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Blass gewordene Gesten
Erschienen in Schweizer Kunst 1/06 zum Thema Politik
2006

Immer wieder ist von einer «Repolitisierung der Kunst» in den neunziger Jahren die Rede. Viele der Themen, die damals in international vernetzen, oftmals kollektiv organisierten Gruppen entstande Kunstpraxis aufgegriffen wurden, sind heute Teil des etablierten Kunstsystem. Das eigentlich Politische jener Gruppen, ihre Organisationsform, ihre strategischen Allianzen, ihre situationsspezifischen Interventionen hingegen wird jedoch zunehmend ausgeblendet.

Seit den neunziger Jahren ist in Europa und im deutschsprachigen Raum eine Szene von KünstlerInnen und Künstlern entstanden, die sich explizit auf einen politischen Kunstbegriff bezieht und die das Kunstsystem und seine Institutionen als eine Form von Öffentlichkeit versteht, welche für Prozesse und Debatten benutzt werden kann, die in andern Feldern, zum Beipspiel in den Medien, in der Wissenschaft oder in der Politik so nicht stattfinden können. Wichtige Themen waren dabei von Beginn an Popkultur, feministische Kritik, Technologiekritik, Ökonomie, Stadtentwicklung und Urbanisums. Im Vordergrund stehen bestimmte Formen einer kollektiv oder sozial organisierten künstlerischen Praxis: Räume organisieren, eigene Zeitschriften herausgeben, Labels gründen, Ausstellungen kuratieren und Themen besetzen. Aus dem international vernetzten Zusammenhang, für den bekanntlich die Shedhalle in Zürich und die dort laufenden Projekte zu einem der wichtigsten Bezugsorte geworden ist, haben sich seither unterschiedlichste Gruppen, Projekte, Institutionen und Initiativen entwickelt, die sich in viele unterschiedliche Arbeitsfelder hinein vernetzten, einmal mehr in Richtung Aktivismus und Medien, ein ander mal mehr Richtung Wissensproduktion und Forschung. Weit über die Grenzen des Kunstsystems hinaus entstand so ein produktiver Raum für neue Formen der kulturellen Produktion und den sozialen Austauschs.

Diese Dynamik ist – wie jeder innovativer Impuls in der Kunst – nicht unbemerkt geblieben. Die «Repolitisierung der Kunst» wird seit einiger Zeit als ein wesentliches Merkmal der Kunst der neunziger Jahren postuliert. Keine grössere Ausstellung ohne aktuelles Thema, keine ambitionierte zeitgenössische Institution ohne eigene Dokumentationsstelle mit einschlägiger Literatur von Popkultur bis Ökonomie. Damit scheint die Strategie, den Raum der Kunst mit andern Themen und Debatten zu besetzen, vorerst aufgegangen zu sein.

Ich möchte versuchen, hier noch einmal genauer nachzufragen, was denn nun mit «Repolitisierung» genau gemeint sein könnte und in welchem Verhältnis die seit den 1990er Jahren entstandenen Zusammenhänge zur Metaerzählung über Kunst stehen.


Die Wende von 1989

In seiner 2002 erschienen Dissertation «Politische Kunst Begriffe» sieht der deutsche Kunstwissenschafter Holger Kube Ventura den Hauptgrund für die Repolitisierung der Kunst im Einbruch des Kunstmarktes zu Beginn der neunziger Jahren. Aus der Sicht der Kunstgeschichte mag der Kunstmarkt zwar eine relevante Referenzgrösse sein, auf der Seite der Kunstpraxis – das zumindest meine Erfahrung – spielt er aber über weite Strecken keine Rolle. Die Dynamik von Kunst ergibt sich nicht in erster Linie aus der Nachfrage nach bestimmten Produkten oder Stilen, sie ist aber auch nicht ganz unabhängig davon. Entwicklungen im Kunstfeld sind auf komplexe Weise an allgemeine gesellschaftliche Veränderungen gebunden. Und diese waren in den neunziger Jahren vorallem dadurch geprägt, dass die aus der Zeit des Kalten Krieges stammenden strategischen Besetzungen obsolet wurden. Als mehr oder weniger obsolet wurde zum Beispiel sehr bald nach 1989 das Konzept der sozialen Marktwirtschaft dargestellt, ein System, welches in Europa zwar wesentlich das Ergebnis von jahrzehntelangen Arbeiterkämpfen ist, aber seit den fünfziger Jahren und speziell in der BRD auch zunehmend gegen die sozialisitsche Planwirtschaft in Stellung gebracht worden war. Aber auch der Stellenwert von Kunst und Kultur veränderte sich durch den Zusammenbruch der polaren Weltordnung, etwa durch das Wegfallen eines propagandistischen Anspruchs an Kultur. Durch die Überbewertung einer möglichst unangepassten, individualistischen Kreativität – als Ausdruck und Beweis für die herrschende Freiheit – wurde die Kunst im Westen übrigens genauso ideologisch in Anspruch genommen wie im Osten, wo eher ihre solidaritäts- und gemeinsinnstiftende Funktion in den Vordergrund gestellt und individuelle «Abweichung» verbrämt oder sogar verfolgt wurde.


Neue Erzählungen

Der seither laufende Umbau von Ökonomie, Institutionen und gesellschaftlichem Wertesystem ist sicher um einiges massiver ausgefallen, als man sich das anfangs vorstellen konnte. Aber die neuen Erzählungen, welche den Umbau und die Reformen bis heute begleiten und legitimieren sollen, waren im Grunde von Beginn an gesetzt und bildeten in vielerlei Hinsicht auch den Ausgangspunkt vieler künstlerischer Projekte und Interventionen.

Tatsächlich war es von Seiten der Wirtschaft nicht der Kunstmarkt, welcher sich zunehmend für künstlerische Praxis und zum Beispiel die darin stattfindende Arbeit mit neuen Technologien und Medien interessierte, sondern eine sich neu formierende ökonomische Elite, die im Begriff waren, das Ökonomische im Trend der Zeit nochmals neu zu definieren. Das kreative, sich selbstverwirklichende Subjekt steht hier nicht mehr länger in Opposition, etwa zu einer bürokratisch und technokratisch optimierten Produktionsmaschine. Der sich durchsetzende postfordistische gesellschaftliche Imperativ fordert von allen Partizipation und Kreativität und das klassische renitente Künstlersubjekt ist so scheinbar zum mehrheitsfähigen Modell geworden. Angerufen sind Subjekte, die eigenständig und kreativ handeln, unternehmerisch denken, Dinge ins Leben rufen und soziale Verbindlichkeit herstellen können.

Die Sprache, mit welcher gesellschaftliche Prozesse seit den neunziger Jahren beschrieben und bewertet werden, ist nicht mehr eine ordnende, verwaltende, bürokratische Sprache, die durch spontane Interventionen, Cut-Ups und Montage so einfach aus der Fassung gebracht werden kann, sondern eine dynamisch, anpassungsfähige ökonomistische Sprache, welche darauf angelegt ist, sich laufend alles anzueignen, was Aufmerksamkeit erregt und Disktinktion verspricht. Das Paradigma von Bedrohung und Sicherheit aus den Zeiten des Kalten Krieges wird durch ein Paradigma der Reform abgelöst. Die Wirtschaft, der einzelne Betrieb, die politischen und gesellschaftlichen Institutionen – wie etwa das Bildungssystem – durchlaufen seither einen Prozess der kontinuierlichen Auflösung und Neubildung. Die scheinbare Verflüchtigung von Strukturen geht mit dem scheinbaren Verschwinden von Produkten und Produktion einher.

In diesem sich verschiebenden gesellschaftlichen Kontext verändert sich der Stellenwert von Kunst auf durchaus ambivalente Art und Weise. Die ökonomistische Sprache eignet sich kulturelle Werte und Verfahren an. Das innovative Produkt wird als geniale Schöpfung und der erfolgreiche Unternehmer als gefeierter Star reinszeniert. Strategien und Bilder, welche aus der Sicht der Kunst mit alten Vorstellungen von Künstlersubjekten und dem in die Tage gekommenen Geiste der Avantgarde verbunden sind, werden im Rahmen einer umfassenden Gesellschaftsreform neu mobilisiert. Kultur und Kunst stossen daher auf ein breites Interesse und die Kulturindustrie boomt. Es stellt sich einmal mehr heraus, dass das formale Vokabular von Avantgarde seine progressive Anmutung auch dann behält, wenn auf das Gemeinwohl bezogen durchaus revisionistisch gemeinte Botschaften damit verbreitet werden.


Gegen den schönene Schein

Aktuelle künstlerische Praxis ist geprägt von den unterschiedlichen Strategien, wie Künstler und KünstlerInnen mit den neuen gesellschaftlichen Anrufungen umgehen, wie sie sich dazu verhalten. Die Bildung von Arbeitszusammenhängen und Netzwerken ist eine durchaus aussichtsreiche Strategie, dem allgemeinen Leistungsimperativ zu entgehen und die dadurch blass gewordene Geste exzentrischer Subjektivität zu vermeiden. Strategien der Affirmation, die Übernahme von Bildern und Arbeitsweisen aus Werbung und Management und der Versuch, diese durch Überspitzung und Ironisierung abzuwerten oder zumindest temporär im Schach zu halten, entspricht dem Bedürfnis, sich der neuen Sprache zu bemächtigen, ihre Rhethorik zu verstehen, um vielleicht auch dagegen immun zu werden. Die wachsende Bedeutung schliesslich, welche inhaltliche Recherchen und die Auseinandersetzung mit Theorie bis hin zur interdisziplinären Zusammenarbeit mit den unterschiedlichen kulturwissenschaftlichen Disziplinen für die aktuelle Kunstproduktion bekommen hat, stellt eine wie durchaus adäquate Form dar, dem schönen Schein von ständig wechselnden Themen und Debatten einen fundierten Korpus von Inhalten entgegenzustellen und so die Reflexionsfähigkeit zumindest partiell zu erhalten.

Politisch ist bei allen diesen Verfahren weniger das Format – selbst wenn sich dieses bei einigen Projekten an Formate anlehnt, die wir aus den politischen Kämpfen der sechziger und achtziger Jahren kennen. Politisch sind auch nicht unbedingt die Themen, auch wenn sie explizit aktuelle politische Debatten aufgreifen. Politisch intendiert und auch als politischer Akt verstanden, ist vielmehr die Praxis selbst, die vielleicht am zutreffendsten als situationsspezifische Intervention beschrieben werden kann und sich je nach Kontext auf die Bildung von strategischen Allianzen, Freundschaften oder die Schaffung von temporären Öffentlichkeiten rund um bestimmte Anliegen und Themen konzentriert. Politisch sind die Verhältnisse, die ermöglicht oder je nach dem auch verhindert werden. Ein gemeinsames Programm, eine Metaerzählung ist dabei nicht angedacht, auch wenn es – wie zum Beispiel in «Empire» von Michael Hardt und Antonio Negri und dem Begriff der «Multiplicity» – immer wieder Versuche gibt, das kaum fassbare Millieu in eine im klassischen Sinne politische Bewegung zurück zu übersetzen.


Kontinuität im Kunstsystem

Im Hinblick auf den Begriff der «Repolitisierung» der Kunst stellt sich demnach die Frage nach Bezugspunkten. Ist das Kunstsystem selber jemals als ein politisches Verhältnis denkbar, welches sich zu einem gegebenen sozialen und gesellschaftlichen Kontext emanzipativ und ermöglichend verhält und sich darin gegebenenfalls auch aufgeben könnte? Die Kontinuität von Akteuren, Institutionen und der sie begleitenden Disziplinen, welche die Kunst der Moderne im Gegensatz zu den vielfältigen populären kulturellen Ausdrucksformenletztlich wesentlich prägt, spricht eigentlich dagegen. Das Kunstsystem funktioniert – auch ohne dass der Kunstmarkt dabei eine dominante Rolle spielen muss – als ein sich abgrenzendes, sich selbst erhaltendes System, welches laufend gewisse Akteure, Entwicklungen und Tendenzen einschliessen und andere, die im Feld der Kunst genauso in Spiel gebracht werden, ausschliessen muss.

Der politische Künstler als einzelner (erfolgreicher) Künstler, der mit seiner Arbeit politisch wirksam ist, erscheint vor diesem Hintergrund als eine doppelt konstruierte Figur. Politische Wirkung, scheint immer an einen gesellschaftlichen Kontext gebunden, Teil eines momentanen kollektiven Begehrens oder einer gemeinsamen Imagination und ist in diesem Sinne nur Wirkung in einem ganz bestimmten Moment, etwa wenn die durch Kunst zur Verfügung gestellten Symbole, Bilder oder Begriffe sich unverhofft zu einer gemeinsamen Sprache verdichten lassen. Künstlerischer Erfolg hingegen, stellt sich immer noch vorwiegend im relationalen Verhältnis zu andern künstlerischen Positionen her, fast ausschliesslich im Kunstsystem und hinsichtlich einer gewissen Kontinuität.

Wenn heute, angesichts einer Vielfalt von thematischen Ausstellungen und Rahmenveranstaltungen, einem wachsenden diskursiven Überbau von Kunstbetrieb und Kunstinstiutionen von der «Repolitisierung der Kunst» die Rede ist, dann sind dabei die mikropolitischen Verästelungen und Dynamiken, die neuen inhaltlichen und sozialen Formationen und Zusammenhänge, welche in und durch die zahlreichen disziplinübergreifenden Projekte angestossen wurden und eine ganz eigene kulturelle Wirksamkeit entfalten, längst schon wieder ausgeblendet. Gemeint ist wohl eher ein gewisser Stil des Diskursiven und Inhaltlichen, der sich aus der Perspektive des Kunstsystems durchgesetzt hat.

©psp 2006