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Nouvelle DestiNation
Ein Staat zum mitmachen
Erschienen im Reader Swiss etc. Herbst 2004

Weisses Kreuz auf rotem Grund ist populär. T-Shirts, Taschen, Mützen, Gürtel, überall tauchte vor zwei Jahren das einfach wiedererkennbare Zeichen auf. Mit dem Begriff "Swissness" wird nicht etwa der unheimliche Patriotismus der Blocher-Wähler bezeichnet, welche bei den letzten Wahlen wieder einige Stimmen dazugewonnen haben. Hinter der Bezeichnung versammeln sich vielmehr eine ganze Reihe von Trends rund um das Schweizer Kreuz, die Begriffe "Schweiz" oder "Swiss", suggestive rot-weiss-Kontraste, reduzierte Formen und essentielle, erlesene Materialien in Grafik und Design. Der anhaltende Hype von Zeichen und Produkten, die gemeinhin als "schweizerisch" assoziert und wahrgenommen werden, ist kein zufälliger, rein formaler Trend und würde ganz ohne den immer noch irgendwo in Europa real existierende Staat "Schweiz" nicht funktionieren.

Die "Schweiz als Marke" ist keine Erfindung der Modeszene. Aufgeschreckt durch die weltweite Medienpräsenz der Goldgeschäfte mit dem nationalsozialistischen Deutschland und der stillschweigenden Profite aus nachrichtenlosen Konten und Policen jüdischer Kunden bei Schweizer Banken und Versicherungen, wurde Ende der 90er Jahren auf höchster politischer Ebene eine Reform der Informationspolitik verfügt. Die neue, staatlich finanzierte Organisation heisst "Präsenz Schweiz". Sie hat den Auftrag, sich weltweit für einen koordinierten, integralen öffentlichen Auftritt der Schweiz einzusetzt. "Präsenz Schweiz vermittelt weltweit landeskundliche Informationen über die Schweiz, schafft durch die Bildung von Netzwerken im In- und Ausland Verständnis und Sympathie für unser Land und sorgt durch gezielte Aktivitäten für die Wahrnehmung der schweizerischen Vielfalt und Attraktivität." Um die im "Mission Statement" von "Präsenz Schweiz" festgehaltenen Vorgaben zu erreichen, sind unter anderem "Aufbau und Pflege von nachhaltigen Netzwerken mit heutigen und künftigen Meinungsführern" und der Aufbau eines "Kompetenzzentrum für die Wahrnehmung der Schweiz im Ausland" vorgesehen. "Präsenz Schweiz" koordiniert seither die Auftritte an Weltausstellungen und ist für "die gezielte Ausnützung von Grossveranstaltungen, z.B. bei Olympischen Spielen und WM’s" zuständig. Das erklärte Zielpublikum von "Präsenz Schweiz" sind "heutige und künftige MeinungsführerInnen aus den Bereichen Politik, Wirtschaft, Medien, Kultur und Wissenschaft, Lehrkörper sowie Jugendliche und Studierende".

Bei der Vermittlung von Wissen über und Sympathie für die Schweiz spielten die Kulturschaffenden immer eine Schlüsselrolle. Exemplarisch vorgeführt wurde dies bereits 1992 anlässlich der Weltausstellung in Sevilla. Die Schweiz verzichtete auf eine traditionelle Leistungsschau und veranstaltete eine von Harald Szeemann inszenierte Kunstausstellung. Dieses radikal kulturalistische Konzept löste vorallem in der Schweiz selber heftige Debatten aus. Konservative und rechte Parlamentarier versuchten in mehreren Vorstössen die Eröffnung des Pavillons zu verhindern. Das Bild der Schweiz sei elitär, auf beleidigende Weise einseitig und würde vom Publikum nicht verstanden. Das am meisten diskutierte Kunstwerk war ein Gemälde von Ben Vautier. Es zeigt in schwarzer Schrift auf weissem Grund den handgeschriebenen Satz "la Suisse n’existe pas". Die Arbeit spielt auf den historisch geprägten Begriff der "Willensnation Schweiz" und eine ganze Reihe von literarischen Statements an, welche die Schweiz in der Vergangenheit immer wieder als "Sonderfall" und "unnatürliche" Nation zwischen den grossen Kulturen Europas beschrieben haben. Mit "La Suisse n’existe pas" brachte Vautier das 150 Jahre andauernde prätentiöse Zweifeln an der Existenzberechtigung der Schweiz ironisch auf den Punkt und stellte zugleich das längst obsolet gewordene Konzept von "Staat" als Nation und homogener Raum einer einheitlichen (Leit)kultur zur Disposition.
"La Suisse n’existe pas" konnte 1992, kurz nach der Ablehnung des Beitritts zum EWR aber auch noch anders interpretiert werden. Als Statement einer damals total enttäuschten intellektuellen und kulturellen Szene, die sich von der Integration der Schweiz in Europa die Überwindung der Isolation der hiesigen Kultur erhofft hatte: Die Schweiz kommt gar nicht vor.

Tatsache ist, dass sich bei der Gründung des schweizerischen Bundesstaates 1848 die Frage schon einmal aufdrängte, wie sich ein Land mit vier Sprachen, jenseits von den damals vorherrschenden ideologischen Vorstellungen einer einheitlichen Kulturzugehörigkeit legitimiert werden kann. Es musste eilig eine nationale Kultur geschaffen, welche die Bilder und Mythen lieferte, um die herum sich schweizerische Eigenart konsolidieren konnte. Zu den zentralen Motiven dieser neuen, nationalen Kultur gehörten die Berge, die Bauern und die Armee. Die Berge galten als Symbol unverrückbarer Dauerhaftigkeit des eben erst gegründeten, noch von inneren Konflikten gefährdeten Staatenbundes. Der Bauer wurde als Prototyp eines freien, demokratischen Bürgers gesehen. Der Soldat verkörperte den ungebrochenen Willen, die neu gewonnene Freiheit und Neutralität zu verteidigen und zu erhalten. Auf der Suche nach nationalen Monumenten fanden verschiedene Wettbewerbe statt. Etwa jener für den Bau eines Bundeshauses in Bern. Künstler wie Charles Giron wurden beauftragt, im Innern des Parlamentsgebäudes die zentrale Idee der Schweiz in einem grossen Wandbild zu verewigen. Es entstand ein für seine Zeit atemberaubend kühnes Panorama der Bergwelt des Vierwaldstättersees, ein Blick aus zeitloser Höhe, die reine Landschaft als Allegorie, ohne Spuren von Menschen und ihrer Kultur. Die politisch mythische Aufladung der Alpen erreichte schliesslich nach dem 2. Weltkrieg mit dem "Reduit-Mythos" ihren Höhepunkt. Die Vorstellung, dass man sich im Falle einer Krise erfolgreich in die Berge zurückziehen und verschanzen könnte prägte eine ganze Generation und beeinflusst die Politik im Grunde bis heute.

"La Suisse n’existe pas" war im Rückblick das Startsignal für die Lancierung einer "neuen Schweiz". Auch ohne politische Integration in die EU erfolgte im Laufe der 90er Jahren ein radikaler Anpassungsprozess. Der Umbau fand jenseits einer europäischen, gesellschaftlichen Perspektive statt, auf einer rein strukturellen Ebene und auf ökonomische Optimierung ausgerichtet.
In der föderalistisch organisierten Schweiz, wo jeder Kanton und jede Gemeinde selber bestimmen kann, wieviel Steuern sie einziehen will, lassen sich neoliberale Paradigmen einfach durchsetzen. In der Tradition von direkter Demokratie wird Politik als etwas Partizipatives, jeden einzelnen Betreffendes inszeniert, nicht als etwas Abstraktes oder Übergeordnetes . Die meisten politischen Gremien sind von berufstätigen BürgerInnen besetzt, die hier aus ganz pragmatischen Gründe Probleme auf die selbe Weise angehen, wie sie diese auch Zuhause oder im eigenen Betrieb angehen. So erschienen die Anrufungen der 90er Jahre nach Privatisierung, Selbstoptimierung und Eigeninitiative als geradezu "natürlich". Diesen freiwilligen und scheinbar autonomen Vollzug liberalistischer Regeln und Normen hat der Schweiz im "globalen Wettbewerb der Staaten" seither zahlreiche Spitzenränge beschert, von der "globalen Wettbewerbsfähigkeit", über "den besten Platz, ein Business zu starten" bis zum "teuersten Ort der Welt".
Aber der unternehmerisch konzipierte Staat kann nicht davon ausgehen, dass sich seine BürgerInnen auf Dauer freiwillig für ihn entscheiden. Liberalistische Motive geraten in einen zunehmenden Widerspruch mit der Tatsache, dass wir alle zu einer bestimmten Staatsbürgerschaft gezwungen sind. Das unumgängliche Zwangsregime wird mit formalistischen Gesten wie die der Einführung eines "kundenorientierten" public services und einer avancierten Imagepolitik erfolgreich verschleiert. Der unternehmerisch interpretierte Staat hat im Gegensatz zum autoritären oder bürokratischen Staat deshalb auch ein verändertes Repräsentationsbedürfnis. Nach innen müssen die BürgerInnen als Verbündete und Partizipierende ständig neu motiviert und aktiviert werden. Nach aussen gilt es möglichst viel Sympathie und Credibility bei potentiellen Kunden und Investoren zu gewinnen. In beiden Fällen erweisen sich die alten nationale Ideale und Wertesysteme als völlig ungeeignet. Sie liefern bestenfalls einige Motive, die beim Aufbau der neuen Marke für den Staat eine Rolle spielen können.

Ihren ersten grossen Auftritt hatte die neue "Marke Schweiz" an der Expo 2000 in Hannover. Der von Peter Zumthor entworfene Bau, bestand aus einer ca. 50 x 60 Meter grossen Raumstruktur aus gestapeltem Holz, ein labyrinthisches Gefüge von Gängen und Höfen bildend. 3000 Kubikmeter frisch geschnittenes Föhren- und Lärchenholz wurde direkt aus den Schweizer Bergen importiert. Durch die Gänge und Räumen zogen Musiker, die den Auftrag hatten, mit allerlei Geräuschen und Tönen und zuweilen kleinen improvisierten Ständchen das Pavillon in eine Klangskulptur zu verwandeln und Publikum anzulocken. An zwei verschiedenen Bars wurden erlesene kulinarische Spezialitäten geboten.
Der Einsatz von Kultur als Mittel der Imagebildung wurde verfeinert. Das Schweizer Pavillon sollte von erlesenem Geschmack zeugen und dennoch natürlich und sinnlich sein, modern wirken und dennoch bodenständig, Einfachheit und Bescheidenheit ausstrahlen obschon die Investition für das Gebäude 18 Mio SFr betrugen. Die neue Marke Schweiz wird nicht mehr länger über die immer gleichen touristischen Bilder von Bergen und Folklore vermitteln. Die Berge haben sich im Geruch des Lärchenholzes sublimiert. Käse taucht als Gourmetspezialität auf und die Folklore als experimentelles Klangzitat. Die Botschaft: Schweiz ist Distinktion der Reduktion und Zurückhaltung, gesteigertes Bewusstsein für höhere Werte.

Der bisher aufwändigste Auftritt der Marke Schweiz fand 2002, im Rahmen der Expo.02 statt. Das nicht mehr ganz zeitgemässe Grossereignis einer nationalen Landesausstellung leistet sich die Schweiz alle 30 bis 40 Jahre. Durch die grosse zeitliche Distanz erhält jede einzelne Landesausstellung im Rückblick ihre spezifische prägende Bedeutung und wurde so in jeder Epoche zu dem zentralen Ereignis der Reflektion und zugleich Erneuerung eines wie auch immer gestalteten nationalen Bewusstseins.
In den insgesamt 59 gösseren und kleineren Ausstellungsprojekten der Expo.02 wurden praktisch alle Trends und Themen der 90er Jahren aufgegriffen. Das grosse Arrangement der Arteplages, etwa Jean Nouvels Würfel im Murtensee und Dillier+ Scofidios Wolke, bildete dabei eine Art Metaerzählung.
Der Bund selber, war an der Expo.02 mit vier eigenen Projekten beteiligt. Das "neue Verständnis von Staat" ist bei der Wahl der Themen unübersehbar. Anstelle historischer Monumente und nationaler Argumentationen trat in der Ausstellung "Palais d’equilibre" die Reflexion über die "Nachhaltigkeit des eigenen politischen und wirtschaftlichen Handelns". "Die Werft" behandelte das für den neoliberalen Staat zentrale Monopol auf Sicherheit. An Werftanlagen erinnernde Architektur mit verschiedenen, gegeneinander verschiebbaren Kränen versinnbildlichte "einen Bauplatz nationaler Sicherheit". In einer Art kinetischen Skulptur bildeten griffige Bilder von "globalen Risikofaktoren" und symbolische Tools, um die Risiken zu kontrollieren rund um die BesucherInnen ständig neue Bedeutungskonstellationen. Sicherheitspolitik als Baukastenprinzip. Wohl eher unbeabsichtigt wurde das zentrale Problem, welches eine auf Risikomanagement verschlankte Politik aufwirft, gleich mitinszeniert: die Reduktion komplexer gesellschaftlicher Zusammenhänge und Wirkungen auf gefährliche Klischees. Zu den Bildern für aktuelle Bedrohungen gehörten etwas Globen mit statistischen Angaben zu Migrationsströmen und das Röntgenbild eines Lasters mit schematischen Gestalten von "Illegalen". In der Ausstellung "Nouveau DestiNation" schliesslich, wurde der "kundenfreundliche" Staat inszeniert. Der Pavillon, ein aufblasbares weisses Zelt, hatte die Form einer Lunge und pulsierte fast unmerklich im Minutentakt. Das Interieur war im Look einer Sporthalle gestaltet, mit Turngeräten, Basketball-Körben und der speziellen Bodenbeschichtung von Indoor-Spielfeldern. Ausgestattet mit einem Funkkopfhörer führte ein "sportlicher Selbsterfahrungs-Parcours" durch verschiedene induktive Hörzonen zu den "new public services" des modernen Staates vorbei ans Ziel einer selbsoptimierten Bürgerschaft.
Während der Expo.02 wurde viel darüber gemutmasst, ob das nun das definitive Coming-out einer selbstbewussten, selbstkritischen Schweiz sei. Viele Journalisten waren offensichtlich erstaunt , dass BesucherInnen das "anspruchsvolle" Angebot interaktiver Erfahrungs- und Erlebniswelten dankbar angenommen und eifrig mitgemacht haben. Für einen Moment schien die "neue Schweiz" zum greifen nah. Kulturell von Bedeutung, kreativ, tolerant und offen.

Heute sind davon nicht mal mehr diejenigen überzeugt, die in den 90er Jahren in der Kultur und Clubbingszene etwa in Zürich aktiv waren und die Stadt tatsächlich vorübergehend ins Gespräch gebracht und damit nicht unwesentlich zum Swissness-Hype beigetragen haben. Tatsache ist, dass seit der Expo.02 das Asylgesetz erneut verschärft, die Legalisierung von Canabis gescheitert und Blocher in den Bundesrat gewählt wurde. Die funktionale Liberalisierung der Gesellschaft, wie sie in den letzten 10 Jahren in der Schweiz massiv vorangetrieben wurde, der Umbau von Behörden und Verwaltung ist nicht zwingend auf liberale Inhalte angewiesen. Bisher schien es oportuner, die laufenden Veränderungen in progressive, kulturalisierte Bildern zu fassen und als neue Offenheit zu kommunizieren. Das "neue Verhältnis zwischen den BürgerInnen und dem Staat", der Rückzug des Staates aus sozialen und gesellschaftlichen Verantwortlichkeiten lässt sich aber selbsverständlich genauso wirkungsvoll mit konservativen Werten und mehr Härte legitimieren.
Bei etwas genauerer Betrachtung der Ausstellung "Nouvelle DestiNation" wäre aufgefallen, dass im Hightech Sportambiente des Pavillon gar nicht so sehr das Spiel im Vordergrund stand, sondern vielmehr die persönliche Fitness als Vorbereitung auf eine härter werdende Auseinandersetzung, während der Staat bloss noch dafür sorgt, dass die Regeln eingehalten werden.
Die neue Marke Schweiz wirkt auf einmal abweisend, distanziert, anonym. Um das eigentliche Zielpublikum, die Finanz- und Businesseliten der Welt zu erreichen, braucht es nach der erfolgreichen Einführung der neuen CI heute die Kulturszene nicht mehr. Als Beitrag der Schweiz zur Weltausstellung 2005 in Japan hat "Präsenz Schweiz" kürzlich ein Konzept mit dem Titel "Der Berg" vorgestellt. "Die alpine Bergwelt wird zentral und sinnbildlich für das Oberthema "Weisheit der Natur" stehen. […] Die Besucher werden durch die Gestaltung der Fassade als künstliche Felsformation positiv angesprochen." Auf der Homepage von "Präsenz Schweiz" kann nebst dem Ausstellungskonzept auch das begleitende Kulturprogram der Pro Helvetia (69 KB) und das Papier zum geplanten Investoren Seminar (204 KB) herunter geladen werden.

http://www.etc-publications.com/swiss/swiss.htm

©psp 2004