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Der Löntsch
J. Vogel von Glarus, 1878

An den Klönthalersee
J. Vogel von Glarus, 1878

Abschied
J. Vogel von Glarus, 1878

Im Klönthal
Ulrich Farner, 1890

Beantwortet
Ulrich Farner, 1890

Vrenelisgärtli
Glarner Sage, Kaspar Freuler und Hans Thürer, 1953

Der Geisterjodler
Glarner Sage, Kaspar Freuler und Hans Thürer, 1953

Der Drache am Glärnisch
Glarner Sage, Kaspar Freuler und Hans Thürer, 1953

Der Geisterritt
Glarner Sage, Kaspar Freuler und Hans Thürer, 1953

Der Stausee
Eugen Wyhler, 1927

Die Holzflösser vom Klöntal
J. Weber, 1972

Eis, Ausschnitt aus dem neuen Roman (erscheint im kommenden Jahr)
Perikles Monioudis, 1996



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Der Löntsch


Im kecken Jugenddrange
Zieht er vom Vaterhort
Und wirft beim stolzen Gange,
Am bunten Waldeshange,
Die Silberperlen fort!

Er singt im Vorwärtswallen
Sein Berglied, frei und wild:
Das prächtigste von allen,
Wenn seine Wogen prallen
Hochauf am Felsenschild!

Ein Sprung! Im grausen Schlunde
Verschwunden ist er schon;
Doch aus dem tiefen Grunde
Jauchzt er mit kühnem Munde
Empor im Donnerton:

Lebt wohl, ihr grünen Alpen!
Ihr Berge, hoch und hehr!
Wenn auch die lieben Schwalben
Hier einzieh'n allenthalben.
Ich kehre nimmermehr!

J. Vogel von Glarus, 1878


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An den Klönthalersee


Am schönsten bist Du, wenn die Nacht
Dich leise in den Schlummer wiegt,
Und Stern an Stern in gol'dner Pracht
An Deinem Herzen träumend liegt!

Wenn Alles schweigt - kein Lüftchen mehr
Den Schleier Dir vom Auge zieht,
Bis bald der Morgen ringsumher
Die Bergesspitzen überglühth!

Dann zieh'n die Sterne sich zurück
Von Deinem Herzen still und rein,
Und selig spiegelt sich Dein Blick
Noch lang in ihrem Wiederschein!-

J. Vogel von Glarus, 1878


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Abschied


Wie manche Stunde, liebes Thal
Hast Du mir schon versüßt;
Vielleicht ist es das letzte Mal,
Daß ich Dich heut gegrüßt!

Ich träumte oft mit Kindeslust
An Deinem Waldeshang,
Und lauschte, wenn aus tiefer Brust
Der Amsel Lied erklang!

O holdes Thal, ich habe Dich
Stets innig-treu geherzt,
Und wenn der Trübsinn mich beschlich,
Hast Du ihn weggescherzt!

So lebe wohl! ... Auf Wiederseh'n,
Wenn sich der Lenz erneut!
Gott möge segnend Dich umweh'n
In alle Ewigkeit! -

J. Vogel von Glarus, 1878


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Im Klönthal


Wie Du grüßest, blauer Spiegel,
Mir entgegen demanthelle,
Und gesungen die Sirenen
Von gewalt'gem Liebessehnen
Zauberisch aus Fluth und Welle!

Und sie hielten mich umschlungen,
Küßten mich im Jubelkreise,
Und vergessen ob dem Lauschen
Küsse-und Gedankentauschen
hätt'ich bald die Weiterreise.

Und die Bergtitanen alle,
Mächt'gem Waltens Riesenzeugen,
Sah ich vor dem Strahl der Sonne,
Schwelgend in des Urlichts Wonne,
Ihre stolzen Häupter beugen.

Und an ihren stolzen Busen
Schmiegen sich des Hochwalds Söhne,
Trinken Kraft aus Felsenbächen,
Die vom ew'gen Eiswall brechen,
Eilbeschwingt vom Vater Föhne.

Andacht zog in meine Seele
Mehr als je im Gotteshause, -
Bei der Berge stummen Sagen,
Bei der Wälder stummen Fragen
Und des Stromes Sturmgebrause.

Ja, Natur, in deinem Tempel
Mag ein krank Gemüth gefunden,
Das im Lärm des lauten Lebens
Und trotz allen Ringens, Strebens
Seine Ruhe nicht gefunden.

Ulrich Farner, 1890


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Beantwortet


Braucht es graue Theorien,
Teufelsspuck und Muhmenspiel,
Um auf Erden zu erreichen
Eines Menschen höchstes Ziel?

Braucht es wirklich Ammenmärchen,
Bunte Lappen, süßen Trug,
Bis die Seele auch sich schwinget
Zu des Adlers stolzen Flug?

Mir genügt's in diesem Thale
Luftberauscht einher zu gehn,
Um den Werth des höchsten Zieles
Voll und freudig zu verstehn.

Ulrich Farner, 1890


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Vrenelisgärtli

Dieser, heute sich als wüstes Steingebilde auftürmende Felsklotz war ehedem das Gärtchen eines wunderschönen, keuschen Mädchens, Vrineli geheißen. Die herrlichsten Alpenblumen zierten es, die Früchte an den Bäumen waren nochmal so süß wie drunten im Tal ihrer Schwestern, und innige, stille Freude umwob das liebliche Wesen, dessen Pflege die Flur unterstellt war. Damit nun keines Frevlers Blick das holde Mädchen streifen könne, hatte der Vater, welcher als mächtiger Berggeist die Alpen ringsum beherrschte, einen Kranz steiler, unzugänglicher Felsen um das blühende Heim seiner Tochter gezogen. Diese Mauern stehen heute noch. Jeder, der auf den Glärnisch klettert, kann sie mit eigenen Augen sehen.
Ein kühner Bursch aus Glarus nun, der gelockt von der Schilderung der Gemsjäger, die das schöne Mädchen von ferne erblickt haben wollten, Tag und Nacht nicht zur Ruhe kommen konnte, machte sich eines Morgens auf, die grause Felsenburg zu erklimmen. Sie liebten sich vom ersten Blick an, und Vrineli verbarg ihn vor dem Auge des Vaters. Aber dieser witterte Unheil. Er flog zum Schein über die Berge, kehrte aber unvermutet wieder zurück und fand das Paar in zärtlichster Umschlingung. Sein untilgbarer Haß gegen das Menschengeschlecht, das ihm seine Gemsen tötete, machte ihn unerbittlich. Er schleuderte den Burschen über die hohe Wand hinab und verwandelte sein schluchzendes Töchterlein in einen grauen Felsklotz. Und nur, so erzählt die Sage, wer in Liebe dreimal den richtigen Stein küßt, kann das schlafende Kind wieder zum Leben erwecken. Tausende von Steinen liegen auf dem Gärtli, Eis und Schnee hat der zürnende Vater darüber gegossen. Wer weiß, wie lang die Geschichte schon her ist!

Glarner Sage, Kaspar Freuler und Hans Thürer, 1953


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Der Geisterjodler

Im Jahre I799 soll es gewesen sein. Das Land hatte schwere Kriegszeiten hinter sich und befand sich in schrecklichem Elend. Die Franzosen hausten wie die Wilden, sie besetzten alle Dörfer und raubten das Vieh aus den Ställen. Selbst die Hütten der Viehhüter wurden ausgeplündert.
In den letzten Tagen des Herbstmonats nun hieß es plötzlich, von Schwyz her sei ein mächtiges russisches Heer gegen die Franzosen im Anmarsch. Ein Senn brachte den Glarner Hirten die Kunde, der berühmte General Suworow rücke heran.
Zu jener Zeit hauste auf einer einsamen Alp hinten am Klöntalersee ein junger Hirt, namens Kaspar Glarner. Ein unbändig starker Bursche soll es gewesen sein. Wenn er auf seiner Alp gejodelt habe, so hätten alle Sennen und Hirten im Klöntal aufgehorcht. Als nun die Franzosen von Glarus her ins Klöntal rückten, um den Russen den Pragelpaß zu versperren, stieg auch ein Trupp von ihnen hinauf zu des Glarners Alp. Der Senn, der seine Heimat über alles liebte, geriet darüber in hellen Zorn, ergriff ein langes Holzscheit und schlug die ersten, die ihm über den Weg kamen, nieder. Darauf entstand ein wildes Handgemenge. Der Senn focht wie ein Tiger, mit zwei Sätzen war er mitten im Kriegerhaufen, klatschend schlug sein Holzscheit auf die fremden Schädel nieder. Schon lagen ihrer sechs oder sieben fremde Soldaten in ihrem Blut. Da traf ein Säbelhieb den Sennen und schlug ihm einen Arm in Stücke. Seine Kraft begann matter zu werden, roter Schaum stand ihm vor dem Mund, Arme und Schultern waren zerstochen und blutüberströmt.
In diesem Augenblick aber raste ein schwarzes Ungeheuer daher, mitten in den Menschenknäuel. Schreiend fuhren die Franzosen auseinander. «Glärnisch-!» schrie der Senn in wildem Jubel. Wie ein Rächer stand der riesige schwarze Alpstier neben dem befreiten Hirten. Aber schon stürmten die Franzosen wieder vorwärts. Da stieg im Hirten ein furchtbarer Plan auf. Er rannte hinüber an die Wände des Wiggis, die andern in langen Sätzen hinter ihm her. Auf einem schmalen Grasband der Felswand erwartete er, hinter dem Gestein versteckt, die Verfolger. Als sie heranstürmten, warf er sich ihnen blitzschnell entgegen und riß mit der letzten Kraft, einen hallenden Jauchzer ausstoßend, ein paar der Feinde mit sich in den Abgrund. Durch die Felsgründe des Tales schlug ein Erdstoß; es war, als ob die Berge vor Zorn aufgrollten und den toten Jodler rächen wollten. Felsstücke donnerten nieder, krachend öffnete der See seinen Rachen, Hunderte von kämpfenden Russen und Franzosen in die schwarzen Wasserschlünde reißend.
Vom Sennen hat man nie mehr etwas gefunden. Immer aber, wenn ein großes Unheil über das Land kommen will, geht sein Geist um. Alle zehn oder zwanzig Jahre soll man sein unheimliches Jodeln hören. Wer ihn in stiller Nacht hört, vergißt's seiner Lebtag nicht mehr.

Glarner Sage, Kaspar Freuler und Hans Thürer, 1953


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Der Drache am Glärnisch


Im Sommer I 7 I 7 suchte der Kräutersammler und Wurzelgräber Joseph Scherer von Näfels am Fuß des Glärnisch Hirschenzungen, während sein Knabe allerlei Blumen pflückte. Plötzlich stieß der Bub einen gellenden Schrei aus. «Was ist los?» rief der Vater hinüber. Aber der Kleine gab keine Antwort, sondern starrte nur mit bleichem Gesicht und schreckerfüllten Augen nach einem großen Stein. Das dünkte den Vater sonderbar. Er ließ sein Kräuterbündel liegen und eilte herbei. Was sah er? Unter einem Felsblock hervor fauchte ein greuliches Tier, aus dessen katzenartigem Kopf zwei wilde, hervorstehende Augen funkelten. Schon wollte Scherer das Katzenvieh verscheuchen, als sich dieses bewegte und dadurch der ganze Körper sichtbar wurde. Vier krallenbewehrte kurze Beine trugen einen gesprenkelten Leib, der über und über mit Schuppen gepanzert und wohl so dick wie ein halbmäßiges Kännli war. Mit dem langen Schwanze schlug das Untier aufgeregt hin und her und-gewiß wäre es auf die beiden Menschen losgesprungen, wenn der Kräuteler nicht kurzentschlossen einen Stock gespitzt und es damit durchbohrt hätte. Zu Scherers Verwunderung drang der Stock ganz leicht ins Fleisch, als ob er in einen Schlag Anken stäche. Aber giftiges, stinkendes Blut schoß aus der Wunde. Einige Tropfen spritzten an des Botanikers Bein, das sofort hoch anschwoll, so daß Scherer nur mit großer Mühe heimhinken konnte. Länger als einen Monat mußte er salben und doktoren, bis die Geschwulst endlich verschwand. Jedermann war überzeugt, daß der Wurzelgräber einen Drachen getötet hatte. Allerdings soll er nur etwa zwei Schuh lang und folglich sehr jung gewesen sein. Wer weiß, was Vater und Knabe erlebt hätten, wenn sie auf einen ausgewachsenen Lindwurm gestoßen wären!
Die Geschichte kam auch dem berühmten Naturforscher Johann Jakob Scheuchzer in Zürich zu Ohren. Er bat seinen Freund, den Schwandner Pfarrer und Chronisten Joh. Heinrich Tschudi, er möge ihm doch solche Drachenknochen verschaffen. In dessen Auftrag suchte Schulmeister Jakob Steinmüller von Glarus an Ort und Stelle nach und fand tatsächlich etwa eine halbe Stunde oberhalb Glarus zwischen Streue und Tannadeln verschiedene Gebeine und einen halben Kopf. Die Drachenfunde am Glärnisch bildeten fortan eine Rarität in Scheuchzers Naturalienkabinett.

Glarner Sage, Kaspar Freuler und Hans Thürer, 1953


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Der Geisterritt

Zwischen Netstal und Glarus, etwas abseits in den Wiesen, steht ein kleines, steilgiebliges Haus. Es wird heute kaum mehr beachtet. Vor ein paar Jahrzehnten aber, als noch die alte Landstraße ihre wunderlichen Ränke von Stall zu Stall zog und nahe am einsamen Haus vorbeiführte, stand mancher Wanderer still, um die Inschrift der heute noch vorhandenen Gedenktafel zu lesen. Da vernahm er mit Staunen, daß dieses Häuschen einmal im Mittelpunkt des Weltgeschehens stand, nämlich im lauten Kriegsjahr I799, als die Russen und Franzosen einander die Alpenpässe streitig machten. Hier weilte der berühmte Generalfeldmarschall Graf Alexander Suworow, Fürst Italisky, drei Tage lang. Er hatte sich mit seinen 20 000 Soldaten in mühsamen Kämpfen über den Gotthard, den Kinzig und den Pragelpaß geschlagen und gehofft, über den Kerenzerberg aus diesen Tälergewirr zu entkommen. «Da kamen denn alle russischen Heerführer, darunter auch der Zarensohn Konstantin, am 2. Weinmonat in diesem Häuslein zusammen und werweißten, ob man die Franzosen bei Mollis noch einmal angreifen oder lieber auf leisen Sohlen das Sacktal von Glarus verlassen wolle. Wenn's auf den alten Suworow draufangekommen wäre, so hätte man die Franken noch einmal angepackt, aber dem Zarensohn war die Schießerei verleidet, und so mußten ihm die hohen Offiziere und alle 20000 Russen gehorchen und über den tief verschneiten Panixerpaß waten.» So berichtete unser Nachbar, der alte Bäcker Fridli, jeweils, schob die Pfeife in den andern Mundwinkel und fuhr fort: «Aber jedes Jahr, in einer sternenlautern Oktobernacht, wenn's von den Türmen der Glarner Kirche Mitternacht schlägt, öffnet sich die Türe des Suworowhäusleins. Da kommen sie heraus, die alten Marschälle und Generäle Suworows und reiten mit ihrem silberlockigen Feldherrn siebenmal ums Haus herum, daß die Funken unter den Hufen stieben und Säbel und Orden im Mondschein glitzern. Doch auf einmal ist der ganze Spuk verschwunden, und nur von weither hört man den verhallenden Ruf ,Suworow'. Dann füllt die Stille wieder den Raum zwischen den Firnen.»

Glarner Sagen, Kaspar Freuler und Hans Thürer, 1953


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Der Stausee

Erzählung aus dem Glarnerland (Auszüge)

(..) Leise ließ er sie anschlagen - Kling - klang - Kling - klang. - Silberhelles Läuten füllte den Raum, freudig staunend lauschte der junge Bergler dem leise verhallenden Klingen.
"Bist närrisch geworden? Willst wohl auch ein Geläut an den Hals?" Kaspar drehte sich um. Der Vater war's, der ihn so unverhofft angefahren. Halb lachend, halb verlegen antwortete der Junge: "Nein nein, Vater, schönes Wetter will ich einläuten für die morgige Alpfahrt!"
"Uebermorgen erst treiben wir auf zur Sonnalp."
"So - drüben im Schwyzerischen aber ist der Reding seit drei Tagen schon zur Alp."
"Der hat breiten, sonnigen Aufstieg, wir aber schmale, verschüttete Pfade!" Gab der alte Senn zurück.
"Jost Streiff von Richisau ist auch schon oben, desgleichen Mathias Dürst, der Vorauer! Die Roßmatter und wir nur sind noch unten!" erwiderte Kaspar mit ungestümer Stimme.
"Wir im Klönhof haben uns nach der Sonnalp einzurichten, nicht nach denen hinten am See!"
Auf einmal drehte der Senn den Kopf. Ein Pferdegespann räderte daher. Hart vor dem Klönhof hielten die Rosse still. Vier oder fünf Männer stiegen aus dem Wagen, grüßten flüchtig herüber zu den beiden Sennen und schritten dann, die Gegend eifrig betrachtend, dem Seeufer entlang. Vor der Bucht, da wo ein jäh abfallender Felsgrat scharf in den See hinausstirnte, blieben sie stehen. Einer der Herren, die jetzt ein lebhaftes Gespräch zu führen begannen, hielt einen großen papierenen Bogen vor sich ausgebreitet. Da trat Niklaus Jenny zum Fuhrknecht, der bei den Rossen stehen geblieben war.
"Was wollen die?"
"Sie reden davon, hier am See ein Wasserwerk zu bauen. Mehr weiss ich nicht:" (..)

(..) Als Kantonsingenieur Leuzinger die finsteren Züge in Jennys Gesicht sah und auf seine weiteren gutgemeinten Einwendungen nur ein scharfes "Genug jetzt! Kein Wort mehr, sonst..." zur Antwort erhielt, schritt auch er davon.
Als er den Zürcher raschen Schrittes eingeholt hatte, meinte dieser, leicht vor sich hin lachend: "Ein unerhörter Hartkopf, dieser Jenny. Ein richtiger Berglerschädel!"
"Die meisten Sennen sind so. Sie gehen um den Menschen herum und wollen mit keinem viel zu tun haben, sie leben nur ihren Bergen und ihrer Arbeit!" antwortete Leuzinger. Niklaus Jenny schritt der Hütte zu. Eine tiefe Unruhe hatte ihn angefaßt. es war ihm, als sei in seinem Innern etwas zerbrochen. "Ein Teil des Klönhofs muß unter Wasser gesetzt werden", "Gesetz und Recht sind auf unserer Seite!" diese Worte der Ingenieure hämmerten auf ihn ein. War er denn nicht mehr frei auf seinem eigenen Boden? War er nicht mehr sein eigener Meister? Finstere Falten gingen über sein Gesicht, der Mund war geschlossen.
Als er an den ruhig weidenden Rindern vorüberschritt, blieb er stehen. Mit dumpfen Blicken sahen ihn die Tiere an, als warteten sie auf etwas; der braune Stier stampfte mit erhobenem Kopf heran. Einen Augenblick schienen sich die Züge des Senns zu erhellen. Diese alltägliche stumme Treue seiner Tiere tat ihm wohl. Wie viel mehr lag doch für ihn darin, als im Tun der Talleute! Seine Tiere standen ihm näher als alles in der Welt! Hof und Herde waren seine Welt! Darüber hinaus ging ihm nichts! Plötzlich schritt er weiter. Seine Brauen hatten sich wieder scharf zusammengezogen, die grauen Augen funkelten. Es war, als ob eine schwere Last ihn zu erdrücken drohte. (..)

(..) Wie versteinert blickte der Senn hinunter auf das Stück Erde, das sein war. Das ihm gehörte. Vatererde! Ja, heilige Vatererde! Jeder Stein, jeder Scholle! "Und dich wollen sie mir nehmen! Dich! Dich!" Wie ein Schrei stieß er's hervor. Seine Augen flackerten, stoßweise hob sich die braune Brust. "Ha - - sie sollen's wagen, die dort unten!" Ein Blick voll glühenden Zorns stach aus seinen Augenwinkeln hinunter in das Tal von Glarus, wo das Städtchen einem grauen Flecken gleich in der Ferne lag. (..)

(..) Seite an Seite schritten die beiden wieder zum Klönhof zurück. Mit Eifer redeten sie jetzt über den auszuführenden Bau des Hauses, für das die Pläne bereits erstellt worden waren. Und nachdem nun soeben auch der Baugrund bestimmt war, stand dem Beginn der Arbeit nichts mehr im Wege. Im Einverständnis mit den Herren des Wasserwerkes hatte der Bauführer mit dem Senn alle Einzelheiten über die Einrichtung des Gebäudes besprochen. Dabei war vereinbart worden, daß die dem Bauführer unterstellten Handwerksleute neben den Wasserwerkbauten auch den neuen Klönhof zu erbauen hätten. Auch die Höhe der Kosten und die Entschädigunsgelder waren in ungefähren runden Summen ausgerechnet und festgesetzt. Und drüben am Waldhang, wo die Zimmerleute einen ausgedehnten Werkplatz eingerichtet hatten, wurden bereits die ersten mächtigen Holzbalken zurechtgezimmert. Die Sägen knirschten, und der Hall scharfer Beilhiebe schlug unaufhörlich und weit über den See hin. Schlag auf Schlag. Und jedes Aufblitzen der Stahläxte galt dem Aufbau des neuen Klönhofes... (..)

Ein dumpfer Donnerschlag rollte jäh an den Berglehnen hin, wie ein Erdstoß war's; grollend stießen die Flühe den Schlag zurück, in grandiosem Sprung geisterte der Widerhall durchs Tal - schlug wieder empor - verhallte in den fernen Tiefen. -
Wie zu Stein geworden, stand der alte Senn auf seiner Alpe. Und stand und starrte.
Was war's? Ein Unglück? Ein Schlag Gottes?
Und das versteinerte Gesicht des Alten wandte sich talwärts. Scharf stach sein Blick hinunter zu seinem Gut. Als kleiner Punkt lag es in der Tiefe. Hart am See waren graue Flecken sichtbar: Die Werkplätze der Bauleute. Das Wasserwerk...
Da zerriss ein neuer Schlag jäh die Luft, Grund und Grat bebten, als ob die Erde berste. Dumpf aufbrüllend schlug der Donner hierhin, dorthin - langsam verheulten die grollenden Wogen in den Schründen und Tiefen...
"Die ersten Felssprengungen!"
Der Senn fuhr herum. Hinter ihm stand Kaspar.
"Ja. Die Erdarbeiten sind zu Ende. Jetzt kommt der Fels dran." Und mit einem Blick in die Tiefe: "Dort unten, wo der Bergkamm in den See hinausstirnt, werde ein Tor in den Felsen gesprengt, von dem aus dann, mitten durch den Riesenleib des Wiggis, ein Stollen herausgebrochen wird. So hat Alois Marti erklärt. Das Seewasser werde in diesem Tunnel durch das Innere des Berges geleitet und dann auf der Talseite, hoch oben an den letzten Flühen der Büttenenwand in mächtige Gußrohre gefangen, in denen es mit gewaltigem Druck niederstürze auf die in der Taltiefe angelegten Kraftmaschinen."
Wiederum schrien die Sprengschüsse auf. Jäh, wild, als sei der Riesenhammer eines fürchterlichen Blitzschlages auf Felsenhäupter niedergefahren. Minutenlang hallte das Donnergeroll an den Wänden hin. Und es schien dem Senn, als ob die Berge aufstöhnten. Als wolle der Fels alle die nichtigen Menschlein von sich schütteln, die frevelnd und voller Profithunger sich an ihm vergriffen. (..)

(..) Als Jenny die Hütte erreichte, stand Peterli, der Ziegermann, davor. Mit trockenem Gruß reichten sie sich die Hände. "Kommst frühzeitig!" meinte der Senn in gedämpften Tone.
Das Ziegermännlein runzelte die Stirne: "ich wollte beizeiten heraus aus dem Gestampf. Man ist drunten in Glarus gar nicht mehr daheim. Alles hastet und springt. Die Leute sind ganz anders geworden, seitdem das Wasserwerk im Bau ist. Jetzt will auf einmal jeder reich werden. Und ein Gewimmel von fremden Arbeitern herrscht drunten, daß man nirgends mehr zu Hause ist."
"Ja, es ist alles anders geworden", erwiderte der Senn und stapfte dem Ziegermann voran in die Hütte.
Und Peterli erzählte, wie viel Unheil und Schrecken das heurige Jahr gebracht habe. Wie drunten in der schwarzen Löntschschlucht einer etrunken, von den Wänden des Glärnisch einer zu Tode gestürzt, von Wilderern einer erschossen, von Lawinen viele Hütten und Rinder begraben worden seien. Als der Geisterjodler im vergangenen Jahre wieder umgegangen sei, habe er immer gesagt, es stehe eine Zeit des Unglücks bevor. Jetzt sehe man, daß es so gekommen sei. Und das Wasserwerk bedeute auch nichts Gutes. Das werde man schon noch erfahren. "Mit den alten ruhigen Zeiten ist es zu Ende. Glaub nur, der Wurm ist im Haus!"
Der Senn nickte schwer mit dem Kopf. "Ja, im ganzen Land ist er!" (..)

(..) Niklaus Jenny und Alois Marti standen drüben auf dem Staudamm, der sich jetzt am Ausfluß des Sees durch die ganze Talenge hinzog und dem Löntsch den Weg in die Tiefe versperrte.
"Wir haben den wilden Burschen gebändigt und ihm für alle Zeiten den Austritt vermauert. Nun ist der See gestaut. Fertig ist das Werk!"
Kraftvoll klang das Wort des Bauführers. Der Senn starrte lange sinnend in die gefangenen Fluten, die immer und immer wieder an die Staumauer schlugen und vergeblich einen Ausweg suchten. Murrend und mit tausend Wellenfäusten wühlend und stoßend flatschten sie gegen den Damm, glitten wieder zurück, wuchteten aufs neue heran, wie eine zornig erregte Menge. Immer mehr und mehr, immer höher und höher schwellend. Aber das Felswehr hielt. Enttäuscht und dumpf gurgelnd fluteten die Wogen zurück, bäumten sich wieder auf, stießen trotzig suchend dem Ufer entlang und schlugen wildschäumende Mähnen ans Land.
Eine Weile sahen die beiden Männer dem Wogenkampf zu. Dann meinte der Senn gedankenvoll: "Ich kann's gar nicht fassen, daß diese Wogen nun Licht und Kraft spenden sollen." Und mit einem Blick nach dem mächtigen Schleusenbau, der drüben beim Stolleneingang aus dem Ufer ragte, erwiderte Alois Marti: " In einer Woche schon brausen die Wasser durch dem Stollen, stürzen dann in den Rohrsträngen nieder in die Taltiefe und treiben dort jene gewaltigen Turbinen an, die die elektrische Kraft erzeugen helfen. Eine Woche noch, Senn! Dann wird dir das neue Große offenbar werden! Dann wird das neue, herrliche Licht auch deinen Klönhof erhellen!" (..)

(..) Niklaus Jenny geriet ins Studieren, den staunenden Blick hineingesenkt in das Toben und Tosen. In atemlosem Schauen stand er und trank das Große und Herrliche der Arbeit.
Er fühlte den Strom der Zeit.
Ja, hier in der Taltiefe waren große Dinge geschehen. von den grauen Zeiten des Saumpfades bis... Auf einmal riß er die Augen auf - - war das nicht sein Bub, der dort im blauen Ueberkleid und wachenden Auges vor einem der stampfenden Stahlungetüme stand?

(..)Der Senn stieg bergwärts - dem Klöntal zu. Es war ihm, als habe ihm einer den schweren Stein von der Quelle seines Herzens gewälzt. Ein niegekanntes, beglückendes Gefühl zog in sein Inneres. Er fühlte die Brust sich weiten und den Alpenfrieden Einkehr halten, jenen Alpenfrieden, der wieder zu neuem Schaffen und Tragen stärkt.
Stark und mutig schritt er bergan. Auf einer Höhe blieb er einen Augenblick stehen und schaute über das mondbeglänzte Hochland, und neues Heimatglück keimte in ihm empor, als er nun mit erhobenen Haupt weiterschritt.
Und auf den Bergen kniete schon der junge Tag. Vom Silber des Mondlichts überschüttet, wartete der Sieger auf das erste strahlende Leuchten des neuen Morgens. Ja, eines neuen hundertstimmigen Erwachens! Ein neues Ziel dem ganzen Volk!
Und in der Taltiefe sangen die Stahlrosse des Kraftwerkes und der Fabriken ihr brausendes Lied. Von Männermut und Treue, von Kraft und Freiheit, vom Sieg der Heimat!
Brause, brause du heiliges Arbeitslied, du jubelnder Lebensstrom...

Eugen Wyhler, 1927


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Die Holzflösser vom Klöntal


(..) Im Klöntal standen früher und stehen übrigens auch heute noch ausgedehnte Waldungen, in denen fast das ganze Jahr Holzergruppen beschäftigt waren. Wegen der geografischen Lage des Klöntals wurde hier nicht der Holzschlag, sondern der Transport des Holzes zu den Verarbeitungsbetrieben und Bedarfstellen zum Hauptproblem und beschäftigte ganze Familien. Beim St. Fridolin in Netstal heisst eine Oertlichkeit heute noch Flötzplatz. Das lässt vermuten, dass Holz auf dem Wasserwege vom Klöntal ins Haupttal gelangte. Hans Thürers Geschichte der Gemeinde in Netstal und die Geschichte des ländlichen Hauptortes Glarus von Dr. Jakob Winteler bestätigen dies auch. Strittig sind sie sich lediglich darüber, ob die Holztransporte auf dem Wasser Flötzen oder Flössen hiess, was für unsere Schilderung jedoch wenig von Bedeutung ist.
Die Glanzzeit muss das Flössen kurz vor 1800 erlebt haben, wird doch im Herbst 1788 die Zahl der Flösser im Klöntal mit 50 Mann angegeben. Charakterisiert werden die Flösser als junge, bärenkräftige und furchtlose, rauhe Holzer. Ihr Arbeitswerkzeug war ein an einem langen Stecken befestigter Haken. Seine Mahlzeiten soll jeder Flösser in einem Bündel auf dem Rücken bei sich getragen haben und oft trotz grimmiger Kälte den ganzen Tag im Wasser gestanden oder mindestens die tropfnassen Kleider auf dem Körper getragen haben. Die Holzerrechte erwarben sie sich von den Gemeinden Glarus, Ennenda und in Netstal und vielfach durch vertragliche Absprache von den Schwyzern im Gebiet vom Gampel bis gegen den Pragelpass hinauf. Bekanntlich reicht ja der Kanton Schwyz hier in einem ausgedehnten Zipfel bis zur Klönbrücke hinter dem Richisau.
Wie war die Tätigkeit dieser Männer, die riesige Mengen von Holz zum Richisau oder Unter- und Oberlangeneck über den See bis nach Netstal oder vielfach bis in den Walensee hinunter transportierten? Das geschlagene Holz wurde in Nutzholzträmel und die weniger wertvollen Stücke und die dickeren Aeste - Brennholz wurde damals noch in rauhen Mengen benötigt - in Blütsche-, Klötze von drei Schuh Länge, geschnitten. Nachdem ein Holzklafter zu drei Fuss Scheiterlänge 3,12 Kubikmeter ausmachte und ein heute im Glarnerland übliches Klafter Holz mit einem Meter Scheiterlänge drei Raummeter, also drei Kubikmeter lose geschichtetes Holz ergeben, müssen die Flösserstücke wenig mehr als einen Meter lang gewesen sein.
Während die Trämel wenn möglich im Winter mit speziellen Schleifschlitten auf die Sägen von Netstal und Glarus oder auch nach auswärts geführt wurden, warf man die Blütschen, also die zersägten Klötze, bei starker Schneeschmelze oder wenn der Bach als Folge von anhaltenden Regengüssen viel Wasser führte in die Klön und flösste sie so zum See. Anders verlief dann der Transport über die spiegelglatte Seefläche bis zum Ausfluss beim heutigen Rhodannenberg. Hier konnte man das Holz nicht einfach in einzelnen Klötzen von der Gewalt der unbändigen Wasser fortspülen lassen, sondern man nahm das Ganze zu einem eigentlichen Sammeltransport zusammen. Ein paar lange und nicht zu dicke Baumstämme wurden mit eisernen Ketten, an deren Enden sich Haken befanden, lose aneinander befestigt. Damit bildete man beim Einlauf des Sees, also direkt in der Bachmündung, einen Halbmond, der alles durch den Bach hinuntergeflösste Holz umfing. Sobald alles beieinander war, schloss man die Kette und in der geometrischen Form eines Zirkels ging der ganze Transport als eine Einheit von drei bis vier Mann in einem separaten, eigentlichen Floss vom Nordwind angetrieben dem Ausfluss des Sees entgegen. Dort wo der Löntsch seinen Anfang nimmt, wurden die Klötze dann wieder einzeln den damals, als der Klöntalersee noch ungestaut war, wilden Fluten des Baches übergeben.
In einem hölzernen Rechen, zu dessen Verfertigung die Gemeinde Riedern verschiedentlich das Holz liefern musste, fing man die hinuntergeschwemmten Klötze wieder auf. Dass eine solche Art von Holztransporten nicht immer so glatt verlief, zeigt die Tatsache, dass auf der ganzen Löntschstrecke, die um die 15 Kilometer lang sein dürfte, bis zu 40 Prozent des Holzes verschwand, das heisst genauer gesagt, irgendwo hängenblieb.
Am schlimmsten muss die Passage bei «Büttenen- auf halbem Weg zum Klöntalersee gewesen sein, wo sich der Wildbach im Laufe der Jahrtausende ein an die 50 Meter tiefes Tobel gefressen hat. Wie hart und unerschrocken die damaligen Flösser gewesen sind, zeigt die Praxis, mit welcher festgehangene Klötze freigelegt wurden, sofern dies nicht mit dem langen Hakenstecken durch die Fluten watend getan werden konnte. Im eben erwähnten Löntschtobel wurde einer der Flösser von zwei starken Männern auf einem knapp einen Meter langen Brett sitzend an einem Seil zur Stelle der verklemmten Stücke hinabgelassen, wo er dann frei schwebend versuchte, die Klötze wieder in Fluss zu bringen. Dass sich dabei sehr oft Unfälle ereigneten verwundert heute kaum. Jedoch war es nicht so, dass die Männer von dem knapp über den gurgelnden und tosenden, sich wild überschäumenden Wassermassen pendelnden Sitzbrett oder sonstwie in die Fluten stürzten, sondern lose Felsbrocken oder grosse Mengen Geröll wurden durch eine kurze Berührung mit dem Seil vollends herausgelöst und verletzten den im Tobel schwebenden Flösser am Kopf oder sonstwo am Körper ernstlich. Für das Wagnis das der am Seil Hinabgelassene einging, wurde ihm ein doppelter Taglohn ausbezahlt.
Während mindestens zwei Jahrhunderten erfreute sich die Holzflösserei aus dem Klöntal einer grossen Blüte. Jahr für Jahr müssen grosse Holzpartien abgeholzt worden sein. Gefährdet haben jedoch diese Holzschläge die damaligen Waldungen kaum, denn obwohl verschiedene Gesetze und Verordnungen über den Betrieb der Holzflösserei erlassen werden mussten, war nie von einer Einschränkung der Holzerei im Klöntal die Rede. Die hingegen im Klöntal später eine gewisse Zeit aufgekommene Eisenerzgewinnung muss die Waldwirtschaft bald einmal in Frage gestellt haben, worauf wir jedoch heute nicht eingehen wollen. Erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts, nämlich 1886 hörte die Holzflösserei auf. Eine andere Art der Holzbeförderung war im Klöntal ebenfalls beheimatet. Wegen der schwierigen Beförderung ganzer Baumstämme wurde das Holz an Ort und Stelle zu Kohle gebrannt und dann in Säcken mit Saumpferden ins Haupttal zu den Verbrauchern gebracht, eine sicher teure Heizmaterialbeschaffung, wenn wir den Heizwert dieser Holzkohle und die Umtriebe miteinander vergleichen und mit den heutigen Preisen multiplizieren.

J. Weber, 1972


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Eis

Ausschnitt aus dem neuen Roman (erscheint im kommenden Jahr) © Perikles Monioudis

13. Januar.
Unser Proviant ist schon am Vormittag nicht mehr zu verzehren. Wir zerschlagen die Flaschen und lutschen am gefrorenen Wein. Mittels faustgrosser spitzer Steine zerstückeln wir die Brote und kauen die Bissen so lange, bis sie als Brei zu schlucken sind. Turnusgemäss sind wir, Kamm, Thoma, Wagner und ich, mit dem Transport der Eisquader vom Hochwandener Stausee zum Bütten beschäftigt. Dabei haben wir zu Beginn, auf dem Arbeitsweg von Altwil zum Stausee, die beiden Brücken tatsächlich zu Fuss zu passieren. Wir steigen vom grossen Schlitten und gehen neben dem Kaltblüter her; am Hohlen Rücken, der Haarnadelkurve oberhalb Altwils, steigen wir erneut ab. Anschliessend fahren wir einige Male vom Stausee zum Bütten hinunter, laden da das Eis vom grossen Schlitten auf längliche Wagen um, die von einzelnen Kaltblütern zum Wandener Bahnhof gezogen werden. Wir lassen das Pferd, auf dem Vorarbeiter Kubli hinter uns her reitet, vor unseren Schlitten spannen. Oben am Stausee verladen wir die bereitstehenden Eisquader von den kleinen, für den See bestimmten Schlitten auf den grossen, stossen ihn kräftig ab und winken Kubli, der sich in einer Baracke, in der er die Fuhren in einem Wachstuchheft verzeichnet, wie zufällig bereit hält. Meine Verwunderung darüber, dass die Eisarbeiter jetzt, am Abend auf dem Heimweg vom Wandener Bahnhof nach Altwil, zu Scherzen und geringfügigen Spässen aufgelegt sind, erhöht sich zusätzlich, als einer beim Gehen einschläft und, zunächst begleitet von bloss zweckdienlich leisem Gelächter der anderen, mitten auf dem Fussweg stürzt. Wir werden langsamer, unser Trupp fällt zurück. Wir trotten jetzt nur noch dahin. Bald sind auch die Stimmen der anderen nicht mehr zu vernehmen. In der Dunkelheit leitet uns der helle Schnee unter den Profilsohlen. Zuweilen stossen wir gegen die weichen Borde des Fusswegs und bewegen uns wieder zur mutmasslichen Mitte. Weiter vorne sehen wir bereits die Lichter Altwils, vereinzelte gelbliche Punktewolken, die sich bald hinter Arvenaufforstungen, hohen Tannen und Fichten, bald hinter Felsvorsprüngen verbergen. Kamm, nach mir der jüngste unseres Trupps, berichtet mir, das Eis aus der tieferen zweiten Lage schmelze an der Luft gerade einmal zwei Zentimeter pro Tag, jenes der aufliegenden, ersten Lage vier. Das Eis sei heuer, in der zweiten Saison des Abbaus, von guter Qualität. In Eisenbahnwaggons liessen sich die Eisquader zur Zeit problemlos bis nach München, bis nach Hamburg, sogar in die Provence transportieren - von da an fänden sie in den Kühlräumen der Linienschiffe Verwendung. In Neujork, sagt der junge Kamm, dürfte das Eis dann wohl geschmolzen sein. Er zieht seine Fäustlinge aus, steckt sie unter den Gürtel an die Hüfte, reibt sich die Hände. Thoma macht es ihm gleich, streift auch seine Mütze ab, schrubbt seine Ohren. Unsere Haut ist labbrig, Thoma, Wagner und Kamm, die seit Anbeginn beim Eisabbau dabei sind, haben Wasser in den Händen, den Armen, Beinen und Füssen. Schwitzen sie, schwellen ihre Gesichter stark an. Sie versuchen, sich mir als gesund hinzustellen, dabei husten sie ununterbrochen, fassen sich oft an Ellbogen und Rücken. Das Reiben der Hände gerät ihnen zur Manie, in dieser Kälte sich die selbst wärmen zu wollen, ist aussichtslos. (...)

14. Januar.
Hatten wir gestern noch den grossen Schlitten vom Stausee zum Bütten und wieder zurück führen müssen, ist es heute der Einteilung Kublis gemäss an uns, Eis zu sägen. Thoma und Wagner, die beiden Gruppenältesten, schleppen, kaum sind wir am Hochwandener Stausee und bei der Baracke angekommen, ein paar Bretter an die vom kantonalen Eisaufseher unserem Vorarbeiter Kubli zugeteilte, von diesem dann uns zugewiesene Stelle an der Südseite des Sees. Kamm bedeutet mir, es ihm gleich zu tun und einen Handhaken, eine Flössstange und eine Eisleiter zu fassen, anschliessend den beiden zu folgen. Wir waten durch das tief verschneite Ufergelände, und erst als das Wasser immer wuchtiger unter meinen Füssen aufschlägt, merke ich, dass wir inzwischen auf Eis gehen. Wellenartig pflanzt sich das Poltern unter der Eisdecke fort. In der Mitte des Sees treffen die Schübe aufeinander und brechen gegen die inzwischen beträchtliche Öffnung, die abgeerntete Stelle, auch aus ihr heraus. Oft unerwartet sprühen Fontänen von Eiswasser empor. Der gedankenlose Arbeiter ist auf der Stelle überschüttet, ohne zu wissen, wie ihm geschieht. (...) Drei Fuss vom offenen Wasser entfernt legen Thoma und Wagner die Bretter aus, fügen sie mit behutsamen Tritten in den Schnee, knien endlich auf sie nieder, um dünne, oben mit handgrossen Deckeln versehene Eisenstäbe in die Spalten dazwischen zu treiben. Ihre Bewegungen sind nun verhalten, sie packen nicht wie beim Herantragen der Bretter selbstversunken mit ganzer Kraft zu. Als wären sie angewiesen worden, sich zu sammeln - wie wir uns auch im Prättigauer Internat, in Mur, zu Beginn jeder Stunde zu sammeln hatten -, nehmen sie lange Mass, bevor sie einen Handgriff ausführen. Hölzerne Leitern, die üblicherweise auf Baustellen Verwendung finden, werden für den Winter mit zwei rechtwinklig abstehenden Stummeln abgeschlossen und dienen nun zum Herausfischen der abgetrennten Eisquader. Als erstes schieben Kamm und ich, mit geradem Rücken auf dem Bretterboden, eine solche Eisleiter ins Wasser und versuchen, den gerade vor uns treibenden Quader herauszuziehen. An die Widerspenstigkeit sich drehender und immer wieder der Leiter entgleitender Eisquader gewöhnt, gelingt es Kamm beinahe allein, die Beute einzuholen. Gemeinsam ziehen wir den Quader auf der Eisleiter zum noch leeren kleinen Schlitten, der auf halbem Weg zum Ufer bereitsteht. Dort hieven wir ihn mittels der Handhaken - vorne krumme und spitzige, hinten mit einem Holzgriff versehene eine Elle lange Rundeisen - auf die Ladefläche. Am Griff des Handhakens ist, wie ich bemerke, der Firmenname eingebrannt, mein Name, Keller. Der Stausee liegt inmitten bewaldeter steiler Bergflanken, alle Gipfel sind weiss und gehen nahtlos in den Himmel über. An der Baumgrenze, unwirklich weit über unseren Köpfen, beginnt die zum See hin sich verdichtende Sprenkelung, das scharfe Schwarz und Braun der Nadelhölzer, das dumpfe Grau des blanken Felses. Es ist windstill. Auch ist es, obwohl hier über hundertfünfzig Mann in drei Unternehmen arbeiten, vollkommen still. Nur meine eigenen Geräusche höre ich, meine Schritte, meinen Atem. Die Trommelfelle kitzeln, als wäre die Stille ein Vakuum, in dem sich kein Geräusch verbreitete. Um die Ohren freizukriegen, kauen die Eisarbeiter oft eine Handvoll Schnee. Selbst auf kürzeste Distanz sind die Wörter zu rufen. Am Ufer warten die Fuhrleute gemeinsam mit den Pferden der Vorarbeiter auf die kleinen Schlitten. Die Kaltblüter fürchten sich dermassen vor unseren eisernen Flössstangen und Handhaken, dass sie in dauerhafte Erregung geraten, sobald sie auch nur von weitem etwas aufblitzen sehen. Die runden Scheuklappen verengen ihnen zudem fast vollständig die Sicht, weshalb sie unentwegt mit den Köpfen kreisen. Allein das Unternehmen meines Vaters besitzt zur Zeit vierzig Pferde. Zwei Tagelöhner, Norditaliener, helfen uns beim Einholen der Quader. Sie greifen die zweite Eisleiter und stellen sich ans andere Ende des Bretterbodens. Geschickt setzen sie auch die mitgebrachten Flössstangen ein. Kubli wird von meinem Vater die entsprechende Weisung erhalten haben. Thoma und Wagner sägen kniend den aufs Eis gelegten Brettern entlang vierzig Zentimeter dicke und meterlange Blöcke heraus. Anschliessend setzen Kamm und ich die Flössstangen an den Blöcken an und trennen die erste von der zweiten Lage, das obere vom dauerhafteren Eis durch einen widerstandslosen flinken Schlag. Noch bevor wir die Blöcke aus dem Wasser ziehen, halbieren sie Thoma und Wagner in verhältnismässig handliche Quader von gleichwohl möglichst fünf Zentnern. Die obere Eisschicht ist für den Gebrauch in Wirtshäusern und Brauereien der Umgebung bestimmt, die zweite, dichtere, für den Export. (...) Den Fuhrleuten ist der Transport, die Fahrt auf dem grossen Schlitten vom Stausee hinunter zum Bütten und wieder zurück, ein müheloser, nahezu spielerisch angenehmer Aufwand. Ausserdem trägt für die Rückfahrt mit dem Pferd der dann mit auf dem Schlitten sitzende Vorarbeiter die Verantwortung. An sehr kalten Tagen wie heute brauchen sie auch nicht den Schlitten durch Neuschnee zu stossen oder den Weg vom Legholz zu säubern, können einfach so auf dem Schlitten sitzen und ausruhen - das Lenken ist kinderleicht. Auf dem Verladeplatz steht im Augenblick ein halbes Dutzend grosser Schlitten der Baufirma Keller. Der Führer eines Trupps gibt dem zuständigen Vorarbeiter ein Zeichen, und stumm gleiten er und seine Männer, gefolgt vom Reiter, hinunter zum Bütten. Über ihren Köpfen verquirlt Dampf. Nach drei Stunden tauschen wir die Arbeit. Kamm und ich brechen Eis, Thoma und Wagner teilen die Blöcke zu Quadern, die Tagelöhner ziehen die Quader aus dem Wasser und zum Schlitten. Zu Mittag versammeln sich Eissäger, Tagelöhner und Fuhrleute zu einer heissen Suppe, einem Stück Brot und Altbräu in den kleinen Arbeiterbaracken am Westufer des Hochwandener Stausees. Ich erfahre, dass sie eigenen Proviant nur an vergleichsweise milden Tagen dabeihaben. Essend betrachten wir unsere Hände und Kleidung, die Berghänge, auch die eifrigen Arbeiter der anderen Unternehmungen. Später werden sie essen und uns zusehen. Nun, nach der Pause, ist es an den Tagelöhnern, Eis zu sägen. Kamm und ich teilen die Blöcke, Thoma und Wagner beladen den Schlitten. Wir bemühen uns, den Tagelöhnern die bewährten Handgriffe beizubringen. Thoma formt dazu, obwohl die beiden nur Meter von ihm entfernt sind, manchmal selbstvergessen die Hände vor dem Mund zu einem Trichter und scheint zu schreien. Die Export-Eisquader würden als erstes auf den Schlitten geladen, das Eis für die umliegenden Orte komme obenauf, gibt mir Wagner mittels Handzeichen zu verstehen, nachdem er mir erfolglos ins Ohr zu brüllen versucht hat. Beim Sägen hat man hie und da ins Wasser zu greifen. Die unerträgliche, gegen Abend nochmals zunehmende Kälte verwandelt unsere groben Handschuhe in starre, beinahe kopfgrosse Fäustlinge. Ich bin verblüfft, dass die Tagelöhner von Thoma und Wagner gezwungen werden, in den See zu steigen. Wagner selbst lässt sich, kurz vor Arbeitsende, ins Wasser fallen, um die Säge, die zwischen erster und zweiter Lage festsitzt, freizukriegen. Aus seinem Militärrucksack holt er trockene Kleidung hervor, die nasse rollt er zusammen und verstaut sie. Fluchend begeben sich die Tagelöhner, da die Arbeiterbaracken nur in der Mittagspause geöffnet haben, zur kleinen Vorarbeiterbaracke Kublis, der sie aber zurückweist. (...)

15. Januar und 16. Januar.
Einem Tagelöhner bricht ein Finger von der linken Hand. Er wird sich dessen erst am Abend auf dem Schlitten bewusst. Wir helfen, soweit es geht. Wagner nimmt den losen Finger in den Mund und begleitet den Tagelöhner widerwillig zum Arzt des Unternehmens nach Wanden. 17. Januar (...) Mit Sandra treffe ich mich im Dorf. Wir spazieren, setzen uns am Fluss auf die roten Bänke des Verkehrsvereins, kaufen ein. Lege ich beim Gehen den Arm um sie, habe ich meine Schritte mit den ihren abzustimmen, sonst geraten wir bald ins Torkeln und treten noch häufiger in Pfützen, in den Morast, den wir, wie alle, die vom Dorf zurückkehren, auf den Schuhen in die Trakte des Internats bringen. Ihr Haar ist dünner und länger als meins, ihren Mundgeruch schmecke ich beim Küssen als angenehm würzig, nie komme ich näher zu mir als bei ihr. Das bin ich also, denke ich, wenn ich bei ihr bin, das also bin ich. Oft vergisst sie Dinge in meinem Zimmer. Gebe ich sie ihr zurück, ist sie ärgerlich, behalte ich sie, scheint sie sich zu freuen. Da in der Gegend keine Blumen wachsen, schenke ich ihr Halstücher oder Handschuhe. Seitdem sie von der Schule ging, habe ich nur wenige Male von ihr gehört. Sie betätige sich nun in den Hotels ihres Vaters, zur Zeit in Lausanne. Dort seien die älteren Angestellten darauf bedacht, den jüngeren auch nicht eine Kleinigkeit der Verrichtungen anzuvertrauen. Sie werde ständig herumbefehligt, bei jeder auch nur annähernd sich bietenden Gelegenheit zurückgesetzt. Sie lerne nicht die Arbeit, sondern bloss den Gehorsam. (...)

19. Januar.
Die zunehmende Beklemmung, die ich während des Arbeitens am Hochwandener Stausee empfinde, lässt sich abwiegeln durch den Gedanken, ich sei freiwillig hier. Die körperliche Anstrengung ist mir an diesem Ort nicht Last, sondern Entlastung. Gebraucht habe ich die ursprünglich zu diesem Zweck eingesteckten kleinen Hefte bisher nicht. Zu Hause sind sie nur nach langem Bemühen voneinander zu trennen - Roquefords Träume, Dunbars Lyrics of the Hearthside, Rohrdorfs Wartezimmer. Als ich im Flur ablegen will, bemerke ich auf dem Boden einen grossen gelben Umschlag. Der Stempelabdruck im Absenderfeld liest sich Exposition Mondiale 1867, Direction Générale, Service de Information, Case Postale, Paris. (...)

Perikles Monioudis, 1996


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