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Der Pragelpass
Carl Spitteler

Ehrfurcht
Walter Senn

Heimweh nach dem Klöntal
Hans Trümpi

Beim Rekognoszieren im Hochgebirge
F. Becker, 1887

Double Agency: In the E-Scape Landscape, Part 1
Marion von Osten, 1996


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Der Pragelpass


Von der Paßhöhe nach dem Richisau und auch noch weiter bis Glarus hinab kommen wir jetzt durch eine ununterbrochene Reihe der bedeutendsten Landschaften. Die Silbern streut ihr wundersames Blankgestein bis hart an unsern Pfad, Alpenrosen erscheinen in Menge, den Pfad umsäumen Enzianen; öfters ist das Gestein des Weges mit Blumen so bunt besetzt, daß liebliche Felsgärtchen entstehen. Dann geht's in erweiterter Kluft scharf abwärts in den herrlichen großen Wald, der uns bis ins Richisau umgibt. Oft vermeint man,
schon unten im Tale zu wandern, umsomehr, als allmählich in dem Tannenbestand Ahornbäume auftauchen, die dem Wald Reichtum und Üppigkeit verleihen. - Endlich, auf der Schanze einer beherrschenden Halde, kommt uns in der Ferne der Klöntalersee zu Gesicht, scheinbar ziemlich auf unserer Fläche liegend, in Wirklichkeit noch mehrere hundert Meter tiefer. Wem es glückt, hier eine günstige Beleuchtung, also Sonnenstrahl, womöglich Abendsonnenstrahl, vorzufinden, wird diesen Punkt für einen der schönsten in der Schweiz erklären. Denn Umrahmung, Beleuchtung, Färbung und
Spiegelung des Klöntalersees ergeben als Summe eine Naturschönheit ersten Ranges. Zudem bedeutet die Ansicht von hier oben erst das Vorspiel; der Weg am Ufer des Sees ist noch entzückender. Aber was für ein Vorspiel! Zum letztenmal stiegen wir ins Ungewisse hinunter, abermals in den Wald. Ein grosser, schwarzer Hund meldet von weitem mit mächtiger Stimme unsere Ankunft; ein wahrer Idealhund, der das Bellen als ein freundliches Grüssen auffaßt, zu welchem er mit dem Schweif wedelt, zum Zeichen, daß es gut gemeint sei.
Vom Richisau brauche ich nichts zu melden; es ist ein weitberühmter Sommeraufenthalt und verdient seinen Ruhm. Gewaltige Tannen um und um; eine Höhe von 1100 Meter und eine ebenso großartige wie einfache, beruhigende Gebirgsszenerie. Weder Blendung noch Windzug. Ein Ort zum Bleiben mit einem Wort!

Carl Spitteler


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Ehrfurcht


Das ganze unzählbare Sternenheer goß süßen Frieden ins bewegte Herz, das sich ganz allein mit dem großen Weltengeiste und diesem so ganz hingegeben fühlte, wie's nur der Zauber der sternenhellen Nacht auf einsamen Pfaden hervorzubringen imstande ist. Dann nimmt der Lichterglanz nach und nach zu und taucht die Felshörner in unaufhörlich wechselnde Purpurtinten, die kein Farbenspiel wiederzugeben imstande ist. Plötzlich prangen die feurigen Goldkronen auf den höchsten Spitzen, und während wir bewundernd hinblicken, hat sich im Osten ein gewaltiger Lichtglanz entfaltet: die erste Strahlengarbe des Tagesgestirns dringt in unser Auge und hüllt uns in ein glänzendes Lichtmeer. Von tiefster Ehrfurcht ergriffen, standen wir lange still und stumm, aber jeder wußte: ,auch auf den Bergen hält die Gottheit Schule.'

Walter Senn


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Heimweh nach dem Klöntal


Wie soll ich nur das stille Tal beschreiben, das jeder kennt? Es liegt so tief eingeschnitten und doch so hoch, daß man es ruhig als eine Vorstufe zum Himmel betrachten darf. Und man glaubt auch, daß oben an den steilen Fluchten und tödlichen Hängen die Welt aufhöre. Nirgends wie in diesem Tal ist der Himmel so weit und doch so nah; die Berge tragen ihn hoch über uns hinauf, und darum ist er oben an den Gräten so mild und licht. Über beiden Enden des blauen Sees, als weitere Stufen zum Himmel, wächst eine Höhe empor, so daß das Tal wie eine Wiege daliegt. Nichts stört die Ruhe dieser Einsamkeit, die den geplagten und gestörten Menschen hier tröstet, daß er alle Sorgen vergißt. Nicht umsonst hat hier der Idyllendichter und Graphiker Salomon Geßner einen Denkstein und enthält ein Fremdenbuch berühmte Namen wie Arnold Böcklin und sogar ein handgeschriebenes Gedicht von C. F. Meyer. Unter den großartigen Ahornbäumen suchten auch weniger berühmte Menschen Ruhe. Das Tal ist so schön, so uralt, daß man es lieb haben muß. Es gibt Zeichnungen von Dürer und Bilder in Stumpfs Chronik, die eine Landschaft ganz hintergründig wiedergeben, so daß man eine unendliche Ferne und zugleich eine beseligende Nähe fühlt. Ein Heimweh packt dich. So zieht es den, der dieses Alpental einmal erlebt hat, immer wieder hinauf!

Hans Trümpi


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Beim Rekognosziren im Hochgebirge


(..) Greifen wir nun aus dem Bilde von Angriff und Verteidigung des Kantons Glarus eine Episode heraus, die Besetzung des Klönthal-Pragelpasses mit erfolgreichem Kampfe und nachherigem Vor-
rücken; wir stellen uns hiebei den Westsektor als Offensivfeld, den Südsektor als Defensivfeld vor.
Ins Klönthal kommen also das Bataillon 86 und die Schwyzer Schützenkompanie; das sind mit den Bewohnern des Thales ca. l000 Mann mit 20 Pferden. Ist für diese Zahl Platz in engsten Kantonnementen vorhanden und wie finden wir ihn? Truppen im Gebirge sollen womöglich immer kantonirt werden, für die Bivouaks, sind Zelte unumgänglich nothwendig. Per Mann brauchen wir bei engster Belegung, wie sie im Gebirge von selbst eintritt, 2 m Länge auf 3/3 bis 1 m Breite, für ein Pferd 3 m Länge auf 1 1/2, im Minimum 1 m Breite, dazu die Gangbreiten; sind uns diese Maasse entfallen, so legen wir einen Mann auf den Boden und messen den für ihn nöthigen Lagerraum.
Bietet das Klönthal mit seinen Hütten und Ställen den nöthigen Raum und das nöthige Lagermaterial, oder sind Baracken zu errichten? Ist eine Säge, sind Bretter, oder überhaupt Holzvorräthe zu finden? Und die Verpflegung? Im Gebirgskriege wird der Nachschub schwierig, auf 2 Tage soll ein Mann Proviant mit sich nehmen können. Was bietet das Klönthal an Verpflegungsmitteln: Trinkwasser, Brod, Mehl, Fleisch, Milch und Milchprodukte, Heu, Gras etc. und wieviel je nach den Jahreszeiten? Wie verhält es sich mit der Gangbarkeit in's Klönthal, Anzahl und Beschaffenheit der Wege, Parallelwege an beiden Thalseiten, Gangbarkeit des Seitenterrains wie weit geht eine für Kriegsfuhrwerke gangbare Strasse? (Spurweite, Wagscheitbreite der Kriegsfuhrwerke). Welche Maximalsteigung hat die Strasse, sind die steilen Strecken lang; kommen schmale Strecken (Minimalbreite) vor und auf lange Strecken? Wo sind Ausweichstellen vorhanden? Wie ist Anlage und Unterhalt? Ist Material zur Ausbesserung vorhanden? Wo ist die Strasse gründlich und auf lange Zeit zu zerstören und auf welche Art? Dabei bedenke man, dass man die Strassen nicht dort zerstören soll, wo die Truppen einfach daneben durchkommen, wo mit einer kleinen Traceänderung eine Neuanlage möglich ist, namentlich aber auch, wo wir die Wiederherstellung durch unser Feuer nicht hindern können. Für Infanterie hat es im allgemeinen keinen Zweck, Strassen zu unterbrechen, als in schwierigen Defileen und bei schwer wieder herzustellenden Kunstbauten, neben denen nicht vorbei zu kommen ist. (..)

(..) Wir stehen immer noch auf dem Pragel; doch nun werden wir des Nachts angegriffen und überrumpelt: Gleichzeitig hat uns eine feindliche Abtheilung in kühnem Nachtmarsch über Silbern und Rossmatthal in flanke und Rücken gefasst. Wir müssen daher auch mit der Reserve zurück bis an den See; die Schützenkompagnie macht sich hinauf gegen Längenegg, wo schon die Sennen mit dem Vieh zu fliehen beginnen. Im Laufe des Tages kommen vom Pragel herunter ganze Schaaren, sogar kleine Kavallerieabtheilungen und Gebirgsartillerie, die auf der Schwammhöhe bei Richisau auffährt. Unser Bataillon muß sich zurückziehen bis vor den See, wo es sich an der Lisère des Näggelerwaldes und auf der Höhe des Sackberges festsetzt und einrichtet. Es ist noch gelungen, am Strassenengniss am Ruoggiskopf einige Kg Dynamit in die Gesteinsspalten zu legen und die Strasse wenigstens für Kavallerie zu sperren. Den Bärentritt (am Südostufer des See's), den der Feind vorläufig noch nicht gefunden zu haben scheint, halten wir besetzt, ohne ihn zu unterbrechen; auch die Waidlinge auf dem See haben wir in Sicherheit gebracht. Die Optiker am Schienboden sind ebenfalls zurück; sie sind unter dem Schwarzstock und ob den "Fliesen", in welche sie den Signalflügel geworfen, durch- und gegen den Saasbeerg und Schweinalppass gelaufen. Vor ihrem Aufbruche konnten sie noch mit ihren Laternen Zeichen nach dem Stollen und gegen den Klausen hin geben, dass auf dem Pragel ein Angriff erfolgt sei; ihr Verschwinden ist von dort bemerkt worden; über Linthal ist die Kunde, dass am Pragel etwas geschehen sei, auch schon nach Schwanden und Glarus gelangt.

Am Abend dieses ersten Kampftages, nachdem es sich ziemlich sicher herausgestellt hat, dass ein Angriff mit grössern Massen auf das Klönthal im feindlichen Plane lag, wird ein Bataillon von Schwanden nach dem Klönthal dirigirt; dasselbe erscheint auch mit Tagesanbruch auf dem Sackberge. Ebenso ist Batterie 43 bei Seerüti eingetroffen. Rasch beginnt der Kampf aufs neue; die Batterie säubert die Strasse längs des Sees; auf der rechten Thalseite dringen Tirailleurs, durch den Wald gedeckt, über den Bärentritt, bis an die Klön und ins Stepeli vor, die feindlichen Vorposten müssen zurück. der Feind setzt sich im Vorauen fest.
Nun rücken die Schützen von oben herab in die flanke; neues Zurückgehen des Feindes und Festsetzen auf der Schwammhöhe. Die Schützen werden unterstützt durch 2 Kompagnien des Bataillons 87, die über Dreyen gekommen sind; die Strasse am Ruoggiskopf wird auch wieder freigemacht, 2 Geschütze dringen vor bis an das hintere Ende des Sees. Doch stockt nun das Gefecht, da einerseits der Feind in der Front schwer anzugreifem ist und man sonst nicht entschieden vordrängt wegen der Ungewissheit über die Verhältnisse am Klausen. Von dort kommt aber auf den Abend guter Bericht; - es sei am nämlichen Tage, resp. am Morgen früh ein Scheinangriff versucht worden; da die Truppe aber, welche die Ueberrumpelung des Postens auf dem Klausen zur Aufgabe hatte, sich in der Kammlialp verlaufen habe, sei die Sache missglückt, d. h. man habe es zeitig genug bemerkt. Die 2 Kadetten-Geschütze hätten einen solchen Lärm gemacht, dass der Feind stutzte und auf eine Fortsetzung des Kampfs verzichtete. Da der Angriff auch den Tag über nicht erneuert wurde, sei er als ein Scheinmanöver erkannt worden. Nach diesen Nachrichten geht es nun auf dem Pragel wider lebhaft drauf los: auf der Silbern zeigen sich unsre Vorposten, die vom Geitenberg herbeigeeilt sind; gegen Abend kommt sogar die Schützenkompagneie in Eilmarsch über die Karrenalp-Silbern von Linthal her. Der Feind räumt den Pragel; die Schützen besetzen ihn. Auch die Optiker sind zurückgekehrt und melden nach dem Klausen. Man kann sich diese Episode in der Phantasie gestalten, wie man will - immer wird die Wegsamkeit des Gebirges die Hauptrolle spielen; ganz kleine, unbeachtete Durch- und Uebergänge können grosse Bedeutung erlangen; solche Nebenwege sind also bei der Rekognoszirung von Pässen nie ausser Acht zu lassen. (..)

(..) Die Rekogniszirung eines Weges bezweckt, Kenntnisse über denselben zu erlangen, die man aus den vorhandenen Beschreibungen oder aus den Karten nicht schöpfen kann. Das letztere ist nun allerdings dehnbar. Wer eine Karte, speziell eine Gebirgskarte, richtig lesen kann und viel Uebung darin hat, wird mehr aus ihr ersehen, als ein weniger Geübter. In der That lassen sich aus den Gebirgskarten eine grosse Menge Fragen lösen, was man auf den ersten Blick nicht glaubte und wovon in den Lehrbüchern und Theorien auch nichts zu finden ist.
Was aber für jeden unzweifelhaft aus der Karte hervorgeht, ist in die Rapporte nicht aufzunehmen. Die Karte gibt aber nicht immer das bestehende Verhältniss; ein Weg kann seit der Aufnahme der Karte (deren Jahreszahl eingedruckt ist), verbessert oder neu angelegt worden sein, ein anderer hat sich verschlechtert oder ist eingegangen. Gebäulichkeiten, Brücken, Wasserläufe, Waldlisieren können sich ändern. Ueber viele Sachen kann aber die Karte überhaupt keinen Aufschluss geben, wie über Beschaffenheit der Wege, Art der Brücken, Bauart der Häuser, vorhandenes Baumaterial, Verpflegungsressourcen, Beschäftigungsart der Bevölkerung, Reichthum, Armuth etc., etc. da muss die Spezialrekogniszirung ergänzend eintreten; diese muss man aber an Ort und Stelle gemacht haben, nicht bloss vom Hörensagen oder aus dem Gedächtniss. Vor letzterem möchten wir besonders warnen! Wer dem Vaterlande einen Dienst leisten will durch Rekogniszirung, der leiste ihn recht, der gehe wirklich hin und rekognoszire mit dem Bewusstsein dessen, was er thut. Es ist das eine zu ernste Sache! Auf einen solchen Rekogniszirungsbericht kann eine Berechnung gestüzt oder eine Disposition gegründet werden, die von bösen Folgen sein kann, wenn die Voraussetzung nicht durchaus richtig ist. Nichts schreiben, worüber man nicht absolut sicher ist!

Schreibt man auch etwas aus dem Gedächtniss, weil man nicht mehr an Ort und Stelle hin kann, oder nach gemachten Notizen, so lasse man wenigstens alle Fragen unbeantwortet, wo der leiseste Zweifel vorhanden ist und beschränke sich auf Angaben, zu denen man positiv stehen kann. Auch was man an Ort und Stelle definitiv beantworten kann, wie technische Dinge, Zeit und Mittel zur Herstellung oder Zerstörung von Wegen etc. unterlasse man lieber zu beantworten, oder fasse es wenigstens dem entsprechend im Bericht. Alle Quellen, aus denen man geschöpft, sind genau anzugeben.
Nehme jeder die Sache ernst, rekognoszire er, dass sein Bericht Hände und Füsse hat; dann werden wir wirklich an der hohen Aufgabe des Stabsbureau, die Kenntniss des Landes zu fördern, erfolgreich mitwirken und uns den Dank desselben verdienen!(..)

Notizen für die Rekognoszirungen

Zeitberechnung zum Ersteigen von Höhen: 1 Zeitstunde pro 300 m Steigung; längere, horizontale oder schwach geneigte Strecken werden extra hinzugerechnet. Für den Abstieg ca die Hälfte der Zeit wie für den Aufstieg.
Truppen legen in annähernd ebnem Terrain 4 km per Zeitstunde zurück.
Steigungen in % angegeben. Bis 10% Steigung fahren alle Kriegsfuhrwerke; bis 20% Feldgeschütze mit normaler Bespannung, schwere Fuhrwerke mit Vorspann; bis 30% Feldgeschütze schwierig und nur auf kürzere Strecken. Im Uebrigen gehe man auf sein eigenes Urtheil; die Landesanwohner halten leicht für unmöglich, was den energischen Soldaten wohl gelingt.
Wegbreiten für Feldgeschütze 1, 50 m, in Hohlwegen wegen der Wagscheitbreite 1, 80 m. Angabe der Stellen, an denen eine Kommunikation erfolgreich unterbrochen werden kann (Coupuren, Bezeichnung im Croquis durch zwei dicke Querstriche).
Angabe allfällig vorhandener Telegraphen- oder Telephonlinien. Distanz zwischen den optischen Telegraphenstationen im Mittel 8 km, im Maximum 12 km. Bezeichnung der Stationen im Croquis durch ein kleines Dreieck.
Vorhandene Transportmittel: Zug- und Lastthiere, Fuhrwerke, Schlitten.
Unterkunft: Lagerraum per Mann 2m Länge auf 3/4 - 1 m Breite; per Pferd 3m Länge auf 1 - 1 1/2 m Breite; Gangbreiten im Minimum 1 m. Die Zahl der unterzubringenden Mannschaften und Pferde gibt man in Form eines Bruches an, z. B. 150 Mann und 60 Pferde: 150/60.
Bivouaks an trockenen, windgeschützten Stellen in der Nähe von Trinkwasser.
Verpflegungsressourcen: Brod, Mehl, Kartoffeln, Salz, Milchprodukte, Fleisch (Vieh), Dürr- und Grünfutter, Holz (Brenn- und Baumaterial), Wasser.
Angabe der Bevölkerungszahl (in Klammern); Jahres- oder nur Sommerwohnungen.

F. Becker, 1887


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Double Agency

In the E-Scape Landscape
Part 1

Wieder ein Gewitter. Die elektrischen Ladungen zuckten durch die trübe Dämmerung eines Montagmorgens. Blitze, ungerichtete Botschaften, freigesetzte Informationen die ziellos einen Empfänger suchten. Es gibt nichts bedrückenderes, dachte ich als diese morgendlichen Gewitter, die einen wie aus einem Alptraum aus dem Bett reissen und ein Gefühl der totalen Zeitlosigkeit hinterlassen. Als wären die Zeiten abgeschafft, als gebe es keinen Abend, keinen Mittag und vor allem keinen Morgen mehr, als wären alle Zeiten gleich und unveränderbar.
Der Ansatz einer Dämmerung verdunkelte sich wieder und ein Schwall Regen schoss auf den High-Way. Ich gebe zu ich war leicht überreizt. Möglicherweise war es die Folge tagelangen E-Smogs der mir die Birne weich geklopft hatte, oder die Langeweile über den Anblick des Staus auf dem High-Way, der zu einer lästigen 7Uhr morgens Gewohnheit geworden war. Mein Autopilot suchte verzweifelt nach Ausweichmöglichkeiten. Ich hasste dieses System. - Was nutzte es schon, wenn alle User einen Autopiloten installiert hatten , der einen wie immer auf die Main Route führte um zu erkennen, dass alle anderen auch schon dort sind, um dann die Illusion des alternativen Weges - als Suggestion angeblich individueller Möglichkeiten des 'besseren Ankommens'- wählte, der nichts weiter war, als genau die Geografien, die man ihm programmiert hatte, also die die man befahren konnte und allgemein Strassen nannte. Verstehen Sie, ich meine, welchen Effekt hatte die Vernetzung aller Systeme, wenn jeder doch die vorgegebenen Wege benutzt, mit dem selben Ziel: möglichst schnell anzukommen.- Die Begrenzung meiner Stadt machte mich völlig nervös. Es beruhigte mich zu wissen heute Nacht diese Stadt verlassen zu können. Ich hatte einen neuen Auftrag in der Datenfreien Zone.

Ich sollte mich vorstellen. Mein Name ist Double Agent West. Mae West.
Ja ganz richtig: Mae West, wie die sagenhafte Schauspielerin aus den 30ern. Ich hatte ihre Identität vor fünf Jahren angenommen. Sie war mir ein Vorbild und darüber hinaus ein guter Deckname. Meinen Auftrag für heute Abend kannte ich noch nicht genau, aber ich wusste Jacky würde jeden Moment On-line sein. Es gäbe dieses Knacken im Bord-System und seine gesmoothte Guten-Morgen-Online Stimme würde sagen: "Double Agent West ! Double Agent West ! Hier spricht Jacky O' Double Agent - Bitte kommen!"
Ich würde mich lässig in den Server einklinken- ein Moment den ich auskostete, der zu einer Art erotischem Ereignis geworden war- und würde die Kommunikation mit ihm beginnen. Seltsamerweise passierte all dies heute morgen nicht. 7.30 und Jacky hatte sich immer noch nicht eingeklinkt. Leicht befremdet erreichte ich das Net'Scape Hauptgebäude. Der Portier in der MainHall fing mich gleich ab "Mrs. West, Sie sollen sich sofort beim Programmanager melden. Es scheint sehr dringend......".

Mann, der Tag fing ja gut an! Die Gewitterstimmung schien sich zu verdichten. Jacky nicht zu finden, weiss Gott wo der steckt - und hier wahrscheinlich wieder mal eine Disziplinarmassnahme, weil ich den letzten Auftrag für diesen verschrobenen Medienkünstler nicht ausführen konnte, der Informationen über ein 'hawaianisches Töpfersymposium' suchte. Ich hatte wirklich nichts gefunden, aber das würde die Programmanagerin mir wieder nicht glauben. Ich befand mich bereits im Lift zum Headoffice. Diese Scheiss-Hierarchien werden wohl niemals enden, Access hin oder her, dachte ich, während ich auf dem LCD Display die Tracks verfolgte, die ich zügig passierte. 51...52....53...Manchmal hatten wir hier schon im Lift ziemliche Zusam-menbrüche erlebt. Einige Agents hatten Nachts phobische Angsträume wegen dieser 'hard error track' Geschichten, also wenn der Lift abstürzte und es unendliche Sekunden, manchmal sogar ganze Minuten brauchte, bis er wieder gebootet werden konnte. Das blöde Geräusch eines Tropfens und "Track 72" klang durch die Lautsprecheranlage und der Lift öffnete sich.
Die elegante Lounge des Topmanagerheads war, wie alles hier vom berühmten P.Web designt - ich glaube der war eigentlich von den MicroSofties, unseren grössten Konkurrenten weltweit.- Naja also, kann man sich vielleicht vor-stellen das ganze Ding hier, bis ins letzte total Chi-Chi im klassischen Law & Order Design P.Webs. Wer's mag - dachte ich noch, als schon dieses aufgeregte Assistantproducerteam auf mich zustürzte:" Mrs. West! Die Chefin wartet. Es ist was schreckliches passiert."- Oh No! raste es durch meinen Kopf sollte dieser Medienkünstler etwa ein Spion der MicroSofties gewesen sein? Na dann Gute Nacht.- Mit dem schlimmsten rechnend trat ich in das helle lichtdurchflutete Büro.
Die Programmanagerin stand mit dem Rücken zum Fenster, die freundliche Stimmung im Raum, das sonnig helle Lichtdesign hatte übrigens einer unserer besten Leute bei Net'Scape entwickelt.
"Verzeihung?", sagte ich vorsichtig "Mrs. Diego, Sie haben mich rufen lassen?"
Die schöne dunkelhaarige Frau drehte sich um, sie schien völlig verzweifelt zu sein. Bei diesem Anblick öffnete sich in mir eine Art Muskel, weitete sich aus, um abrupt wieder zu schliessen. Ich hielt Mrs. Diego bereits im Arm als ich mir bewußt wurde, dass die Gefühle mit mir duchgegangen waren. "Verzeihen sie, es tut mir leid..."stammelte ich vor mich hin. Sie lächelte mich an "Nein, ...ach, Mae, das war sehr nett von Ihnen. Aber bitte setzten sie sich doch, ich habe ihnen etwas sehr ernstes mitzuteilen."
Vow !Ich kam mir ziemlich komisch vor diese Frau in den Armen gehalten zu haben, sie war einfach umwerfend...ich stotterte beschämt in ihre Richtung: "Es tut mir sehr leid Mrs. Diego, ich weiss...der Auftrag.. aus Deutschland, dieser Medienkünstler.. hat er sich beschwert?...Ich habe wirklich nichts gefunden über hawaianische Töpfer...-" " Double Agent West", unterbrach Mrs. Diego mich barsch,"Es geht hier nicht um einen ihrer verpatzten Aufträge! Wir haben Alarm Stufe Rot im System! Jacky O' Double Agent ist in der Datenfreien Zone verschwunden!"

An die folgenden Sekunden kann ich mich kaum noch erinnern kann. Als erstes hatte ich in einen heftigen Schock und übergab mich mehrere mal auf den DigiTeppich von Mrs. Diego. Zitternd wurde ich kurzfrsitig auf die Krankenstation gebracht wo man mir Valium verabreichte und ich schnell wieder zu Ruhe kam. Sie können sich nicht vorstellen was diese Information "Jacky -in -der- Daten- Freien- Zone- verschwunden!"für uns alle bedeutete. Ich muss zudem hinzufügen, dass ich selbst nicht informiert war, dass er ohne mich den Auftrag bereits begonnen hatte- das wichtigste aber ist, dass noch niemand vorher von den Agents bei Net'Scape jemals in die Datenfreie Zone gewesen war. - Wir vermuteten dass die MicroSofties schon dort waren, aber es gab keine positiven Berichte bisher. Jacky und ich hätten diesen Sonder-auftrag ausführen sollen.
Wir waren als Team unschlagbar und für Sondereinsätze die Favoriten bei Net'Scape, ansonsten allerdings ziemliche Nullen im recherchieren für Kunden. Darüber hinaus muss ich gestehen, das die heftige Reaktion in Mrs. Diegos Büro klar in Bezug zu meine Gefühlen stand, die ich in letzter Zeit zu Jacky entwickelt hatte, die wohl etwas mehr waren als nur 'gute Kumpels auf dem Datenhighway'. - "Mrs. West?" eine tiefes Timbre holte mich aus meinen Gedanken, es war wieder Mrs. Diego "Bitte stehen Sie auf und kommen Sie mit. Ich muss Ihnen etwas zeigen, sie müssen uns helfen."

Überall im Gebäude war eine totale Aufregung. 'Alarm Stufe Rot' das hatte ich noch nie erlebt. Aus der Erinnerung an meine Doppel-Agentenausboldung kroch langsam hoch, dass die höchste Alarmstufe nur dann installiert wurde, wenn das ganze System in Gefahr stand zusammenzubrechen. Ich verdrängte diesen Gedanken sofort wieder. Mrs. Diego führte mich vor die Tür von Jackys Office."Ich möchte das sie alleine dort hinein gehen Mae, sie allein können am besten von uns allen sehen, ob sich in diesem Raum etwas verändert hat, ob Informationen hinzugefügt oder entwendet worden sind. Ich hoffe sie bringen uns auf eine Spur. Falls sie Hilfe brauchen rufen sie jemand vom Betriebssystem. Ich muss gehen wir haben Krisenstab in der Headoffice."
Sie strich mir über mein Gesicht und küsste mich auf die Wange, so das ihre Lippen ganz leicht die meinen berührten und verschwand genau so heftig, wie sie mir erschienen war. Zu einem anderen Zeitpunkt hätte ich sie wahrscheinlich an mich gezogen und ihren Kuss erwidert. Aber mir wahr plötzlich ganz und gar nicht mehr nach Abenteuern zu Mute.

Ich stand nun alleine vor der Tür von Jackys Office. Eine unbestimmte Angst beschlich mich, als ich das Codewort eingab und die Tür öffnete. Im Raum war es stickig. Überall lagen Jackys Aufzeichnungen herum, elektronisches Gebastele dass nie fertig wurde, Kaffetassen und Zigarettenstummel (obwohl wir als Agenten nicht rauchen durften) So kannte ich ihn! "Oh Jacky"stiess ich verzweifelt aus. Ich atmete mehremale tief durch. "O.K mein Junge, wir werden Dich schon finden!"sprach ich in den agentenleeren Raum und began meine Arbeit.
Es ist eigenartig geradezu obszön, die intimen Aufzeichnungen eines Freundes durchstöbern zu müssen und obwohl ich um den Ernst der Stunde wusste, liess ich mir dazu Zeit. Ich setze mich auf die Bodenplatte und sortierte sorgfältig seine Notizen nach Themen und machte Stapel. Manchmal traf ich auf meinen Namen, aber ich zwang mich nicht der Eitelkeit zu verfallen, mich diesen Details zu widmen. Zwischen diesen konzentrierten Recherchen erschien immer wieder in regelmässigen Abständen die Angst, er könne möglicher-weise für immer verschwunden sein.
Nach einigen harten Minuten Arbeit verdichtete sich vorallem eine Informationslinie in seinen Notizen. Auf seinem Schreibtisch war ein Dokument abgelegt worden, ein Ordner mit der Bezeichnung "Drachen, Dichtung, Dekonstruktion". Das waren mir Fremdwörter, denn ich konnte die Kombination der drei Begriffe in keines der mir bekannten logischen Referenzsyteme einordnen und suchte in seinem System nach weiteren Hints. Also Drachen. - chinesische Segeldrachen - Drachenfliegen - Die Kunst des Drachenbaus- . Ich schaute im Zentralarchiv nach:
Es listete mir unendlich viele Links auf - ein Tier aus der (chistlichen) Mythologie - Monster - Drachentöter- Drachenforscher in der Schweiz- C.G.Jung Archetypen- Mittelalter Forschung-Bedeutung in der romantischen Dichtung- und so weiter...
In einem Bildbearbeitungsprogramm in Jackys Ordner fand ich dann endlich eine Spur. Eine Zeichnung in aufwendigem Verfahren, mit mir unbekannten Werkzeugen analog hergestellten Grafik, von einem Tier/Körper mit zehn schlangenartigen Hälsen an deren Ende Katzenköpfe ihre Zähne fletschten. Darunter stand in einem völlig irren abgespacten Font "zehnhalsiger Drache mit Katzenköpfen gesehen im Klöntal, GlarnerLand 1848" . Gut ich verstand gar nichts aber ich wusste sofort dass es sich hier um ein Dokument handelte, das üblicherweise nichts bei Net'Scape Agenten zu suchen hatte . (1848er Daten waren nur mit einer Sondererlaubnis über den Inneren Sicherheits-dienst anzuforderen) Vielleicht nur wieder so ein bescheuerter Auftrag eines Kunden, dachte ich und suchte nach weiteren Links, kam aber erstmal nicht weiter.
Ich klinkte mich in die internetionale Bildverwaltung ein und fragte dort, ob das Bild im 'Worldarchiv' abgelegt worden war. Bilder, Grafiken etc.der Museen und Bibliotheken der Welt waren dort gespeichert und zugänglich. Die Anfrage wurde verneint. Die Grafik war im System bisher nicht erfasst. Plötzlich wurde mir ganz heiß. Könnte es sein, dass dieses Dokument möglicherweise aus der Datenfreien Zone stammte? Es war mehr ein Gefühl als eine These, aber die Befremdung und das völlige Nichterfasstsein im System deutete zu stark auf etwas hin, das im Zusammenhang mit Jackys Ver-schwinden stehen könnte.
Ich liess sofort Mrs. Diego aus der Sitzung rufen. Ich hatte eine Spur-.


coop von osten, 1996


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