratifs et Industriels Modernes in Paris präsentiert wurde. Das standardisiert zu produzierende Mobiliar des Arbeiterklubs sollte einfach, zweckmäßig und multifunktional benutzbar sein und entsprach damit den Kriterien konstruktivistischer Produktionskunst. Die Einrichtung bestand aus einem Lesesaal mit Tischen und Stühlen, verschiedenen Displays zur Präsentation (etwa von Zeitungen, Zeitschriften, Büchern, Plakaten, Karten, Zeichnungen, Fotos, Dias, Filmen und einer Wandzeitung) sowie einem multifunktionalen Komplexmöbel, das eine Rednertribüne, eine ausziehbare Plattform und eine Projektions- und Präsentationsfläche umfasste. Zur 6. Werkleitz Biennale wird unter Bezug auf Rodtschenkos Arbeiterklubinterieur ein Raum eingerichtet, in dem die Gruppen der „Halle School of Common Property“ ihre Praxis und die Ergebnisse der dem Festival vorausgegangenenWorkshops vermitteln.

In diesem Insert wird auch die Geschichte des Volksparks erzählt, die sich als Geschichte diverser Auseinandersetzungen um die Aneignung bzw. Überschreibung von Eigentum, Wissen und Geschichte beschreiben lässt. Interessant erscheint zudem die Beobachtung, dass die Architektur des Gebäudes, die nach bürgerlichem Vorbild entstand, von Bühnen- und Aufführungsräumen dominiert ist, die eine klare Trennung zwischen Agierenden und Publikum vorsahen. Auch in der Nutzung des Gebäudes als Polit- und Kulturarena scheint diese Trennung über die Jahrzehnte und unterschiedlichen Eigentumsverhältnisse hinweg zu weiten Teilen affirmiert und fortgeschrieben worden zu sein. Andererseits gibt der Ort des Volkshauses auch Anlaß, dieWiederaufnahme konstruktivistischer medialer Gestaltungsmittel in der lokalen hallensischen Kunstproduktion der Zwischenkriegszeit bis hin zum Alltag der DDR-Gesellschaft zu befragen. Das Material der Recherche in den Archiven der Stadt Halle und Berlin ist vor Ort einsehbar.


Insert 2
nach Lazlo Moholy-Nagy, Raum der Gegenwart (1930)

Im großen Saal des Volksparks werden zwei weitere historische Entwürfe, Wladimir Tatlins Bühnenbild „Sangesi“ und Laszlo Moholy-Nagys „Raum der Gegenwart“, als Ausstellungssysteme gebaut und interpretiert.

Der von Moholy-Nagy konzipierte „Raum der Gegenwart“ (um 1930) kann als Prototyp moderner Ausstellungs- und Präsentationsdisplays gelten. Er sollte – gemeinsam mit El Lissitzkys „Raum der Abstrakten“ – den vorläufigen Abschluss der Neugestaltung des Provinzialmuseums Hannover durch deren Direktor Alexander Dorner bilden. Der „Raum der Gegenwart“ kam nie zur Ausführung. Der Entwurf basierte auf einem von Moholy-Nagy gestalteten Raum („salle 2“) für die Werkbund-Sektion der Exposition de la Societé des Artistes Décorateurs in Paris 1930.

In dem aus Glas und Stahl konzipierten „Raum der Gegenwart“ sollten keine Originale, sondern reproduzierbare Bilder und Objekte ausgestellt werden. Es wurden verschiedene Displaysysteme projektiert, die man mit Medien wie Fotografie, Film- und Diaprojektionen bespielen wollte. Präsentiert werden sollten Beispiele aus Architektur, Theater, Film und Fotografie sowie Transportmittel, Sport, technische Bauten, Möbel, Plakat- und Stoffgestaltungen. In der Mitte des Raums sollte Moholy-Nagys lichtkinetische Plastik „Licht-Raum-Modulator“ stehen, die vom Betrachter „interaktiv“ in Bewegung zu setzen ist.

Das zweite Insert stellt die mit spezifischen konstruktiven und medialen Bauund Ausstellungstechniken einhergehenden Bildungsdiskurse zur Diskussion. Die seit dem beginnenden 20. Jahrhundert sichtbaren Bemühungen um eine Aufwertung des Betrachterstatus durch partizipative Ausstellungsgestaltungen lässt sich auch als ein Ansatz zur Optimierung von Wissensvermittlung lesen. In solchen, vor allem in Architekturausstellungen entwickelten Modellen versuchte die Moderne, nicht nur Gebäude, sondern auch ein intellektuelles Programm zu vermitteln.

Auf den Außenwänden des Inserts wird dieser Strang beispielhaft in drei Erzählungen weitergeführt: der Besetzung der Mailänder Architekturtriennale 1968 durch Studierende, den Entwürfen des US-Amerikaners Ken Isaacs zu multimedialem Wissensdesign sowie der „Stadt im Raster“ Halle-Neustadt.


Insert 3
nach Wladimir Tatlin, Bühne zur Inszenierung von Welimir Chlebnikows Stück Sangesi (1923)

Neue Formen der theatralen Sprache erprobte die Inszenierung des Stücks „Sangesi“ nach dem gleichnamigen Metapoem vonWelimir Chlebnikow, bei der Tatlin gleichzeitig Regie führte, die Hauptrolle spielte und das experimentelle Bühnenbild entwarf. Ort der dreimaligen Aufführung im Mai 1923 war kein Theaterraum, sondern der große Saal des Museums für Künstlerische Kultur in Petrograd. Tatlin entwickelte eine vertikale Konstruktion, die die vorhandene Bühne konterkarierte und den Zuschauerraum unter Verzicht auf Vorhang und Kulissen an das Geschehen anband. Die Inszenierung setzte verschiedenste Fragmente, Tafeln, Farbschemata und Schriftbilder, mathemati - sche Formeln und Gedichte ein und beinhaltete eine Ausstellung von Materialkonstruktionen. Angestrebt war eine Formgebung, die sich parallel zum Text bewegen sollte. Der Einsiedler, Dichter und Prophet Sangesi (Tatlin), der in der Inszenierung die Idee einer universellen Menschheitssprache verkörpert und seinen Zuhörern und Schüler/innen unverständlich bleibt, sprach – von Scheinwerferlicht angeleuchtet – vom höchsten Punkt aus. Etwas tiefer positioniert waren seine „Schüler“, dargestellt von Studierenden verschiedener Lehranstalten. Auf der untersten Sprosse saßen Texterklärer. Das Publikum befand sich am Fuß der Aufbauten. Die Asymmetrie zwischen Lehrer und Lernenden, Künstler / Prophet und Publikum blieb bestehen. Zwischen den Akten wurden erklärende Vorträge gehalten.

Die Tatlin-Reminiszenz, rekonstruiert an der linken Bühnenseite des großen Saales gebaut, verweist auf ihrer Rückseite exemplarisch auf andere historische Traditionen der Theatralisierung und „eingreifender Kunst“ (Brecht): von dem Moskauer Arbeitertheater „Blaue Blusen“ der 1920er Jahre, deren Tourneen unter anderem zur Gründung der Halleschen Agitproptruppe „Rote Schmiede“ führten, über das Kostümfest „neue sachlichkeit“ an der Halleschen Hochschule Burg Giebichenstein (1925), in dem die Strenge des Bauhauses karnevalesk unterlaufen wurde, bis zur „Brigade Feuerstein“ aus Hoyerswerda, die das Liedtheater der DDR popularisierte.


Insert 4
nach Ken Isaacs, Matrix (1954)

Ein viertes Insert, das sich vor dem Volkspark befindet, ist die räumliche Umsetzung einer Zeichnung des US-amerikanischen Architekten und Designers Ken Isaacs. Das dreidimensionale Raster der Matrix (1954) ist theoretisch unendlich weiterführbar und verdeutlicht seinen Referenzpunkt durch die beigestellte menschliche Figur. Es fungiert als organisierende, multifunktionale Grundstruktur aller räumlichen Projekte von Ken Isaacs (vom Stuhl bis zur komplexen „Living Structure“), die ihren Nutzer/innen einen autonomen, ökonomischen und vor allem aktiven Umgang in Entwurf und Gestaltung ihres Wohn- und Lebensumfeldes gewährleisten sollten. Die Arbeiten sind in gewisser Weise exemplarisch für die US-amerikanische Rezeption der Bauhaus-Moderne. Sie bewegen sich zwischen individuell-modularen „Living Units“, Leseecken und didaktischen Visualisierungsmaschinen zur medialenWissensvermittlung, die Isaacs gemeinsam mit Student/innen entwickelte.

In Abgrenzung zum ungebrochenen Optimismus vieler dieser Projekte bietet die Matrix Anlass, die gesellschaftlichen und sozialen Implikationen einer auf dem Prinzip Konstruktion basierenden Moderne zu reflektieren. Sie produzierte Ausschlüsse und mündete in Sackgassen, versprach aber eben auch Demokratisierung und offerierte wirkungsmächtige Attraktionen, die das Leben bis heute in die kleinsten Winkel durchdringen. Die vor dem Gebäude positionierte Konstruktion nimmt als räumliche Umsetzung der Matrix auf all jene „Folgen“ Bezug. Sie stellt die Grammatik der Moderne, deren Wirkungsmacht und nicht zuletzt deren gesellschaftliche Implikationen zur Diskussion und kann durchaus auch als ironische Anspielung auf minimalistische Skulpturen im öffentlichen Raum oder etwa als Kommentar auf die Versprechungen des Internets gelesen werden. Nicht zuletzt verkörpert die geometrische Struktur regelhafte, wie wohl neu auszuhandelnde Strukturen im globalen gesellschaftlichen Transformationsgeschehen – und den Anspruch auf elementare Basisstrukturen.

Link:
>
www.werkleitz.de/events/biennale2004/index.html
Insert 1

 

Insert 2

 

Insert 3

 

Insert 4


©psp 2005