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Swissness revisited
Imagination "Schweiz" im Kontext von Transnationalisierungsprozessen
Ein Forschungsvorhaben des Institut für Theorie der ZHdK

Im Zentrum unseres Forschungsvorhabens steht die Frage, auf welche Art und Weise aktuelle Imaginationen von „Schweiz“ entstehen, wie diese im Kontext von Globalisierung laufend verändert und ausgehandelt werden und welche Akteure an deren (Re-) Produktion beteiligt sind. Unser Interesse gilt in erster Linie den Akteuren transnationaler Bewegungen (globales Business, Tourismus und Migration) und der zunehmenden Transnationalisierung (ehemals) nationaler Bilder und Bedeutungen.

Wie wir bereits im vorangegangenen Forschungsprojekt "Und plötzlich China!" festgehalten haben, stellt die Imagination „Schweiz“ aus der Perspektive des internationalen Tourismus ein komplexes kulturelles Setting dar, das von verschiedenen Akteuren – seien es die Reisenden selbst oder Dienstleister, Institutionen oder das durch Bilder und Geschichten medial erreichbare "Publikum" – immer wieder neu erfunden, mit eigenen Bedeutungen aufgeladen und reproduziert wird. Die Bilder und die damit verbundenen Begehren haben – so konnten wir bei der Untersuchung der Imaginationen von Touristen aus Asien feststellen – mit dem realen Land und der Nation Schweiz wenig zu tun. Sie setzen sich vielmehr aus unterschiedlichen Motiven zusammen, die zum Teil durch historische zum Teil durch persönliche Ereignisse und Umstände motiviert sind. Ähnlich verhält es sich mit identitätstiftenden nationalen Bildern und Bedeutungen im Kontext von Transnationalisierungsprozessen. Versteht man "Nation" als ‘a cultural order’, eine kulturelle Einheit bestehend aus Sprache, Werten, Symbolen, Mythen und Geschichten, so konstituiert sich nationale Identität verflochten mit soziopolitischen sowie kulturellen Entwicklungen als ein kontinuierlich wiederkehrendes Projekt nationaler Rekonstruktion im Sinne einer ‘imaginierten Gemeinschaft’.

Die laufende Kontroverse um den Begriff „Swissness“ sehen wir als ein Ausdruck der kontinuierlichen Reflektion und Aushandlung „nationaler Werte“ in einem zunehmend transnationalen oder globalen Kontext. Unter dem Begriff „Swissness“ wurden in den vergangenen Jahren so widersprüchliche Phänomene wie coole Kunst, Design und Architektur aus der Schweiz, die populäre Wiederbelebung von Volkskultur, Folklore und seit neuestem die offizielle Politik zum Schutz der „Marke Schweiz“ sowie die mit dem Prädikat „Swissness“ verbundenen (Markt-)Vorteile, im globalen Wettbewerb verhandelt. Auf dieselbe Weise kann auch die Nationalisierung von Produkten oder Dienstleistungen nochmals untersucht werden, die einerseits zunehmend mit nationalen Zeichen markiert werden, wobei diese je nach Kontext z.B. „Qualität“, „Tradition“ oder „Terroir“ bedeuten können. Andererseits vermeiden lokale oder nationale Traditionsunternehmen, die sich zu global agierenden Konzernen entwickelt haben, in Marketing und Kommunikation oftmals bewusst jegliche Symbole, die national konnotiert sind, weil sie sich multinational verortet sehen wollen. Multilokale Fertigungsprozesse und das blühende Geschäft mit Kopien und Fälschungen –beides konkrete Folgen der Globalisierung von Produktion, Handel und Images – stellen vormals sichere Werte wie „Swiss“ oder „Swiss made“ sowohl von ’innen’ als auch von ’aussen’ in Frage und müssen unter anderem durch politische Vorstösse für einen besseren Schutz der „Marke Schweiz“ auf Bundesebene neu ausgehandelt werden. Andere offizielle Bestrebungen wie beispielsweise von Präsenz Schweiz (oder Schweiz Tourismus) sorgen für einen integrierten Auftritt des „Standort Schweiz“ im Ausland. Alle diese Bemühungen sind Teil eines kontinuierlichen Prozesses der Um- und Neudeutung nationaler Imaginationen im Kontext von Transnationalisierung und können als Reaktionen auf unscharf werdende (Selbst-)Bilder verstanden werden.

Unter dem Einfluss facettenreicher Prozesse der Inter-Nationalisierung von wirtschaftlichen, politischen und sozialen Beziehungen erhalten ehemals nationale Bilder, Symbole und Imaginationen jenseits der „alten Grenzen“ nationalstaatlich gefasster Territorien und Institutionen neue Bedeutungszusammenhänge. Im Zuge dieser Entwicklung verliert weder der Nationalstaat seine staatliche Souveränität noch gehen dadurch lokale Bilder und Kulturen in einem globalen Kulturmix unter. Der Nationalstaat spielt als „Rahmensetzer“ und institutioneller Akteur innerhalb von Transnationalisierungsprozessen selber eine entscheidende Rolle und „Globalisierung“ ist nur in der Gestalt lokaler, spezifischer Phänomene überhaupt erfahrbar.
Angetrieben werden die Prozesse der Transnationalisierung durch wirtschaftliche Kräfte wie internationaler Handel und globale Kapitalströme sowie schnellere und billigere Transport- und Kommunikationstechnologien. Getragen sind sie von kulturellen und sozialen Prozessen, die zur Ausbildung von sozialen Netzwerken über nationalstaatliche Grenzen hinweg führen und so die Verflechtung von Räumen und Akteuren intensivieren und beschleunigen. Deshalb müssen nationale Bilder und auch Imaginationen zu „Schweiz“ immer in Beziehung zu den komplexen Wechselwirkungen zwischen ökonomischen, politischen, sozialen und kulturellen Phänomenen auf der lokalen, mikro-regionalen, nationalen, makro-regionalen und globalen Ebene untersucht werden.

Untersuchungsgegenstand des Forschungsprojekts „Swissness revisited“ ist die Transformation und Transnationalisierung von nationalen Bildern durch Imaginationen unterschiedlichster pluri-lokal agierender Akteure und deren alltagsweltliche, organisationsbezogene und institutionelle Verflechtungen. Das Projekt baut auf Erkenntnissen auf, die im Forschungsprojekt „Und plötzlich China!“ gewonnen werden konnten und soll diese durch eine Reihe von Befragungen unterschiedlicher Akteure vertiefen und schärfen. Die Untersuchung soll entlang der Realisation des Auftritts der Schweiz an der Weltausstellung 2010 in Shanghai laufen. Befragt und teilweise begleitet werden Akteure, die mit der Initiierung, Finanzierung, Konzeption, Gestaltung, dem Bau, Betrieb und der kulturellen Bespielung des Schweizer Pavillons zu tun haben. Dazu gehören Akteure aus der Schweiz und aus China, aus der Politik, Verwaltung, aus dem Management, der Kulturszene, HandwerkerInnen und spezialisierte Dienstleister, bis hin zu Reinigungskräften und Aufsichtsdienst.
Die Realisierung des Weltausstellungspavillons sehen wir als exemplarisches dynamisches Projekt im transnationalen Raum, innerhalb dessen ein komplexes Netzwerk von Akteuren zusammenarbeitet, das sich innerhalb einer gegebenen zeitlichen Struktur bildet, erweitert und wieder auflöst. Die Untersuchung folgt der Projektdynamik insofern, als dass zu Beginn nicht vollständig absehbar ist, welche Akteure und Akteursmillieus genau berührt werden. Gleichwohl ist sichergestellt, dass es über die Struktur der sich temporär bildenden Produktionseinheit und die komplexe Vielschichtigkeit des Unterfangens, welche eine Vielzahl von mehr oder weniger qualifizierten SpezialistInnen und MitarbeiterInnen miteinschliesst, eine der Fragestellung angemessene Kohärenz des untersuchten Feldes gibt. Die binationale Struktur des Projektes, welches von der Schweiz aus geplant und konzipiert und in Shanghai realisiert werden muss, bietet ausserdem die interessante Gelegenheit, die Perspektiven von Akteuren von ’innen’ und von ’aussen’ miteinander in Verbindung zu bringen. Der unterschiedliche Grad inhaltlicher Involviertheit und Identifikation von Akteuren, die naturgemäss in einem solchen Unterfangen gegeben sind – z.B. zwischen dem Verantwortlichen für Ausstellungsinhalte oder einem Monteur für Lüftungsanlagen – ist vielversprechend, was die gewünschte Mehrstimmigkeit und Vielschichtigkeit bezüglich der Frage „Was sind die Imaginationen im Zusammenhang mit "Schweiz"?“ anbelangt.


©psp 2011